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Amputierten-Fußball-Team: Auf Krücken zum Tor

Kicken war schon immer seine Leidenschaft. Nachdem Bastian Pusch bei einem Unfall sein rechtes Bein verloren hatte, musste er umdenken. Nun spielt er in einem "Amputierten-Fußball"-Team - ohne Prothese.

 

„Damals hätte ich auch nicht gedacht, dass das mit uns 20 Jahre geht“, sagt Bastian Pusch und schmunzelt, als er sich an seine erste Begegnung mit Peter Dorn vom Braunschweigischen Gemeinde-Unfallversicherungsverband (BS GUV) erinnert. Der Anlass für das erste Treffen vor knapp zwanzig Jahren war jedoch ein ernster. Dorn besuchte den damals 18-jährigen Pusch aus Königslutter im Krankenhaus, nachdem dieser bei einen Autounfall auf dem Weg in die Berufsschule das rechte Bein verloren hatte. Als Schüler ist er bei diesem "klassischen Wegeunfall" automatisch über die gesetzliche Unfallversicherung versichert. In seinem Fall ist der BS GUV zuständig.

BS GUV-Mitarbeiter Dorn war dann gekommen, um mit Bastian Pusch die rehabilitativen Schritte zu besprechen, die schlussendlich zur Wiedereingliederung in seine Ausbildung führen sollten. Zum ersten Mal wurde Pusch darüber aufgeklärt, was ihm als Verletztem alles zusteht, auf welche Hilfen und Leistungen ein Anspruch besteht. Er bekam eine zeitliche Vorstellung davon, wann er wieder ins Berufsleben zurückkehren könnte.

Heute, 20 Jahre später, hat der BS GUV dieses Verfahren weiterentwickelt und verbessert. Der Begriff „Reha-Management“ beschreibt den geplanten Ablauf vom Unfall zurück ins Berufsleben: zunächst wird ein "Tätigkeitsprofil" des Verletzten erstellt und mit dem Arbeitgeber abgeglichen. Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit Ärzten und Therapeuten und es wird ein verbindlicher Reha-Plan entwickelt und umgesetzt.

Die Erfahrungen, die er früher beim Training gesammelt hatte, halfen ihm bei der Rehabilitation

Nach der Reha-Planung ging es für Pusch direkt in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik nach Hamburg. Sie gehört zum Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherungen. Hier fand er alles unter einem Dach, was für seine Rehabilitation wichtig war. Er bekam einen streng durchgetakteten Behandlungsplan, mit Behandlungselementen wie Physiotherapie und Massagen, durch die er Stück für Stück seine Arbeitsfähigkeit zurückerlangen sollte. Außerdem wurde eine Prothese angepasst und in der Gehschule des Krankenhauses trainierte er das Laufen mit der Prothese. Besonders wichtig waren ihm die Gespräche mit dem Seelsorger, der ihm Rat zu Fragen zum Leben mit einer Amputation bot. Einen besonderen Stellenwert nahm für Pusch in dieser Zeit auch der Sport ein. Statt nachmittags im Rollstuhl durchs Krankenhaus zu rollen, zog er es vor, die Nachmittage in der Sporthalle zu verbringen. Das Sporttreiben mit anderen war für ihn auch ein Ausgleich zum Einzeltraining mit dem Physiotherapeuten. Er probierte Sportarten wie Rollstuhlbasketball oder Rollstuhltennis aus. Schon vor dem Unfall hatte Pusch viel Sport getrieben. Auf dem Fußballplatz groß geworden, trainierte er zeitweise bis zu fünf Mal pro Woche, unter anderem Baseball oder Basketball. Erfahrungen, die er bei diesem Training gesammelt hatte, halfen ihm auch während der Rehabilitation. Pusch wusste durch seine Saisonvorbereitungen beim Fußball, was Muskeltraining bewirken kann und wie schnell Fortschritte erreicht werden können. Dieses Wissen motivierte ihn während der Reha, immer weiterzumachen und jeder Erfolg animierte ihn, auf den nächsten hinzuarbeiten.

Die Eingliederung in seinen Beruf nach der Reha verlief reibungslos, sein Arbeitgeber zeigte sich sehr kooperativ. Pusch stand vor dem Unfall kurz vor der Abschlussprüfung zum Bankkaufmann und hatte bereits eine Übernahmezusage, die der Arbeitgeber auch nach dem Unfall problemlos verlängerte. Die stundenweise Eingliederung war auf sieben Wochen angelegt, aber Pusch lebte sich so gut wieder am Arbeitsplatz ein, dass er schon nach drei Wochen wieder in Vollzeit arbeiten konnte. Nach dem Unfall trainierte er zunächst im Fitnessstudio und fuhr ein bisschen Rad. Seine Leidenschaft zum Fußball konnte er nur passiv als FC Bayern München-Fan im Stadion oder beim Fußballkartentauschen mit Peter Dorn – ein BVB-Fan - ausleben.

Durch Zufall stößt er auf den Amputierten-Fußball - seitdem ist er dabei

2013 stößt Bastian dann zufällig auf einer Website auf den Amputierten-Fußball. Er hinterlässt einen Eintrag im Gästebuch und wird prompt zum Training eingeladen. Seitdem ist er dabei und hat in drei Jahren nur zwei Trainingseinheiten verpasst. Durch die geringe Verbreitung des Sports schafft er direkt den Sprung in die Nationalmannschaft und bestreitet nur acht Wochen nach seinem ersten Training ein Länderspiel gegen Holland. Inzwischen ist der Amputierten-Fußball eine Herzensangelegenheit von Pusch. Gemeinsam mit Mitspieler Christian Heintz arbeitet er ehrenamtlich als Koordinator beim Amputierten-Fußball Deutschland. In ganz Deutschland gibt es mittlerweile vier Mannschaften, doch das reicht Pusch nicht. Seine Vision ist es, bis 2020 eine richtige Liga mit mehreren Mannschaften und eigenem Spiel- und Trainingsbetrieb zu etablieren. Zu diesem Zweck müssen sich aber mehr Menschen mit Amputationen für diese Art von Fußball begeistern. Das ist vielleicht der Nachteil der medizinischen Versorgung. Dadurch, dass jedem Menschen mit einer Beinamputation eine Prothese zusteht, ist wenig Verständnis dafür da, ohne Prothese und nur mit Krücken zu spielen. Dass man dabei aber viel wendiger ist und schneller reagieren kann, ist den wenigsten Menschen bewusst. Viele schämen sich auch und versuchen ihre Amputation und ihre Prothese so gut es geht zu verstecken. Pusch, dem es anfangs ähnlich ging, kann das gut nachvollziehen. Er möchte aber aus diesem Grund andere dazu motivieren, die Prothese für eine Weile in die Ecke zu stellen und einfach Fußball zu spielen. Seine Frau und seine beiden Kinder stehen dabei immer hinter ihm. Auch Peter Dorn ist immer an seiner Seite. Sei es nun, wenn wieder eine neue Prothese

gebraucht wird, wenn Mitglieder für die Mannschaft angeworben werden müssen oder um einfach nur mal Fußballkarten zu tauschen. Bastian Pusch weiß, auf Peter Dorn kann er sich verlassen - und das seit 20 Jahren.

Isabella Wimmer

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