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Merkel

© Kai-Uwe Heinrich

Angela Merkel: „Das Überwinden eigener Grenzen fasziniert mich“

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeichnet heute in Berlin die paralympischen Sportler des Jahres aus. Im Interview erzählt sie, warum Athleten mit Behinderungen keine Sonderrolle benötigen – auch nicht beim Kampf gegen Doping.

Frau Bundeskanzlerin, was fasziniert Sie am Behindertensport?

Generell, und da ist der Behindertensport keine Ausnahme, fasziniert mich am Sport das Überwinden der eigenen Grenzen. Viele Athletinnen und Athleten trainieren lange und mit großer Hingabe auf ein Ziel hin. Bei Sportlern mit Behinderungen kommt hinzu, dass sie wie selbstverständlich zeigen, dass sie trotz ihrer körperlichen Einschränkungen hervorragende Leistungen im Sport erzielen und vorbildlich auftreten. Leistungsbereitschaft und Leistungswille sind gerade bei Spitzensportlern mit Behinderungen in einem Maß ausgeprägt, die jeden Respekt verdienen.

Als Schirmherrin überreichen Sie heute Abend in Berlin bei der „Nacht der Stars“ die Auszeichnungen für die Behindertensportler des Jahres. Warum ist Ihnen dieser Termin so wichtig?

Bei der „Nacht der Stars“ stehen Sportler mit Behinderungen im Rampenlicht, die Herausragendes geleistet haben. Besonders freue ich mich auf die persönliche Begegnung mit den Spitzensportlerinnen und -sportlern. Die Bundesregierung fördert den Spitzensport nach Kräften, und das sollen die Aktiven auch erleben. Ich hatte den Termin seit geraumer Zeit in meinem Kalender vorgemerkt.

Was wollen Sie damit erreichen?

Mit meiner Anwesenheit möchte ich dazu beitragen, dass diesen Spitzenathletinnen und -athleten die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird. Die Medien widmen den herausragenden Sportwettkämpfen im Behindertensport zwar zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Doch könnte dies durchaus noch besser werden. Eine Veranstaltung wie die Verleihung des German Paralympic Media Awards ist eine hervorragende Gelegenheit, hier einen Glanzpunkt zu setzen und öffentliches Interesse zu wecken. Ich möchte dem Förderkreis Behindertensport, dessen Schirmherrin ich bin, sehr danken für sein außerordentliches Engagement.

Was tut der Förderkreis denn praktisch?

Der Förderkreis unterstützt behinderte Menschen und zwar unabhängig davon, ob sie im Verein, in der Schule oder individuell Sport treiben. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei die praktische Hilfe. Dabei kann es um einen Sportrollstuhl gehen oder um Fahrtkosten in eine entfernte Sporthalle, ein Sportgerät in einer Behindertenschule oder um neue Fußbälle in einer Lebenshilfe-Werkstatt. Es sind häufig kleine Einzelbeträge, die große Wirkung zeigen. Auch dies ist wichtig, und es ist gut, dass dies jemand ganz praktisch organisiert.

Zur praktischen Hilfe: Unterstützt auch die Bundesregierung den Behindertensport?

Die Bundesregierung fördert in erster Linie den Leistungssport von Menschen mit Behinderung. Erfreulicherweise konnte die Förderung durch Bundesminister Wolfgang Schäuble in den vergangenen Jahren ausgebaut werden. Lag die Förderung im Haushaltsjahr 2007 noch bei 4,45 Millionen Euro, so ist im Haushalt des kommenden Jahres eine Steigerung um fast 30 Prozent vorgesehen.

Wem kommt diese Hilfe zugute?

Von den Fördermitteln profitieren der Deutsche Behindertensport-Verband, der Deutsche Gehörlosensport-Verband, der Blindenschach-Bund sowie Special Olympics Deutschland. Hinzu kommt die Förderung der Entsendekosten für die Paralympics im nächsten Jahr in Peking, diese beträgt etwa 1,8 Millionen Euro.

Bereiten sich die paralympischen Athleten in eigenen Leistungszentren auf die Spiele vor?

Nein. Bereits seit Jahren sind die Olympiastützpunkte auch für die paralympischen Athletinnen und Athleten geöffnet. Neben der sportmedizinischen und sportfachlichen Verbesserung sehe ich hierin vor allem den Aspekt, dass die Aktiven mit Behinderung in das allgemeine Sportgeschehen der Spitzensportverbände integriert werden. Und hier bin ich bei einem für mich sehr wichtigen Anliegen: Ich möchte uns alle darin bestärken, die Athletinnen und Athleten mit Behinderung als Sportler mit herausragenden Leistungen zu betrachten. Wir tun den Athleten keinen Gefallen und werden deren Leistungen in keiner Weise gerecht, wenn wir deren Behinderung in den Vordergrund stellen.

Wie meinen Sie das?

Die Athleten wollen aufgrund ihrer außergewöhnlichen Leistungen gewürdigt werden. Diesen Respekt haben sie verdient. Hier sollte im Umgang mit den Sportlern mehr Selbstverständlichkeit und Normalität einkehren.

Wie kann der Behindertensport noch stärker integriert werden?

Ich freue mich, dass es mittlerweile gelungen ist, behinderte und nicht behinderte Leistungssportler an gemeinsamen Wettkampfveranstaltungen teilnehmen zu lassen. Positive Beispiele sind etwa die diesjährigen Fecht-Weltmeisterschaften in Turin, die diesjährigen Ruder-Weltmeisterschaften in München oder die nächste Reit-Weltmeisterschaft in Kanada. Diese Maßnahmen tragen zur Integration in die große gemeinsame Sportfamilie bei und lassen ein Stück Selbstverständlichkeit Realität werden. Dies scheint mir ein weites Feld zu sein, auf dem Fortschritte nötig und möglich sind.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat kürzlich bei einer Anhörung vor der Unionsfraktion die Behindertensportler als Vorbilder bezeichnet, weil sie der Gesellschaft deutlich machen, „dass jeder Mensch eine eigene unverwechselbare Würde hat“. Sind Behindertensportler andere Vorbilder als Sportler ohne Behinderung?

Sportlerinnen und Sportler, egal ob mit oder ohne Behinderung, können zu Vorbildern in unserer Gesellschaft werden. Sie können Werte wie Fairness, Toleranz und Integration, aber auch Teamgeist, das Streben nach Höchstleistungen und das Eintreten für einen sauberen, dopingfreien Sport vorleben. Eines trifft jedoch für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen in ganz besonderem Maße zu: Sie machen mit ihren außergewöhnlichen Leistungen anderen Menschen mit Behinderungen Mut, den Weg zum Sport zu finden und ihr Leben aktiv zu gestalten.

Zeigen nicht gerade Behindertensportler, dass sich Sport nicht mehr nur über Zeiten und Weiten definieren sollte?

Im Grunde zielt Ihre Frage auf eine Grundsatzdiskussion über das Wesen des Sports und des Wettkampfs an sich. Mir geht es aber darum, dass wir den Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderungen nicht gerecht werden, wenn wir ihnen wegen ihrer Behinderung eine Sonderrolle zuweisen. Es sind Spitzensportler mit allen Konsequenzen, im Positiven wie im Negativen. Dies bedeutet: Die Messlatte, die wir im Spitzensport anlegen, gilt grundsätzlich für alle.

Gilt das auch für das Thema Doping?

Natürlich. Das Dopingproblem steht im Behindertensport zwar noch nicht so im Vordergrund. Aber für die Dopingprävention und die Dopingbekämpfung gelten die gleichen Anforderungen wie bei Nichtbehinderten. Denn für die Bundesregierung ist die Sauberkeit im Sport Grundvoraussetzung für dessen Förderfähigkeit. Von dieser strikten Linie weichen wir nicht ab, auch nicht im Behindertensport.

Frau Bundeskanzlerin, Sie waren bei der Fußball-WM jubelnd auf der Tribüne zu sehen. Gibt es noch andere Sportereignisse, für die Sie sich interessieren?

Ich verfolge das Sportgeschehen, habe bei der Leichtathletik-WM in Osaka unser Team besucht und werde bei passender Gelegenheit auch wieder persönlich bei einer Sportveranstaltung dabei sein.

Auch im kommenden Jahr bei den Paralympischen Spielen?

Ob ich die Paralympics besuchen kann, kann ich beim besten Willen derzeit noch nicht sagen.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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