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Sport: Als Totengräber beschimpft Die deutsche Sporteinheit – ein Erlebnisbericht

In der DDR beschäftigte ich mich mit einem Thema, das offiziell gar keines war: Als Volkswirt forschte ich zur Sportökonomie. Die Frage, was der Leistungssport kostet, war bis 1989 ein Tabu.

In der DDR beschäftigte ich mich mit einem Thema, das offiziell gar keines war: Als Volkswirt forschte ich zur Sportökonomie. Die Frage, was der Leistungssport kostet, war bis 1989 ein Tabu. Alle Daten wurden verschleiert. Als endlich der Umbruch kam, habe ich im November 1989 die Zahlen veröffentlichen können: Zwei Milliarden Ost-Mark ließ sich die DDR ihren Leistungssport pro Jahr kosten.

Nach Öffnung der Grenze bin ich mit meinem Trabbi zu den Kollegen nach Bayreuth gefahren. Dort wurde seit 1985 ein Diplomstudiengang Sportökonomie angeboten, den wir nun auch in Leipzig etablieren wollten. Ich durfte assistieren, und alles, was ich an Informationen bekam, gab ich in dieser rasanten Zeit gleich an die Studenten weiter. Für die SDP, die ostdeutschen Sozialdemokraten, arbeitete ich am Runden Tisch für Sport mit. Nach der ersten freien Volkskammer-Wahl im März 1990 wurde das Ministerium für Jugend und Sport gegründet, das die beiden ideologisch geprägten Staatssekretariate für Körperkultur und für Jugend ablöste. In kurzer Zeit gab es viel zu tun.

Bis zur Einheit sollten uns 150 Tage Zeit bleiben, demokratische Strukturen zu schaffen. Es galt, das zentralistische Sportsystem der DDR in freie Strukturen zu überführen. Ein Sportsicherungsprogramm schuf die finanzielle Grundlage der Landessportbünde; die Sportstätten wurden in kommunales Eigentum überführt und so für den Sport gesichert. Der Deutsche Turn- und Sportbund, der DTSB, war mit seinen 15 000 Beschäftigten nicht mehr finanzierbar, seine autoritäre Struktur nicht zukunftsfähig. Uns dagegen ging es darum, den Sport frei, autonom und föderal zu organisieren. Von einigen DDR-Medien wurden wir als „Totengräber des DDR-Sports“ beschimpft, die „Junge Welt“ schrieb von „nach westlichem Aftershave duftenden Beratern im Sportministerium“. Als der DTSB seine Gemeinnützigkeit beantragte, lehnte unser Ministerium ab – erstmals mit dem Hinweis, das dieser Verband mitschuldig am Staatsdoping war.

Nach der Vereinigung führte mich mein Weg in die Sportabteilung des Bundesinnenministeriums. Hier konnten wir die Bildung von Leistungszentren in Ostdeutschland begleiten. Die materielle Ausstattung und die Vielzahl der Sport-Leistungszentren im Westen überraschten mich, ebenso die vergleichsweise geringe Anzahl an Spitzenathleten.

Seit zwei Jahren arbeite ich im Stab der Bundesregierung für die Fußball-WM 2006. Das ist eine Aufgabe des Herzens. Denn es ist nicht die zweite WM, die in Deutschland stattfindet, sondern die erste WM in unserem vereinten Land. Ich bin einst in Leipzig für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen. Nun freue ich mich, dass WM-Spiele im neuen Leipziger Zentralstadion stattfinden. Der Görlitzer Michael Ballack ist Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft. Wer hätte das vor 15 Jahren gedacht?

Aufgezeichnet von Robert Ide. Bernd-Uwe Hermann, 49, war 1990 Referatsleiter im Ministerium für Jugend und Sport der DDR und ist jetzt stellvertretender Leiter des Stabes WM 2006 der Bundesregierung. Er spricht heute bei einer Tagung „Der lange Weg in die Sporteinheit“ an der Universität Potsdam (ab 9.30 Uhr; Auditorium Maximum).

Bernd-Uwe Hermann

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