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Im Meeressiegesrausch. Team USA hat den Gegner aus Neuseeland tatsächlich nach 1:8-Rückstand noch 9:8 besiegt.

© AFP

America's Cup: Die Unmöglichen

Eine historische Aufholjagd rettet den America’s Cup für die USA. Oder: Wie das Geld eines Milliardärs Sportgeschichte schreibt.

Zehntausend Meter liegen vor ihm, es geht um die Goldmedaille, und er ist der Favorit. Als Lasse Viren bei den Olympischen Spielen 1972 in der zwölften Runde strauchelt und stürzt, erhebt er sich zwar wieder, aber niemand im Münchner Olympiastadion gibt ihm eine Chance. Als der FC Liverpool im Champions-League-Finale 2005 0:3 in Rückstand gerät, ergeht es ihm ähnlich. Die Mannschaft droht, an sich selbst zu verzweifeln. Auch auf Muhammad Ali setzen nicht viele, als George Foreman im Ring von Kinshasa auf ihn eindrischt. Foreman ist 1974 Weltmeister und der kräftigste Boxer seiner Zeit. Geh’ von den verdammten Seilen weg, schreit Alis Trainer. Seit Mittwoch kennt die Sportgeschichte ein weiteres unmögliches Comeback.

In einer epischen Aufholjagd hat Oracle Team USA den America’s Cup verteidigt. Es schlug im alles entscheidenden 19. Rennen Herausforderer Emirates Team New Zealand und kam 44 Sekunden vor dem Rivalen ins Ziel. Der Titelverteidiger verwandelte damit einen 1:8-Rückstand in einen 9:8-Erfolg.

Es hat schon zuvor in der Cupgeschichte mitunter knappe Resultate gegeben. 1920 etwa, auch 1983. Aber meist ging der Zweikampf zu null aus. "Diese Regatta hat das Segeln für immer verändert", glaubt Oracle-Chef Larry Ellison nach dem Cup-Krimi von San Francisco.

Oracle-Chef Larry Ellison holte den America's Cup nach Karlifornien

Der Multimiliardär hatte den Cup nach Kalifornien geholt und die Stadt mit seinem privaten Vermögen bei der Ausrichtung dieses wichtigsten Segelereignisses unterstützt. Als Verteidiger fiel ihm das Recht zu, die Bedingungen des Wettbewerbs zu diktieren, und er brach mit den Traditionen. Erstmals sollten 22 Meter lange Katamarane gegeneinander antreten, bestückt mit komplizierten Flügelmasten, die dem Flugzeugbau entlehnt sind. Flügelschwerter versetzen sie zudem in die Lage, sich aus dem Wasser zu erheben und zu "fliegen" - "Foiling" heißt diese Technik. Segeln sollte ein Funsport werden. Extremer und zuschauerfreundlicher. Eine Droge für die Jugend.

Dass dieser Fun auch gefährlich ist, machte allen Beteiligten der Trainingsunfall des schwedischen Artemis-Teams klar. Als das Boot kenterte und zerbrach, wurde der Brite Andrew Simpson in dem Wrack eingeklemmt und ertrank. War es das wert?

Vor allem auf Ellison selbst übte seine Vision eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Als er am Dienstag vor tausenden Zuhörern die Keynote-Speach auf der Hausmesse seines Software-Imperiums halten sollte, sagte er sie kurzerhand ab. Er konnte sich das Rennen einfach nicht entgehen lassen, das wieder das letzte hätte sein können, wenn die Neuseeländer gewonnen hätten. "Wenn es nun ein paar Kids gibt", sagt er, "die inspiriert worden sind, Segeln zu gehen, bin ich ein glücklicher Mann."

Er kann einfach nicht verlieren. Nachdem Ben Ainslie mit seiner vierten Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von London vor einem Jahr zur Legende geworden ist, hat er nun als Taktiker des US-Teams auch noch die wahre Krone des Segelns errungen.
Er kann einfach nicht verlieren. Nachdem Ben Ainslie mit seiner vierten Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von London vor einem Jahr zur Legende geworden ist, hat er nun als Taktiker des US-Teams auch noch die wahre Krone des Segelns errungen.

© dpa

Noch eineinhalb Wochen zuvor musste Ellison fürchten, seine Revolution nicht weiter verfolgen zu können. Denn das von ihm großzügig finanzierte Team lag heillos zurück, hatte erst drei Rennen gewonnen von elf, die es brauchte. Der Cup drohte abermals nach 1995 nach Neuseeland entführt zu werden, und dass die Kiwis anderes mit ihm vorhaben würden, hatte Teamchef Grant Dalton zumindest anklingen lassen. Er plädierte für die Wiedereinführung der Nationenregel, nach der die Segler aus demselben Land kommen müssen wie ihre Boote.

Mit Ellisons Anspruch verträgt sich das nicht. Er steht einem internationalen Konzern vor, ist ein Kind des Silicon Valley, und sein wirtschaftlicher Erfolg fußt auch darauf, sich die wilde, individualistische Kreativität der IT-Szene Kaliforniens zu nutze gemacht zu haben. Er baut auf Köpfe, nicht auf deren Pässe. Er will die Besten um sich haben. Und so kaufte er sich, als er im Jahr 2000 seiner Leidenschaft des Hochseesegelns müde den America's Cup ins Auge fasste eine Phalanx von Top-Seglern zusammen. Im Zentrum der australische Skipper Jimmy Spithill, umgeben von drei weiteren Australiern, zwei Neuseeländern, und drei Europäern. Unter den elf Besatzungsmitgliedern an Bord von USA 17 waren nur zwei Amerikaner. Und einer davon, Taktiker John Kostecki, musste dann auch noch dem britischen Olympiahelden Ben Ainslie weichen, den Ellison nach dessen Goldmedaille von London, seiner vierten, in dieses Dreamteam gelockt hatte. Nun standen quasi sieben olympische Medaillen hinter dem Skipper. Spithill, Ainslie und Olympiasieger Tom Slingsby waren die Besten, aber zunächst nur jeder für sich.

"Das ist es, das ist es", brüllt er seine Mitsegler an.

C'mon, guys. Team USA fliegt davon.
C'mon, guys. Team USA fliegt davon.

© Pixathlon

Die Supergroup agierte wie ein Starensemble zuweilen zu agieren pflegt. Am Start zu aggressiv damit beschäftigt, den Gegner unter Druck zu setzen, verpasste Spithill mehrere Male den richtigen Moment für den Absprung in das "Drag Race", den Beschleunigungsspurt zur ersten Wendemarke. Bei Manövern griff noch zu wenig ineinander. Das aber wirklich problematische Defizit zeigte sich erst auf der Kreuz, bei der die ohnehin mühsam wendenden Katamarane im Zickzackkurs gegen den Wind anfahren. Barkers Aotearoa war der USA 17 hier weit überlegen, schaffte 26 Knoten, zwei mehr als der Kontrahent, und hängte ihn ab. Auch die Manöver wollten den Kiwis besser gelingen.

Im Vorfeld des Cups hatte Oracle Team USA mit zwei baugleichen AC72-Katamaranen Match-Race-Situationen trainiert. Offenbar genügte das jedoch nicht angesichts der Wettkampferfahrung, die Team New Zealand im Louis-Vuitton-Cup gesammelt hatte. Und dann kam noch hinzu, dass die Oracle-Crew ihren Prototyp im Oktober des vergangenen Jahres zu Schrott gefahren hatte. Monatelang mussten sie mit dem Training aussetzen. So waren es die Kiwis, die wesentliche Innovationen vorantrieben. Sie waren die Ersten, die das "Foiling" auf den eigentümlich abgeknickten Ski-Schwertern beherrschten, die Ersten, die auf diesen Kufen durch den Wind gingen, die Ersten, die eine Rollwende hinbekamen und die also die seglerischen Dimensionen aufzeigten. Vielleicht hätten sie das nicht tun, oder ihr Können besser verstecken sollen.

Denn dann geschah, was für den America's Cup typisch ist. Die technischen Abteilungen tüftelten in Nachtsitzungen an Lösungen, um die Boote leichter und effektiver zu machen. Bei beiden Teams. Auch die Neuseeländer wurden immer schneller, schraubten den Am-Wind-Spead auf über 28 Knoten hoch. Doch was Oracles Schwäche gewesen war, wurde nun zu ihrer Stärke. Sie schafften bald 30 Knoten. Und das schnellere Boot gewinnt immer.

Wenn diese Entwicklung nur ein bisschen später gegriffen hätte, wäre der Cup an Neuseeland gegangen. Die vielen kleinen Modifizierungen überraschten denn auch Barker. Im achten Rennen - die Kiwis hatten zuvor nur eines drangeben müssen - wäre er beinahe gekentert, so sehr setzte Spithill ihn plötzlich unter Druck. Die Zeit war dem Herausforderer davongelaufen. Die vielen Punkte auf seinem Konto zählten schon nicht mehr.

Das letzte Rennen war noch einmal eine Demonstration dessen. Barker gewinnt den Start, hält Spithill zunächst knapp auf Distanz, wobei die beiden Boote in rasendem Tempo und so dicht wie nie zuvor hintereinander die Rennstrecke hinabrasen. Unten angekommen, ändert sich das Bild. Nun ist es Spithill, der seinen Gegner niederringt, pro Schlag nimmt er Barker zwei Schiffslängen ab. Während es an Bord der Aoreatoa immer leiser wird und der Blick von Taktiker Ray Davies immer ratloser, feuert Sir Ben Ainslie seine Leute an: "Das ist es, das ist es, reißt euch den Arsch auf!"

Die Kosten eindämmen? Dass diese Boote teuer sind, ist der einzige Vorteil, den Milliardär Larry Ellison hat.
Die Kosten eindämmen? Dass diese Boote teuer sind, ist der einzige Vorteil, den Milliardär Larry Ellison hat.

© AFP

Die Männer an den Winschen kurbeln da bereits seit 15 Minuten ununterbrochen. Sie müssen wie Ruderer an die Grenze dessen gehen, was sie ertragen können. Pausen gibt es nicht. Es sei "körperlich das bei weitem Anstrengendste, was Segler je gemacht haben", hat Jimmy Spithill in Interviews erklärt. Als die Konditionstrainer einmal die biometrischen Daten nach einer besonders anspruchsvollen Einheit auslasen, habe es so ausgesehen, "als hätten ein paar der Burschen Herzinfarkte gehabt".

Dean Barker weiß, dass er ein ganzes Land enttäuscht hat

Dean Barker ist am Ende in Tränen aufgelöst. Auf der anschließenden Pressekonferenz räumt er ein, im vorletzten Rennen realisiert zu haben, dass sie in Schwierigkeiten waren. Die Anderen segelten "einfach um uns herum". Der 41-Jährige weiß, dass er ein ganzes Land enttäuscht hat. Über die Hälfte der 4,4 Millionen Neuseeländer hat das Rennen verfolgt. Mit 20 Prozent war der Staat am Budget des Teams beteiligt. Und es ist ein schwacher Trost für Dean Barker, dass er nun für seinen Sportsgeist und von Larry Ellison als „Champion“ gelobt wird. "Auf niemandes Schultern sollten die Erwartungen einer ganzen Nation lasten wie jetzt auf Deans", sagt er.

Was wird nun aus dem Cup? Ellison bestätigt nur wenige Stunden nach dem Triumph, dass es bereits eine offizielle Herausforderung gebe. Von wem, verrät er nicht. Er weiß, dass er sich um die explodierenden Kosten kümmern sollte. „Es ist kein Geheimnis, dass die Boote teuer sind und dass wir sehr gerne nächstes Mal mehr Länder dabei hätten. Wir müssen sehen, wie wir es hinkriegen, dass die Boote so spektakulär bleiben, aber mehr Teams dabei sind“, sagt er. Kommentator Ken Read meint, Amerika sollte sich fragen, warum kaum Amerikaner dabei sind. Es sei "bedenklich", dass nur ein einziger auf dem Siegerboot mitfuhr.

Australien hätte schon jetzt wieder ein wunderbares Team. Neben Spithill gehören sieben Aussies zu Oracles Top-Leuten. Und wenn man hört, wie sehr Spithill von seinen Anfängen schwärmt, als er 19-jährig das Ruder an Bord der Young Australia übernahm, könnte daraus auch eine Gefahr erwachsen. Er steuerte 1999 das älteste Boot mit der jüngsten Crew und dem wenigsten Geld. Sie seien chancenlos gewesen, sagt er, aber es sei das Beste gewesen, was er je erlebt habe. Die australischen Bemühungen um den America's Cup schliefen danach ein. Es wäre auch eine Art Comeback.

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