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Sport: Angst schmilzt nur langsam

Skirennläufer geben sich nach schweren Stürzen abgeklärt. Doch oft bleibt Vorsicht ein unbewusster Begleiter

Berlin - Ein kleiner Fleck ist geblieben, mehr nicht. Maria Riesch hat ihn auf dem linken Knie, und er ist eine gute Nachricht. Wenn nur ein größerer Punkt auf der Haut bleibt, zeigt das, wie gut die Operation des gerissenen vorderen Kreuzbandes und des kaputten Außenmeniskus’ verlaufen ist. Der Fleck könnte ein Symbol dafür sein, dass doch alles nicht so schlimm ist. Maria Riesch redet ja auch so. „Ich habe nie an Aufhören gedacht. Ich habe auch keine Angst vor den nächsten Rennen“, sagt sie. Das letzte Rennen der Ski-Rennläuferin Maria Riesch aus Garmisch-Partenkirchen war der Riesenslalom in Aspen im Dezember. Sie beendete es zwangsweise nach einem Fahrfehler und mit ihrem zweiten Kreuzbandriss in elf Monaten. Die 21-Jährige durchlebt ihre zweite lange Verletzungspause in einem Jahr. Im Januar 2005 stürzte sie bei der Abfahrt von Cortina.

In sechs Monaten kann Maria Riesch ihr Knie wieder belasten. Aber das ist nur der körperliche Aspekt. Doch es geht um mehr, es geht um die Psyche. „Innerlich wirkt solch ein Erlebnis ein Leben lang“, sagt Christian Neureuther, der frühere Weltklasse-Skiläufer und väterliche Freund von Riesch. Skirennläufer riskieren ihre Gesundheit, vor allem in der Abfahrt. Sie stürzen in die Tiefe, weil sie sich einreden, dass sie auch auf stark vereisten Pisten und bei hohen Geschwindigkeiten alles im Griff haben. Und nach mehreren schweren Stürzen müssen sie sich das immer noch einreden. Sonst würden sie hinterher fahren oder schlimmer, sie müssten aufhören. Aber sie sind keine Maschinen, sie können ihre Gefühle nicht abtöten. Das ist das Problem.

Skirennfahrer können es nicht lösen, das Problem, aber sie können es verdrängen. Öffentlich jedenfalls. Gefühl zeigen, bedeutet Schwäche. Es wären Botschaften für die Gegner. Deshalb ist bei vielen Athleten, die aktiv sind, das Wort Angst tabu. Angst hat man einfach nicht. „Ich habe Respekt, aber keine Angst“, sagte der deutsche Abfahrer Max Rauffer noch Jahre nach seinem Sturz in Beaver Creek. Dort hatte er nur mit viel Glück eine Querschnittslähmung vermeiden können. Stefan Stankalla, einer der besten deutschen Abfahrer, ist 2004 zurückgetreten. Jetzt sagt er: „Jeder Abfahrer hat Angst, aber man redet nicht drüber.“

Stankalla ist 1999 schwer gestürzt. Bei der Abfahrt in Gröden, am Kamelbuckel, verlor er bei einem 60-Meter-Sprung die Kontrolle. Er knallte auf die harte Piste, und im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte ein Schleudertrauma und eine Gehirnerschütterung. Drei Monate später stand Stankalla wieder am Start, diesmal bei der Abfahrt in Garmisch. Aber jetzt war er fast überwältigt vom Gefühl „wahnsinniger Angst“. Das Rennen bewältigte er „mit zitternden Knien“. Es gab Nächte, da ist Stankalla aufgewacht, weil er von dem Unfall träumte. Er hat mit einem Psychologen geredet, mit Trainern die Fehler analysiert und versucht, alles zu verarbeiten, doch es gelang nicht völlig.

2001 die Abfahrt in Gröden, zwei Jahren nach dem Sturz. Wieder hatte Stankalla am Start „einen extremen Angstzustand“, diesmal eine Stunde lang. „Die Bilder sind wieder gekommen“, sagt er. In dieser Stunde bekam er nichts von seiner Umgebung mit. „Ich musste einen Weg finden, dass ich mich traute zu fahren.“ Alles drehte sich um diesen einen Sprung am Kamelbuckel. „Du musst nicht ans Limit gehen“, redete er sich ein, „das wird alles nicht so schlimm.“ Dann raste er auf den Kamelbuckel zu, und Stankalla nahm Tempo raus, ein Instinkt. Aber er kam ins Ziel, unverletzt, erleichtert. Doch die Unbekümmertheit „wird nach so einem Unfall nie mehr kommen“. Stattdessen spürte er immer öfter, wie ihn sein Unterbewusstsein in Rennen bremste. „Ich wollte stärker auf der Kante fahren, ich konnte es nicht. Ich fühlte mich wie ferngesteuert.“ Stankalla war nie ein großer Fahrer, aber das spielt keine Rolle. Den Stars der Szene dürfte es ähnlich gehen. Auch Hermann Maier ist nicht mehr der Draufgänger von früher. Er ist geprägt von schweren Stürzen auf der Piste und einem Motorradunfall. Früher gab er sogar vor der schwersten Abfahrt, der Streif in Kitzbühel, den coolen Siegertypen. Aber Stankalla hat ihn nach seinem schweren Unfall erlebt. „Mittlerweile“, sagt er, „sieht man ihm an, dass auch er nervös ist.“

Manchmal freilich gelingt es Athleten, dem Bild einer gefühllosen Maschine sehr nahe zu kommen. Hilde Gerg hat das mal geschafft. Bei einer Abfahrt in Lake Louise erlitt sie im Dezember 2002 einen Kreuzbandriss, danach fuhr sie weiter Rennen. „Ich fühlte mich in der Saison total fit. Ich wäre in diesem Zustand auch auf einem Bein runtergefahren.“ Sie blieb unverletzt.

Gleichwohl: Eine Maschine ist auch Hilde Gerg nicht. Die 22-malige Weltcup-Siegerin gibt zu, „dass mich der Sturz im Traum lange verfolgt hat.“ Und: „In einem anderen Zustand hätte ich das nicht gemacht.“ Nach einem Unterschenkelbruch vor fünf Jahren benötigte sie 13 Monate, bis sie wieder schnell genug war. „Mir haben Meditation und Qi Gong geholfen.“ Aber im November 2005 hatte sie genug von Extremsituationen. Sie stürzte beim Training, erlitt ihren zweiten Kreuzbandriss – und trat endgültig zurück.

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