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Sport: Anekdoten aus der Provinz

Große Erfolge fehlen Sabrina Mockenhaupt – dennoch verdient sie gut

Berlin - Bei Kilometer sechs musste Sabrina Mockenhaupt eingreifen. Da war es eine Frage der Fairness. Sie sah Eva Maria Stöwer neben sich, sie sah, wie die 21-Jährige unter der drückenden Hitze litt, da reichte ihr Mockenhaupt einen nassen Schwamm, den sie von dem Holzstand neben der Bahn eigentlich für sich genommen hatte. „Ich hab’s gerne getan“, sagt Mockenhaupt. Sie ging ja kein Risiko ein am Sonntag im Koblenzer Stadion. „Es wusste doch eh jeder, dass ich gewinnen würde“, sagt die 24-Jährige. Sie gewann die deutsche 10 000-Meter-Meisterschaft in 34:36,43 Minuten, ihr dritter Titel über diese Distanz. Sie lief lange locker, erst dann zog sie davon. Stöwer keuchte nach 35:02,95 Minuten durchs Ziel. Als Zweite, immerhin.

„Soll ich eine Show machen und vorne weg laufen?“, sagt Sabrina Mockenhaupt von der LG Sieg. „Nee, mache ich nicht.“ Die Sportsoldatin sieht vieles nicht so eng. Mockenhaupt vermischt Unbekümmertheit, Ehrlichkeit und nüchternes Kalkül, und der Mix ergibt eine Sportlerin, die aus der Masse ragt. Dass die Grenzen zur Inszenierung inzwischen zerfließen, gehört dazu. „Sie kommuniziert ideal Einflüsse aus Sport und Lifestyle miteinander“, sagte mal ein Marketing-Experte ihres Ausrüsters. Dessen Konkurrenten versuchten, die Läuferin abzuwerben. Summen bis zu 60 000 Euro pro Jahr waren im Gespräch. Trotzdem sagte sie ab. Ein Hinweis dafür, wie gut sie verdient. Mit ihren Erfolgen allein hätte sie das nie geschafft. Was sind schon sieben deutsche Meistertitel über 5000 und 10 000 m und Platz 15 bei Olympia 2004 über 10 000 Meter wert? Gut, 2005 gewann sie den 10 000-m-Europacup. Aber da fehlten viele starke Gegnerinnen.

Stattdessen fiel sie jahrelang vor allem auf, weil sie so oft aufgab. Aber: Sie fiel auf, das war entscheidend. Sie schien geeignet für die exemplarische Verliererstory der deutschen Leichtathletik. Und genau ab diesem Zeitpunkt wurde die Figur Mockenhaupt entdeckt. Nachdem sie bei der WM 2003 mal wieder ausgestiegen war, schluchzte sie in die Kameras: „Ich hatte Durchfall.“ Ein legendärer Satz, Stefan Raab griff ihn in „TV total“ begeistert auf. Mockenhaupt hätte sich nun bei Antworten auf Worthülsen zurückziehen können. Aber sie gab das nette hessische Mädel aus Wilnsdorf. „Ich bin eine Provinznudel“, sagte sie.

Diese Provinznudel rückte zur Grundausbildung in der Kaserne ein und fragte locker: „Wo ist mein Zimmer?“ Die Antwort wurde geblafft: „Das heißt hier Stube.“ Eigentlich wollte sie „ja Spaß haben in dieser Zeit“. Doch acht Wochen und unzählige Anpfiffe später („einmal, als mein Handy im Gelände klingelte“) lag der Spaßfaktor bei null.

Sie erzählt gerne solche Geschichten. Sie erzählt zum Beispiel, dass sie oft Kuchen mit Sahne isst. Dabei drückt sie ihren Bauch unterm nabelfreien T-Shirt raus. Eine leichte Wölbung entsteht. „Ein Trainer raunte mir mal zu: Zieh den Bauch ein“, sagt sie und lacht. Sie ist 1,56 Meter groß, sie wiegt 45 Kilogramm. Ihr Vater hatte den Trainer-Spruch mitbekommen. Kurz darauf gewann sie in Rehlingen ein Rennen. Auf der Heimfahrt sagte sie ihrem Vater: „Siehst du, auch ein propperes Mädchen kann gewinnen.“ Anekdote reiht sich an Anekdote, und mit jeder weiteren festigt sich ihr Image.

Die Kanten der Stabsunteroffizierin werden dabei überdeckt. Aber Dieter Baumann, der 5000-m-Olympiasieger von 1992, hat sie kennen gelernt, die Kanten. Mit Baumanns Trainingsgruppe war sie 2004 in den USA. Baumann setzte den Trainingsbeginn auf zehn Uhr an. Einmal hielt sich Mockenhaupt daran. Das nächste mal lief sie um 11 Uhr los. Allein. Das fand sie besser. „Ich lasse mir ungern etwas vorschreiben“, sagt sie.

Aber Mockenhaupt ist clever genug, um die Grenzen ihrer Rolle zu erkennen. Die Ausstrahlungskraft einer lockeren Provinznudel erschöpft sich ohne bemerkenswerte Erfolge. Deshalb hätte sie gerne, dass neben ihr eine weitere interessante Figur entdeckt wird. „Sonst“, sagt sie, „wollen die Leute doch bald nichts mehr von mir lesen.“

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