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Sport: Angestrengtes Nichtstun

Hin und wieder trägt der Eiskunstlauf märchenhafte Züge. Die Inszenierung, die seit Jahren bei der Deutschen Eislauf-Union (DEU) auf dem Spielplan steht, erinnert an Aschenputtel - die Geschichte vom schönen Mädchen, das gern mit würde zum großen Fest, aber nicht soll, weil die Stiefmutter ihre Lieblinge hinschicken möchte.

Hin und wieder trägt der Eiskunstlauf märchenhafte Züge. Die Inszenierung, die seit Jahren bei der Deutschen Eislauf-Union (DEU) auf dem Spielplan steht, erinnert an Aschenputtel - die Geschichte vom schönen Mädchen, das gern mit würde zum großen Fest, aber nicht soll, weil die Stiefmutter ihre Lieblinge hinschicken möchte.

Im konkreten Fall ist Andrejs Vlascenko der Leidtragende, der nicht zu den Olympischen Spielen nach Salt Lake City darf. Am Freitag lehnte das Bayerische Innenministerium das Einbürgerungsgesuch ab, das dem Staatenlosen unmittelbar vor Meldeschluss noch einen druckfrischen Pass bescheren sollte. Nach Nagano 1998 wird sich der vierfache Deutsche Meister auch bei diesen Winterspielen bestenfalls mit der Fernbedienung in den Wettbewerb einschalten.

"Seit sieben Jahren laufe ich schon für Deutschland und gehöre zur Mannschaft. Zu Hause ist dort, wo man lebt und man sich wohl fühlt. Das ist für mich Deutschland", hatte Vlascenko kürzlich erklärt, "für jeden Sportler ist es ein Traum, sein Land bei den Olympischen Spielen zu vertreten." Der Traum ist geplatzt.

Durch angestrengtes Nichtstun, so der Vorwurf gegenüber der DEU, habe der Verband seinen Anteil daran, dass die Herrenkonkurrenz ohne deutsche Teilnehmer stattfindet. Denn der 27-Jährige hatte mit einem achten Platz bei der EM in Lausanne die sportlichen Normen erfüllt. Bloß die gesetzlichen nicht. Ihm fehlt der Pass.

Unschuldig ist Vlascenko daran freilich nicht. Als der in Weimar geborene und in Lettland aufgewachsene Vlascenko 1994 nach Deutschland zurückkehrte, da war er schon Lettischer Meister und WM-Teilnehmer. Die DEU war froh über den leistungsstarken Zuwanderer und förderte ihn ausgiebig. So sehr, dass manches einheimische Talent resignierte und aufgab.

Für einen Titel konnte sich der Wahl-Münchner jedoch nicht qualifizieren: für den des deutschen. Drei Verkehrsdelikte Mitte der Neunzigerjahre - mal lenkte er seinen Wagen mit zu viel Alkohol im Blut, mal ohne Führerschein - verhinderten schon vor vier Jahren eine Olympia-Teilnahme. Vlascenko gilt seither als vorbestraft, wurde zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Gute Voraussetzungen für ein Einbürgerungsgesuch in Bayern sehen anders aus.

Nur eine vorzeitige Tilgung der Eintragung im Bundeszentralregister hätte den Weg ebnen können. Einen entsprechenden Antrag hat der Generalbundesanwalt (GBA) am Dienstag abgelehnt, sagte eine Behördensprecherin dem Tagesspiegel. Laut GBA stammte der Antrag von Vlascenko selbst. Erst als sich nichts bewegte, schaltete sich der Verband ein. Die Crew um die DEU-Vorsitzende Angela Siedenberg hatte auf eine Qualifikation des jüngeren und zuverlässigeren Erfurters Stefan Lindemann gehofft. Doch der versagte. EM-Platz zwölf war zu wenig für den 21-Jährigen - sein Sieg über Vlascenko bei den Deutschen Meisterschaften wurde von Experten ohnehin als "umstritten" eingestuft. "Jetzt sollte Vlascenko fahren, denn wir haben ja einen Startplatz", kommentierte Lindemann gönnerhaft.

Zeitgleich fiel dies auch den DEU-Funktionären ein, die nun Briefe an sämtliche Behörden adressierten. Sowohl beim Innenministerium des Bundes als auch Bayerns trudelten die Kuverts ein: Portoverschwendung. Die Schily-Behörde, derzeit von anderen Sorgen geplagt, ist nicht zuständig. Ein Beckstein-Veto war nur im Falle einer Tilgung durch die Justiz zu erwarten. "Wir stehen mit dem Justizministerium in Kontakt. Wenn es eilt, muss man eben auch mal Instanzen überspringen", hatte Dietmar Krug, Generalsekretär der DEU, am Freitagmorgen gesagt. Plötzlich eilte es. Doch der Absage des Justizministeriums folgte die des Bayerischen Innenministeriums. "Sollte Herr Vlascenko den Einbürgerungsantrag nicht selbst zurückziehen, müssen wir ihn ablehnen", sagte Sprecherin Ulrike Frowein.

Wie groß der Trübsinn ob dieser Entwicklung in der DEU ist, zeigt sich spätestens, wenn die WM-Nominierung ansteht. Hier braucht Vlascenko nicht den für Olympia notwendigen deutschen Pass. Nach den zuletzt gezeigten Leistungen käme freilich nur Künstler Vlascenko in Frage und nicht Athlet Lindemann. Es wird sich zeigen, für wen das Märchenland DEU zumindest noch ein kleines Happy End bereithält.

Daniel Pontzen

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