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Londons Ostkurve. Im Olympiastadion soll das Herz der diesjährigen Sommerspiele schlagen – und damit auch den Osten der altehrwürdigen englischen Hauptstadt beleben.

© dapd

Analyse: Was bringen Olympische Spiele?

Metropolen wollen sich eine Verjüngungskur mittels Olympia verpassen – doch nicht immer sind die Spiele ein Segen für die Ausrichterstadt. Eine Rückschau auf Gewinner und Verlierer.

Von Christian Hönicke

Inzwischen belegen viele Studien, dass Olympia weder die Beschäftigung noch die Einkommen langfristig steigen lässt. Warum also Olympia? „Dafür gibt es viele Argumente“, sagt Wolfgang Maennig. Der Ruder-Olympiasieger von 1988 und heutige Sportökonom beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von Sportevents und hat dafür schon viele Statistiken gewälzt und erstellt. Er erzählt vom „Feelgood-Effekt“, vom Stolz auf die eigene Stadt. Und vom sogenannten „Nation Brands Index“, in dem versucht wird, das Ansehen eines Landes zu messen. Dabei schätzen weltweit Menschen Länder anhand von 17 Kriterien ein, etwa dessen Gastfreundschaft oder Kultur. „Vor der WM 2006 lag Deutschland da immer so zwischen Rang vier und sieben“, sagt Maennig, „danach konstant auf Platz zwei. In allen Kategorien haben wir uns nach der WM klar verbessert.“

Inzwischen geht man davon aus, dass auch Olympia das Ansehen eines ganzen Landes nachhaltig beeinflussen kann. In Australien hat man im Jahr 2000 errechnet, dass Olympia in Sydney dem Land eine Werbewirkung im Wert von etwa vier Milliarden Euro bescherte. Seit die Spiele von Mexiko City 1968 erstmals live und in Farbe in aller Welt zu sehen waren, sind sie aber vor allem für die Metropolen dieser Welt die attraktivste Werbebühne. Knapp fünf Milliarden Menschen werden in wenigen Tagen verfolgen, wie sich das altehrwürdige London eine Verjüngungskur verpassen will.

Die Olympischen Spiele sind aber mehr als ein zweieinhalbwöchiger Werbespot. Sie sind ein gigantisches Renovierungsprojekt: Im Wettkampf der Metropolen bietet Olympia die große Chance, in kürzester Zeit Infrastruktur und Image zu modernisieren – wenn man es gut plant. „München war da ein bisschen stilbildend“, sagt Hans-Jörg Stiehler. Der Leipziger war an einem Projekt der „Internationalen Gesellschaft für Medien und Kommunikationsforschung“ beteiligt, die die Auswirkungen von Olympischen Spielen auf die Städte von München 1972 bis Athen 2004 untersuchte. Mit unterschiedlichen Ergebnissen. München etwa habe „von der Infrastruktur her und von der Bedeutung des Orts ungeheuer gewonnen“, sagt Stiehler. „Sie haben eine ordentliche U-Bahn bekommen, Stadt- und Sportinfrastrukur erhalten und das olympische Dorf mit gescheiter Nachnutzung.“ Die Stadt erfand sich auch ein bisschen neu: „Durch Olympia ist München als Kultur- und Medienstandort überhaupt erst auf die internationale Landkarte gekommen.“

In einem neuen Licht. Die Olympischen Spiele 2000 brachten Sydney ein modernes Image (im Bild die Oper) und Australien einen Werbewert von vier Milliarden Euro ein.
In einem neuen Licht. Die Olympischen Spiele 2000 brachten Sydney ein modernes Image (im Bild die Oper) und Australien einen Werbewert von vier Milliarden Euro ein.

© picture alliance / Sergio Pitami

Erfolgreiche Stadtrenovierung betrieb 1992 auch Barcelona. Der schmuddligen Hafenstadt gelang die Wandlung zur Kulturmetropole. Die halbe Innenstadt wurde saniert, mit dem olympischen Dorf entlang der Küste wurde ein komplett neues Stadtviertel gewonnen und die Verkehrsinfrastruktur verbessert. „Die Stadt ist richtig aufgeblüht und profitiert immer noch davon“, sagte Stiehler.

Montreal hat noch heute an den Spielen von 1976 zu knabbern

Die überdimensionierten Sportstätten von Athen 2004 verrotten derweil.
Die überdimensionierten Sportstätten von Athen 2004 verrotten derweil.

© AFP

Münchens direkter Nachfolger Montreal dagegen ist ein Beispiel dafür, dass Olympia auch ein Fluch sein kann. Kanada ließ die Stadt damals mit den ausufernden Kosten allein, „und sie bezahlen immer noch dafür“, sagt Stiehler. Das Finanzdebakel von Montreal markierte einen Wendepunkt. Inzwischen werden Olympiabewerbungen als nationale Aufgabe betrachtet, deren Finanzierung meist das ganze Land übernimmt.

Die Attraktivität einer Bewerbung für die Städte ist dadurch gestiegen, „denn so kann man Töpfe für die Stadtentwicklung anbohren, an die man sonst nicht oder erst viel später herankommen würde“, sagt Stiehler. Sportökonom Maennig rechnet vor: Olympia in London soll die Briten zwischen neun und 14 Milliarden Euro kosten. „Aber die Organisationskosten liegen traditionell nur bei etwa 2,5 Milliarden Dollar und werden voll gedeckt durch die Einnahmen der Organisationskomitees – die Masse stellt das IOC aus Fernseh- und Sponsoringerlösen bereit.“ Die restlichen Baukosten seien keine reinen Olympiakosten. Viele Verkehrs- und Infrastukurmaßnahmen seien meist ohnehin nötig und würden einfach vorgezogen. So wurde in London das Eisenbahnnetz ausgebaut, um die unter ihrem Alter ächzende U-Bahn zu entlasten. Und das olympische Dorf im Ostlondoner Stadtteil Stratford soll später in dringend benötigten Wohnraum umgewandelt werden.

Die sinnvolle Nachnutzung von Infrastruktur und Anlagen ist der entscheidende Faktor für die Olympiastadt. Hier kann sogar eine gescheiterte Bewerbung ihr Gutes haben. Obwohl Berlin nicht den Zuschlag bekam, wurden damals Velodrom und Max-Schmeling-Halle gebaut – zwei Veranstaltungsorte, die auch heute noch benötigt werden.

Athen scheiterte 2004 an dieser Frage. „Die Stadt und das Land waren für Olympia nicht geeignet“, sagt Maennig. Man baute eine U-Bahn vom Flughafen in die Stadt, die man sich nicht leisten konnte. „Die Griechen wussten doch, dass sie pleite waren, und hätten besser auf die teure Bewerbung verzichtet.“ Und weil die Stimmung schlecht war und die Anlangen danach verrotteten, hielt sich auch der Werbeeffekt in Grenzen.

Eine ähnliche Erfahrung ist Leipzig zum Glück erspart geblieben. Stiehler ist jedenfalls froh, dass seine Stadt den Zuschlag für 2012 nicht bekommen hat. Die Sportstätten hätte nach den zweieinhalb Wochen kein Mensch mehr gebraucht, und an die Verkehrsschneisen, die durch die Stadt hätten geschlagen werden müssen, mag Stiehler gar nicht denken. Leipzig, sagt er, hätte sich an diesem gigantischen Ereignis „überhoben, und zwar erheblich“. Auch IOC-Präsident Rogge war froh über die Absage an Leipzig; die Stadt sei einfach zu klein für Olympia.

In vier Jahren wird Rio de Janeiro Gastgeber der Spiele sein, das passt schon eher. 2014 findet die Fußball-WM in Brasilien statt. Wie sehr Rio sein Image als Hort von Gewalt und Kriminalität korrigieren will, zeigt sich in der beispiellosen Konsequenz der Bauarbeiten. Unter Protesten von Menschenrechtlern werden Favelas abgerissen, um Platz zu machen. Platz für das neue Rio. Ob es besser als das alte ist, wird sich wie immer erst zeigen, wenn die olympische Flamme erloschen ist.

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