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Sport: An der Schmerzgrenze

Bei der EM streiten die Dressurreiter darüber, was den Pferden im Training zugemutet werden darf

Berlin - Aufgeregt reicht die Olympiasiegerin Anky van Grunsven den Telefonhörer zu ihrem Trainer und Ehemann Sjef Janssen hin und wieder zurück, die Sprache wechselt vom Deutschen ins Niederländische und wieder ins Deutsche. „Wir fühlen uns tief beleidigt“ sagt Sjef Janssen.

Gestern wurde Anky van Grunsven mit der niederländischen Mannschaft zwar nur Vize-Europameisterin der Dressur, aber das ist nicht der Grund ihrer Aufregung. Von Tierquälerei in der Dressur-Szene ist die Rede, eine Diskussion um Trainingsmethoden jenseits des Wettkampf-Vierecks ist entbrannt.

Anlass waren Bilder vom Abreiteplatz der niederländischen Meisterschaften im Juni, veröffentlicht im Internet. Zu sehen waren Pferde, die den Kopf nur wenige Zentimeter vor der Brust tragen, teilweise mit aufgesperrten Mäulern – was Schmerz bedeuten kann. Einige der Reiter waren Laurens van Lieren, Anky van Grunsven, Edward Gal – drei Mitglieder des Nationalteams. Das nahm die Pferde-Fachzeitschrift „St. Georg“ zum Anlass, über fragwürdige Trainingsmethoden in der Dressurszene zu berichten.

Um ein Pferd tragfähig für den Reiter zu machen, müssen Rücken-, Bauch- und Hinterhandmuskeln trainiert werden. Dehnt man den Hals, dehnt sich auch die Rückenmuskulatur – soweit sind sich alle einig. Wie der Hals aber gestreckt wird, das wird diskutiert. Umstritten ist eben die Methode, den Hals eines Pferdes so „aufzurollen“, dass es mit dem Maul fast die Brust berührt. Jenseits des Vierecks reitet auch van Grunsven ihre Pferde phasenweise in dieser Haltung. Nach den „Richtlinien für Reiten und Fahren“, dem Grundlagenwerk der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), ist das falsch. Der Hals soll nur soweit gestreckt werden, dass die Nasenlinie des Pferdes senkrecht zum Boden steht. Kippt sie in Richtung Boden, so wird nach FN-Lehre das Gleichgewicht des Pferdes gestört, schmerzhafte Verkrampfungen können folgen.

Nun streitet sich die Fachwelt, und das während der EM, in der die kritisierten Niederländer nach jahrzehntelanger deutscher Vorherrschaft zu den Favoriten zählten. Die Reaktionen sind gespalten: Die einen sind froh, dass das Thema endlich auf den Tisch kommt. Zu ihnen gehört Klaus Balkenhol, Trainer der US-Nationalmannschaft. „Kein Pferd lässt sich ohne Zwang in so eine Haltung bringen. Das ist Stress fürs Tier, Quälerei“, sagt er. Andere finden den Zeitpunkt der Diskussion peinlich. „Es ist unerhört, zur EM derart Stimmung gegen unsere Gäste zu machen“, sagt Reitmeister Johann Hinnemann. Den Titel des Reitmeisters verleiht die FN nur an eine Hand voll besonders erfolgreicher Ausbilder. Tierquälerei im Spitzensport gäbe es aber, sagt Hinnemann, nur müsse man im eigenen Land anfangen: „Solche Bilder sieht man auf vielen Turnieren in allen Klassen.“

Anky van Grunsven ist keineswegs die einzige Profireiterin, die die Methode des „Aufrollens“ anwendet. Schon Nicole Uphoff praktizierte das phasenweise bei ihrem Rembrandt. Das sei ohne Zwang möglich gewesen, sagt Christoph Hess, Leiter der Abteilung Ausbildung der FN. „Ich habe Nicole Uphoff häufig trainieren sehen. Dieses Pferd wurde nie mit Zwang geritten, das ginge gar nicht, da hätte sich eine Persönlichkeit wie Rembrandt nur gewehrt.“ Der Unterschied zu Janssens Methode ist: Der Niederländer sieht den Kern seines Trainings im schnellen Wechsel der Halshaltung. So extrem zur Seite oder zur Brust geführte Pferdeköpfe sind sonst kaum zu sehen. „Was wir machen, tut jeder Sprinter: Nicht nur 100 Meter laufen, sondern mal Fitness, mal Dehnung, mal Ausdauer trainieren.“ Er ist sich sicher, dass seine Pferde zufrieden sind.

Balkenhol hält dagegen: „Wenn man schlagende Schweife, nervöses Ohrenspiel und das Weiße im Auge sieht, ist das ein Zeichen für Unzufriedenheit.“ Langfristig würde eine solche Reitweise zu seelischen Schäden beim Pferd führen, die sich physisch beispielsweise als Magengeschwüre zeigen. Es wird sogar diskutiert, ob das Aufrollen zu Entzündungen der Halswirbel führt, verstärkt Gelenkprobleme durch verschobene Belastungen auftreten. Tierarzt Arnold Hülsey dagegen sieht eine gesundheitliche Gefahr der Aufroll-Mode nicht bei der Elite, sondern bei den Hobbyreitern. „Amateure überschätzen ihr Feingefühl schneller“, sagt Hülsey. „Beim Profi steht immer noch der Trainer daneben, der sagt: Jetzt stopp, sonst wird es dem Pferd zu viel.“

Die Nachahmung ist die Gefahr, und Handlungsbedarf herrscht vor allem auf Amateurebene. Es sei unglaublich, dass Nachwuchsreiter in schweren Prüfungen reiten, Reitlehrer aber bloß in der mittelschweren Klasse geprüft werden, sagt Johann Hinnemann: „Solange die FN ihre Reitlehrer nicht besser ausbildet, wird sich das Bild auf Turnieren nicht ändern.“

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