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Sport: Altes Spiel in neuen Rollen

Drei Wochen vor der Tour ist Jan Ullrich ungewohnt entspannt – und Lance Armstrong leicht nervös

Berlin - Dieses Mal will er sich nicht überanstrengen. Einen Etappensieg würde er schon mitnehmen, hat Jan Ullrich vor der Tour de Suisse gesagt. Gestern siegte er gleich im Zeitfahren und übernahm die Führung in der Gesamtwertung. Aber gewinnen wie vor einem Jahr will Jan Ullrich in der Schweiz nicht. Nach seinem Sieg kurz vor der Tour de France war er krank geworden, wieder konnte er Lance Armstrong nicht schlagen und wurde am Ende nur Vierter. „Ich will in der kommenden Woche vor allem meine Bergfestigkeit prüfen“, sagt Ullrich, der sehr zufrieden mit seiner momentanen Verfassung ist und auch mental ausgeruht wirkt. „Ich will jetzt Rennen fahren, vom Training habe ich die Nase voll.“ Während der einsamen Trainingsphase in den ersten Monaten des Jahres hatte er sich mehr zurückgezogen als sonst. Es habe ihm gut getan, in dieser Zeit nicht ganz so in der Öffentlichkeit zu stehen.

Gute Stimmung verbreiten Ullrich und sein Betreuer Rudy Pevenage vor jeder Tour de France, trotz der sonst üblichen kleinen Rückschläge wie Erkältungen oder Gewichtsproblemen. Die blieben in diesem Jahr weitestgehend aus, das ist ein Grund für die große Zuversicht. Vor allem lässt sich aus Ullrichs Äußerungen vor dem letzten Showdown gegen Lance Armstrong aber gewachsene Gelassenheit herauslesen. Seine Karriere würde unvollständig bleiben, wenn er den sechsfachen Tour-Sieger in diesem Jahr nicht schlägt, und Ullrich betont immer wieder, dass ein Triumph bei der Frankreich-Rundfahrt für ihn nur dann wirklich zählt, wenn er Armstrong dabei bezwingt. Das hat sich nicht geändert, aber der 31-Jährige redet weniger über den großen Gegner und mehr als in den Jahren zuvor über das Vertrauen in seine eigene Stärke.

Die üblichen Bedenken, aus welchen Gründen Ullrich denn dieses Mal wieder an sich selbst scheitern könnte, spielen in den aktuellen Spekulationen über seine Siegchancen deshalb keine große Rolle. Im Moment wird beim T-Mobile-Team mehr über die möglichen Helfer für Ullrich spekuliert als über seinen Formaufbau. Wird der Tour-Zweite des vergangenen Jahres, Andreas Klöden, nach seinem Leistungseinbruch im Frühjahr und den aktuell großen Formschwankungen überhaupt wieder nominiert? Und was ist mit Sprintspezialist Erik Zabel, der unbedingt noch einmal dabei sein will, für Ullrich aber nur bedingt ein Helfer sein könnte? In der nächsten Woche entscheidet die Teamleitung, welche acht Fahrer Jan Ullrich beim letzten Duell mit dem Texaner unterstützen sollen.

Ihn – oder eben seinen Teamkollegen Alexander Winokurow, der nach seinem Ausfall wegen eines Sturzes im vergangenen Jahr dieses Mal angekündigt hat, die Tour gewinnen zu wollen. „Bei uns ist derjenige Kapitän, der am stärksten ist“, sagt Winokurow und macht damit klar, dass er Hilfe von seinem Kumpel Ullrich für den Fall erwartet, dass der als Mitfavorit gehandelte Kasache diesen Erwartungen gerecht wird. Beim gestern zu Ende gegangenen Kriterium Dauphiné Libéré hängte Winokurow am Mont Ventoux Lance Armstrong ab. „Lance hat mich ein bisschen überrascht, wie er unten am Berg gefahren ist“, sagte Levi Leipheimer vom Team Gerolsteiner, der lange Zeit neben Armstrong fuhr. „Das war nicht gerade toll. Ich bin ein bisschen von mir enttäuscht“, kommentierte Armstrong, der die Vorbereitungsrundfahrt in den Jahren 2002 und 2003 gewonnen hatte. In dieser Saison ist er noch ohne Tagessieg. Vor der Tour nimmt er an keinem Vorbereitungsrennen mehr teil, er fährt in den Alpen einige der Etappen ab. Gleichzeitig redet er aber auch schon viel über sein neues Leben nach seinem letzten Profirennen im Juli. „Ich freue mich schon darauf, nach der Tour Urlaub zu machen“, sagt Armstrong.

Bisher hat sich Armstrong immer beim Tour-Start in Topform präsentiert und Zweifel an seiner Verfassung schnell zerstreut. Er ist ein Meister darin, die Gegner mit seinen Äußerungen zu verwirren. Derzeit redet er allerdings ungewöhnlich wenig. Normalerweise stellt er seine Rolle als unumschränkter Chef in den Wochen vor dem großen Radspektakel in den Vordergrund. Jetzt strahlt Armstrong aus, dass er nach seinen sechs Siegen in Serie nicht mehr gewinnen muss, sondern nur noch will. Das unbedingte Müssen war aber immer der innere Antrieb, der ihn so stark gemacht hat.

Die Hoffnung von Jan Ullrich könnte nun sein, dass Armstrong in diesem Jahr mehr mit sich selbst kämpfen muss, anstatt seine Gegner zu demoralisieren. Dann könnte er noch gelassener und auf sich selbst konzentriert das große Ziel im letzten Versuch erreichen.

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