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André Schürrle, 23, spielt in der zweiten Saison für den englischen Erstligisten FC Chelsea. Bei der WM erzielte er drei Treffer, zwei davon im legendären Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien. Im Finale bereitete er den Siegtreffer von Mario Götze vor.

© imago/Contrast

André Schürrle im Interview: „Ich hoffe, dass dieses Gefühl nie aufhört“

Nationalspieler André Schürrle spricht im Interview über sein neues Leben in London, Witze mit seinen brasilianischen Teamkollegen über das WM-Halbfinale, die Rolle als Joker und die Nachwirkungen der Weltmeisterschaft.

Herr Schürrle, am Sonntag war Londoner Fußball-Derby, Ihr Klub FC Chelsea gegen den FC Arsenal. Sonderbares trug sich am Spielfeldrand zu.

Sie meinen das kleine Gerangel zwischen beiden Trainern?

Arsène Wenger ging auf José Mourinho los, oder umgekehrt. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Oh, ich habe sie sogar ganz dicht erlebt. Das ereignete sich auf der Seite, auf der ich gerade spielte. Aber als Spieler bist du so im Spiel drin, du nimmst das zwar wahr, aber es beeinflusst dich nicht.

Bei dieser Handgreiflichkeit?
Klar, man sieht es dann hinterher noch einmal im Fernsehen und natürlich reden wir Spieler dann auch darüber.

Sie schmunzeln ja …
Ach, na ja, wenn man sich das anschaut, kann man das schon mit Spaß sehen, obwohl es während des Spiels für die beiden wohl weniger lustig war. Sie wirkten ernsthaft erregt.

Lässt sich das der besonderen Derby-Atmosphäre zuschreiben?
Ich spiele jetzt seit über einem Jahr für Chelsea. Wir haben im deutschen Fußball ja auch große und hitzige Derbys. Vergleichbar ist es insofern, als dass diese Spiele für die Fans eine große Bedeutung haben. Dann das ganze Drumherum. Und die Trainer sprechen das Thema ja auch noch einmal gesondert an.

Worin sehen Sie den Unterschiede der Premier League zur Bundesliga?
Das Spiel ist schon ein wenig anders. Die Schiedsrichter lassen einiges mehr durchgehen und deshalb ist auch die Spielweise robuster. Es passieren mehr Fouls, darauf musst du dich einstellen.

Indem Sie als junger, vergleichsweise smarter Spieler körperlich zulegen?
Auf jeden Fall. Viele Spieler aus dem Ausland machen diese Erfahrung. Aber es geht nicht darum, eine Maschine zu werden, dass man überall dicke Muskeln aufbaut. Viel mehr muss im Kopf passieren. Du musst dich darauf einstellen, dass du ordentlich attackiert wirst auf dem Platz. Also schaffst du dir die innere Bereitschaft, deinen Körper da reinzustellen und gegenzuhalten, wenn es sein muss.

Das nennt man dann wohl Ausreifung und Aushärtung. Was macht England, was macht Chelsea sonst mit Ihnen?
Ich merke schon, dass mit mir etwas passiert. Ich muss nicht mehr immer unterwegs sein. Meine Freundin und ich haben jetzt einen Hund. Mein ganzes Ich verändert sich, man wird selbstständiger, kriegt neue Bezüge zu den Dingen, die geschehen. Man reflektiert. Für mich ist England eine sehr kostbare Erfahrung.

Sie pendelten in Ihrem ersten Londoner Jahr zwischen Startelf und Joker-Rolle. Haben Sie nicht bald ausgependelt?
Gut gesagt. Aber sehen Sie, es ist doch in einer großen Mannschaft, in der fast nur Weltklasseleute stehen, so, dass nicht jeder von Beginn an spielen kann. Es wird und muss gewechselt werden. Mal läuft man aufs Feld als Startspieler, mal kommt man von der Bank. Wichtig ist, dass man in den wichtigen, in den großen Spielen dabei ist. Das zählt für mich.

Das kennen Sie aus dem Nationalteam.
Sie sagen es. Die WM als Joker war für mich gut, diese Rolle hat mir gutgetan.

Wann war der erste Tag, an dem Sie nicht daran gedacht haben, Weltmeister zu sein?
(lacht) Es gibt wenige solcher Tage, muss ich zugeben. Ich glaube, das wird auch so bleiben, weil es eine tolle Geschichte ist, die nachschwingt, weil es einfach was ganz Großes für mich ist. Ich hoffe auch, dass dieses Gefühl nie aufhört.

Sie werden in die deutsche WM-Geschichte als der berühmteste Passgeber eingehen. Wissen Sie eigentlich, wer bei den anderen deutschen WM-Triumphen den finalen Pass zum Siegtor gegeben hat?
Das ist echt ein gutes Thema. Habe ich noch nicht drüber nachgedacht. Aber jetzt, wo Sie es sagen. Ich werde da gleich mal nachforschen.

Sie sind ja nicht nur der typische Torjäger, sondern bedienen gern andere. Wann sind Sie mit Ihrem Spiel zufrieden?

Ich kann zufrieden sein, wenn ich eine gute Leistung abgeliefert habe und mal kein Tor geschossen und keine Torvorlage beigesteuert habe. Aber das musste ich erst lernen. Sonst zog ich meine Zufriedenheit daraus, wenn ich – wie auch immer – an Toren beteiligt war. Das ist als Offensivspieler die vorrangigste Aufgabe. Wobei das Wichtigste immer ist, dass die Mannschaft gewinnt. Daher achte ich weniger auf meine Quoten als auf die Resultate des Teams.

"Für mich muss der Spaß am Spiel über allem stehen"

André Schürrle, 23, spielt in der zweiten Saison für den englischen Erstligisten FC Chelsea. Bei der WM erzielte er drei Treffer, zwei davon im legendären Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien. Im Finale bereitete er den Siegtreffer von Mario Götze vor.
André Schürrle, 23, spielt in der zweiten Saison für den englischen Erstligisten FC Chelsea. Bei der WM erzielte er drei Treffer, zwei davon im legendären Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien. Im Finale bereitete er den Siegtreffer von Mario Götze vor.

© imago/Contrast

Es ist auffallend, dass die WM körperlich und mental nachwirkt.
Das ist doch ganz normal. Du bist so unter Spannung, wir waren ja sieben oder acht Wochen zusammen, und dann gewinnst du dieses Ding. Da fällt von einem richtig was ab. Und dann musst du nach drei oder vier Wochen, bei mir waren es nur zwei, wieder trainieren und voll funktionieren. Es ist schon schwer, sich gleich wieder zu motivieren und seinen Körper so in Gang zu bekommen.

Wie lief die Selbstmotivation bei Ihnen ab? Sie spielen immer noch wie aufgedreht.
Bei mir ist es so, dass es spezielle Momente gibt, in denen ich reflektiere. Bei einem Flug oder einer langen Autofahrt. Wo man also Zeit für sich selbst hat und seinen Gedanken mal nachgehen kann. Bei mir war das auf der Rückreise aus meinem Urlaub. Das war der Zeitpunkt, als ich den Fußball langsam vermisste. Ich habe auch daran gedacht, was ich erreicht und was für schöne Momente ich erlebt hatte. Und ich sagte mir, dass solche Momente wieder kommen können, weil eine neue Spielzeit beginnt.

Reichten Ihnen denn zwei Wochen Pause?
Eigentlich ist das gar nichts, stimmts? Noch dazu, wenn man als Profi in England auch keine Winterpause hat. Die Spieler aus der Bundesliga werden dann noch mal zwei Wochen Winterpause haben. Aber es bringt ja nichts. Wenn ich jetzt rumjammere, bekomme ich auch keine Winterpause. Aber klar, es hat schon Einfluss. Ich spüre es doch auch, dass ich jetzt etwas mehr Zeit brauche nach den Spielen für die Regeneration.

Dann dürften Sie sich in einem Zwiespalt befinden: Sie wollen immer spielen, sehnen sich aber auch nach Pausen?
Ich kenne meinen Körper ganz gut und habe ein gutes Standing. Wenn ich das Gefühl habe, dass dies besser ist, habe ich auch kein Problem damit zu sagen, dass es der Mannschaft mehr hilft, wenn ich mal erst ab der 70. Minute reinkomme.

Dann doch wieder Joker. In dieser Rolle haben Sie bei der WM drei Tore erzielt und das Finaltor vorbereitet. Haben Sie keine Angst, als Joker hängen zu bleiben?
Angst auf keinen Fall. Wenn es wieder so sein sollte, dass ich beim nächsten Turnier als Joker eingesetzt werde und wir dadurch den Titel holen – kein Problem. Man hat es doch gesehen, dass man als Joker seine Leistung bringen und seine Tore machen kann. Dass man auch seine Aufmerksamkeit bekommt und jeder weiß, der Typ könnte auch von Anfang an spielen. Ich habe den Charakter, dass es dabei um mehr geht als nur um mich.

Nach den Abgängen von Lahm, Klose und Mertesacker findet sich das Team gerade neu, es prägt sich eine neue Hierarchie aus. Wie aktiv begleiten Sie diesen Prozess?
Für mich ändert sich wenig. Ich war vorher auch kein Spieler, der in der Ecke gesessen und nix gesagt hat. Aber klar, man sieht schon, dass sich etwas ändert. Ich kenne das Team nur mit Philipp Lahm als Kapitän, der die Sachen ringsum für die Mannschaft geregelt hat. Das müssen wir jetzt irgendwie auffangen.

Bei Ihnen hat man immer noch den Eindruck, dass Fußball für Sie Lust ist und nicht so sehr ein Beruf …
Oh, es hat sich schon verändert. Wenn man wie ich jung in die Bundesliga kommt, dann ist alles Fun, großartig, viele Zuschauer. Erst mit der Zeit merkt man, was noch dahintersteckt. Man wird etwas bekannter, kann sich nicht mehr so locker und selbstverständlich überall bewegen. Dann sucht man plötzlich seine Ruhe. Aber trotzdem, für mich muss der Spaß am Spiel über allem stehen. Fußball nur als Job, als Arbeit zu sehen, wieder ins nächste Hotel, wieder zum nächsten Spiel zu müssen, dann würde es für mich keinen Sinn mehr haben. Ich empfinde es immer noch als ein großes Privileg, dass ich so ein Leben leben kann.

Dann erzählen Sie uns doch mal, was für Sie der schönste Moment der WM war?
Es ist schwer, da einen Moment rauszupicken. Aber ganz ehrlich, der eine, der vielleicht schönste Moment war, als ich den Abpfiff des Finals hörte. Ich habe es nicht gesehen, wie sich der Schiedsrichter die Pfeife in den Mund steckte. Ich habe nur den Pfiff gehört.

Es war also ein akustischer Moment?
Ja, dieses Geräusch. Mein Gesicht verlor in diesem Augenblick seine Anspannung, ich bin auf die Knie gesackt. Dann blickst du dich um, wie alle rumrennen, wie ihre Gesichter sich verändern – das sind reine Glücksgefühle. Schauen Sie sich doch mal die Gesichter von uns Spielern im Moment des Schlusspfiffs an. Da werden Sie alles sehen, was ich meine.

Haben Sie eine Kopie des Pokals daheim?
Noch nicht, aber so etwas möchte ich auch. Werde mich mal darum kümmern.

Und wo ist Ihre Medaille?
In einem Safe bei meinen Eltern. Und das Finaltrikot hängt bei meinem Vater im Geschäftszimmer.

Gewaschen?
Ich glaube, es ist nicht gewaschen worden. Also mit den Grasflecken vom Maracana drauf.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt

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