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Es wäre nach 1995 das zweite Mal, dass das kleine, segelbegeisterte Neuseeland den Cup gewinnen könnte.

© Reuters

America's Cup: Einen Schritt vom Mythos entfernt

Beim America’s Cup führen die Neuseeländer gegen Team USA 6:1 und brauchen am Montag nur noch einen Sieg.

Ein Wunder ereignet sich wider die Wahrscheinlichkeit. Das ist sein Wesen. Aber was ist das, auf ein zweites Wunder zu hoffen? Eines, das sich nach demselben Muster sein Recht verschafft wie beim ersten Mal. Bloß Irrsinn.
Trotzdem wird dieses Spiel gerade mal wieder durchexerziert beim America's Cup. Weil Jimmy Spithill als Leader des amerikanischen Cupverteidigers es 2013 vor San Francisco schon einmal schaffte, einen uneinholbar geglaubten Rückstand in einen Triumph zu verwandeln, erwarten die Beobachter dasselbe Kunststück von ihm nun abermals. Am Sonntag, vor den Rennen sieben und acht des in Bermuda ausgesegelten America's Cup, lag das US-Team abgeschlagen hinter den Neuseeländern mit 1:4 Punkten. Doch hatte Spithill am Vortag kurz zeigen können, was in ihm und dem an etlichen Stellen neu konfigurierten Boot steckt. Nach einem fehlerlosen Rennen ließ er die Neuseeländer erstmals hinter sich.

Nun, da die Kontrahenten offensichtlich mit demselben Geschwindigkeitspotenzial auf die Regattastrecke gingen, kam es auf seglerische Erfahrung an. Peter Burling, der mit 26 Jahren ziemlich junge Skipper der neuseeländischen Herausforderer, leistete sich den Luxus, den Gegner immer wieder frei ziehen zu lassen, bis der von einem Winddreher profitierte und davonzog. Er hätte ihn konsequent „decken“, also jede seiner Bewegungen wie ein vorauseilender Schatten antizipieren und kontern müssen. Es wäre die Taktik gewesen, die Segeln zu einem wahrhaft brutalen Sport machen kann. Nicht umsonst hat sich das Sprichwort erhalten: jemandem "den Wind aus den Segeln nehmen".

Die Taktik bürdet aber auch dem Führenden eine defensive Haltung auf, die nicht jedem Segler liegt. Man verteidigt seine Position quasi die ganze Zeit nach hinten, was auch für den, der die Vorteile auf seiner Seite hat, ein Geduldspiel ist und wenig von dem Glanz eines unangefochtenen Start-Ziel-Sieges hat.

Als einen Befreiungsakt betraten die Männer um Grant Dalton ihre Aufgabe

Dass Burling sich dieser Taktik am Sonntag unterwirft, zeigt, wie lernwillig Burling ist in einem Team, das mit Syndikatschef Grant Dalton einen der profiliertesten Segler der Welt in den eigenen Reihen hat. Er dürfte seinen Teil dazu zu sagen gehabt haben, dass Burling sich dem Infight kraftraubender Wendeduelle nicht gestellt hat. Jedenfalls wird Burling an diesem Tag zu einem Gegner, der Spithill jegliches Blut aus den Adern presst. Immer, wenn der sich mit einer Wende seines lästigen Widerparts erwehren will, ist Burling schon vor ihm da. Die Zuversicht, die die Amerikaner sich mit ihrem ersten Sieg in dieser Rennserie gerade erst verschafft hatten, sie verfliegt wie Puderzucker auf einem im Wind zurückgelassenen Kuchen.

Das geht schon mit den Starts los. Spithill hat einen unangenehmen Ruf als aggressiver Starter, „Pitbull“ wird er gerufen. Trotzdem hat er jedes Mal das Nachsehen. Sind es in Rennen sieben nur wenige Meter, die Burling aber ausreichen um mit über 30 Knoten (54 Stundenkilometer) sicher als erster um die erste Bahnmarke zu schießen, wird er in Rennen acht schlimm düpiert. Burling jagt nach einem Kringel, nach dem man eine solche Beschleunigung gar nicht erwartet hätte, von hinten heran und legt sich so geschickt an Spithills offene Flanke, dass der weit abdrehen muss und sämtliche Fahrt aus dem Oracle-Katamaran weicht. Mit zwölf Sekunden Rückstand überquert Spithill die Startlinie. Das ist es dann. Obwohl die Boote in technischer Hinsicht durchaus ebenbürtig scheinen, hat Team USA keine Chance, zu den Jungs aus Neuseeland aufzuschließen. Und was als Resthoffnung bei ihnen noch vorhanden sein mag, machen sie sich zunichte, als sie versehentlich die Bahnbegrenzung überfahren und eine Strafzeit aufgebrummt bekommen.

Am Ende steht es 6:1 für Neuseeland, das den America's Cup mit einem letzten Sieg am heutigen Montag für sich entscheiden könnte. Es wäre nach 1995 das zweite Mal, dass das kleine, segelbegeisterte Land den Cup aus amerikanischen Händen befreien würde. Denn als einen Befreiungsakt betrachten die Männer um Grant Dalton ihre Aufgabe. Sie sehen den Cup unter der Ägide des Software-Milliardärs Larry Ellison zu einem technologischen Speed-Zirkus verkommen. „Nur eine weitere dreckige Regatta“, nannte Dalton das Bermuda-Spektakel unlängst, er will der ältesten Sporttrophäe der Welt wieder den Glanz des Einmaligen zurückgeben. Dafür braucht er natürlich kein Wunder.

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