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Alternde Stars: Beliebt und bedächtig

Auch vor Raul zog es alternde Stars in die Bundesliga, nicht immer mit großem Erfolg. Ein Überblick von Beckenbauer bis Völler

Ob Raul am Samstagabend zum Saisonstart in Hamburg spielt, ist noch nicht sicher. Der Spanier von Schalke 04 ist die große Attraktion der Bundesliga, wenn auch mit 33 Jahren nicht mehr ganz taufrisch. Doch mit älteren Semestern hat sich die Bundesliga nicht immer leicht getan. Ein Rückblick auf schillernde Figuren des Weltfußballs, die es im reifen Alter nach Deutschland zog.

Horst Szymaniak

Der erste Weltstar, der aus dem Ausland in die Bundesliga wechselt, spielt bei Tasmania 1900, der schlechtesten Mannschaft aller Zeiten. Jawohl, Horst Szymaniak war ein Weltstar, wer daran zweifelt, kann mal bei den Argentiniern nachfragen, die er 1958 beim WM-Vorrundenspiel in Schweden an die Wand gespielt hat. Szymaniak gehört zum Allstarteam des Turniers, neben Pelé und Garrincha, Just Fontaine und Raymond Kopa. Aber als er im Sommer 1965 nach Berlin kommt, ist er auch schon 33 und seine besten Jahre liegen hinter ihm, er hat sie in Italien verbracht, unter anderem bei Inter Mailand. Tasmania ist nach Herthas Zwangsabstieg eher zufällig in die Bundesliga gekommen und muss kurzfristig Verstärkung rekrutieren. Szymaniak ist gerade frei und sagte zu. „Sportlich war es meine schrecklichste Zeit, aber menschlich gesehen sehr schön“, hat Szymaniak später erzählt. Beim ersten Saisonspiel zählt er noch zu den Besten. Tasmania gewinnt vor 82 000 Zuschauern im Olympiastadion 2:0 gegen den Karlsruher SC, aber danach geht es bergab. Mit Tasmania, aber auch mit Szymaniak. Ein Tor schießt er in 29 Spielen, steht immerhin beim zweiten und letzten Saisonsieg auf dem Platz, einem 2:1 über den Mitabsteiger Borussia Neunkirchen. Als Tasmane macht Szymaniak die vier letzten seiner 43 Länderspiele. Die WM 1966 in England verpasst er nicht wegen der desaströsen Saison seines Klubs, sondern weil ihn Bundestrainer Helmut Schön kurz vor der Abreise nach England bei einer Kneipentour erwischt.

Karl-Heinz Schnellinger

Welcher deutsche Nationalspieler hat mehr Länder- als Bundesligaspiele? Mit dieser Frage lässt sich manche Fußballwette gewinnen. 19-mal Bundesliga, aber 47 Spiele für Deutschland – Karl-Heinz Schnellingers Bilanz ist einmalig. Als er 1958 mit gerade 19 Jahren zum Nationalspieler aufsteigt, gibt es noch keine Bundesliga. Seine beste Zeit erlebt er zwischen 1963 und 1974 in Italien, und als er dann nach Deutschland zurückkehrt, ist er mit 35 Jahren nicht mehr ganz auf der Höhe seines Könnens. Schlagerproduzent Jack White ermöglicht seinem Herzensklub Tennis Borussia die Verpflichtung des Mannes, der ein paar Wochen zuvor mit dem AC Mailand im Europapokalfinale gestanden hat. Schnellinger darf beim Aufsteiger aus Berlin die Position des Liberos interpretieren, und er tut das auf, nun ja, eher bedächtige Art. Schon beim ersten Spiel in Braunschweig setzt es fünf Gegentore, und so geht es weiter, etwa gegen Kaiserslautern (0:4), Mönchengladbach (1:4) oder Frankfurt (1:7). TeBe kassiert 89 Gegentore und steigt sofort wieder ab, aber dieses Ende erlebt Karl-Heinz Schnellinger nicht mehr auf dem Platz. Zermürbt von Verletzungen und gedemütigt zieht er sich vorzeitig zurück. Am 28. Februar 1975, einen Monat vor seinem 36. Geburtstag, bestreitet Karl-Heinz Schnellinger beim 0:4 in Hamburg sein letztes Spiel als Fußballprofi.

Franz Beckenbauer

In seinen drei amerikanischen Jahren ist Franz Beckenbauer zum Weltmann gereift, aber seinen Status als Weltklassespieler hat das Engagement bei Cosmos New York nicht so gut getan. Im November 1980 überredet ihn Günter Netzer, damals Manager beim Hamburger SV, zu einem Comeback in der Bundesliga. Beckenbauers 35. Geburtstag liegt schon ein paar Wochen zurück, als er beim Auswärtsspiel in Stuttgart zum ersten Mal auf der Bank sitzt. Der HSV ist Tabellenführer, aber die Spieler gehen ihm aus, dann muss auch Caspar Memering verletzt aufstecken, und in der ersten halben Minute der zweiten Hälfte tummeln sich nur zehn Hamburger auf dem Platz. Dann kommt Beckenbauer aus dem Spielertunnel getrabt, sichtbar überrascht, dass ihn Trainer Branko Zebec ins Spiel beordert hat. Der HSV verliert 1:2, und auch sonst läuft es nicht besonders gut für Beckenbauer. Zwar darf er noch 17 Spiele machen, aber am Saisonende wird der HSV nur Zweiter, ausgerechnet hinter Beckenbauers Stammklub FC Bayern. Zur neuen Saison kommt Ernst Happel als Trainer nach Hamburg, und der hält nicht viel von einem gealterten Weltstar als Abwehrchef. Happel erfindet für Beckenbauer eine neue Position, die des Liberos vor der Abwehr. In der Vorbereitung spielt er so leichtfüßig und elegant wie zu seinen besten Zeiten, aber der Körper streikt immer öfter. Geplagt von Verletzungen kann Beckenbauer nur noch zehnmal in der Bundesliga mitspielen, dreimal wird er ausgewechselt. Sein letztes Bundesligaspiel bestreitet er am 29. Mai 1982. Als ihn Happel kurz vor der Pause auswechselt, begleiten ihn die Ovationen von 50 000 Zuschauern in die Kabine. Nach dem Spiel darf Beckenbauer mit 36 Jahren noch einmal den Gewinn der deutschen Meisterschaft feiern.

Igor Belanow

Die Gladbacher wähnen sich am Rand einer Sensation, als sie im Oktober 1989 den sowjetischen Nationalspieler Igor Belanow verpflichten. Mit seinem raketenartigen Antritt war der Ukrainer einer der großen Stars der WM 1986 in Mexiko, im selben Jahr wird er zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Bei der EM 1988 in Deutschland zählt Belanow zur sowjetischen Mannschaft, die erst im Finale von den Holländern gestoppt wird. Niemand ahnt, dass er seinen Zenit schon überschritten hat. Als er am 4. November in Stuttgart seinen Einstand gibt, ist Belanow 29 Jahre alt und der erste sowjetische Nationalspieler in der Bundesliga. Die Premiere geht zwar 0:4 verloren, aber Belanows erste Gladbacher Saison gestaltet sich noch recht erfolgreich. In 14 Spielen kommt er auf vier Tore. Im zweiten Jahr aber kommt keines mehr dazu, und nach der ersten Halbserie geben die desillusionierten Gladbacher ihren vermeintlichen Stareinkauf an den Zweitligisten Eintracht Braunschweig ab.

Bernd Schuster

Als Rolf Büll und Kurt Vossen im Mai 1993 zur Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages nach Madrid reisen, geht es ihnen weniger um die sportliche Verstärkung von Bayer Leverkusen. Bernd Schuster ist zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift schon 33 Jahre alt und hat bei all seinen Stationen verbrannte Erde hinterlassen. In Köln, beim FC Barcelona, bei Real und zuletzt auch Atletico Madrid. Aber er ist als schillernde Figur bestens geeignet, ein wenig Glanz zu werfen auf den Klub, der trotz seines Uefa-Cup-Sieges immer noch verächtlich als Werksmannschaft tituliert wird. Schuster wiederum sieht in Madrid keine Zukunft und will zurück in den Westen Deutschlands, wo er sich vor ein paar Jahren einen Bauernhof gekauft hat. Am 7. August gibt er beim 2:2 in Duisburg sein Debüt. Schuster legt eine großartige Saison hin, er schießt in 28 Spielen fünf Tore und bereichert das Leverkusener Spiel mit seiner Regiekunst. So geht es auch in der zweiten Saison weiter. Als die ARD das Tor des Jahres 1994 wählen lässt, sind die ersten drei Plätze für Tore von Bernd Schuster reserviert. Erst im dritten Vertragsjahr kriselt es. Schuster gerät mit Bayers Torjäger Ulf Kirsten aneinander und später auch mit Trainer Erich Ribbeck, der ihn gegen seinen Willen auf die Position des Liberos abgeschoben hat. Er wird vom Training suspendiert, klagt sich ein und einigt sich dann auf eine Auflösung des Vertrages. Schuster dreht noch eine Ehrenrunde in Mexiko und beendet dann seine Karriere.

Rudi Völler

Nachdem sich das Experiment mit Bernd Schuster so erfolgreich angelassen hat, verstärkt Bayer Leverkusen seine Image-Offensive und holt einen zweiten Altstar an den Rhein. Rudi Völler ist bei der WM in den USA als 34-Jähriger noch einmal von Bundestrainer Berti Vogts für die Nationalmannschaft reaktiviert worden und will es auch in der Bundesliga noch einmal wissen. Am 28. August wird er am dritten Spieltag 18 Minuten vor Schluss eingewechselt und erzielt beim 4:0 über Eintracht Frankfurt prompt sein erstes Tor, und damit keiner an seiner Einstellung zweifelt, holt er sich gleich noch eine Gelbe Karte ab. Völler ist fit, er verpasst von den folgenden 30 Spielen nur ein einziges und kommt auf 16 Tore. Es ist der Beginn einer erfolgreichen Beziehung. In Leverkusen erfährt Völler seine Vollendung als von allen geliebter und respektierter Nationalheld. Er dient Bayer als Spieler, Trainer und Sportdirektor, nebenbei führt er die Nationalmannschaft als Teamchef ins Finale der WM 2002 und ist bis heute das Gesicht des Vereins. Nur einmal wird es kritisch. In der Saison 1995/1996, es ist die letzte des Fußballprofis Rudi Völler, steht Bayer 04 am letzten Spieltag kurz vor dem Abstieg. Erst ein spätes Ausgleichstor gegen Kaiserslautern bewahrt die Leverkusener vor dem Abstieg. Zum Dank verspricht Völler dem Torschützen Markus Münch lebenslanges Wohnrecht im vereinseigenen Hotel.

Darko Pancev

Die Bundesligakarriere des jugoslawischen Nationalstürmers beginnt, wie sie später enden wird. Mit einem Missverständnis. Völlig überraschend hat der Aufsteiger VfB Leipzig im Februar 1994 Darko Pancev von Inter Mailand ins unwirtliche Zentralstadion geholt. Drei Jahre zuvor hat er mit Roter Stern Belgrad den Europapokal der Landesmeister gewonnen und als erfolgreichster Torschütze des Kontinents den Goldenen Schuh erhalten. In Mailand aber findet sich der Exzentriker Pancev nicht zurecht, am Ende sind die Italiener froh, dass der Bundesligaletzte Leipzig einen Teil des exorbitanten Gehalts übernimmt. Leipzigs Präsident Siegfried Axthelm schickt den prominenten Zugang zwecks Verbesserung der Außendarstellung gleich zum ZDF ins Aktuelle Sportstudio, aber Pancev schwänzt den Termin. Axtmann droht mit einer Geldstrafe, Pancev klagt über Sklavenhaltermentalität, er verschmäht die vom Klub gemietete Hotelsuite im Leipziger Zentrum und zieht ins Grüne. Zwar schießt er in seinem ersten Spiel ein Tor, aber das hilft beim 1:2 in Duisburg auch nicht weiter. Leipzigs Manager Klaus Dietze beklagt sich darüber, dass der Neue „nur neben dem Platz Rambazamba macht“. Insgesamt läuft der 29 Jahre alte Pancev zehnmal für die Sachsen auf, er schießt noch ein Tor und feiert keinen einzigen Sieg. Nach vier Monaten ist der Spuk vorbei. Leipzig steigt ab, Pancev geht und verdingt sich fortan in der Zweiten Liga bei Fortuna Düsseldorf.

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