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Sport: Ankommen als Weltmeisterin

Jenny Wolf muss sich an ihren Titel erst gewöhnen

Berlin - Weltmeisterin zu werden, das war schon anstrengend genug für Jenny Wolf. Da blieb ihr nicht mehr viel Kraft dafür, um Weltmeisterin zu sein. Den Sonntag, den Tag ihres Triumphs als weltbeste Sprinterin auf Eis, zog sie jedenfalls nicht in die Länge. „Ich wollte erst einmal ein bisschen runterkommen nach der Siegerehrung und dem ganzen Drumherum.“ Und ihr Erlebnisbericht über den Tag nach ihrem Gewinn klang auch nicht viel euphorischer: „Von der Stimmung ist nicht viel übrig geblieben.“ Sie sei nur müde und kaputt, sagte die 28-Jährige am Telefon auf der Rückfahrt von Heerenveen nach Berlin.

Vielleicht war das aber auch nur das Gefühl, bevor ihr endgültig bewusst wird, was sie am Wochenende in Holland erreicht hat. „Wenn ich zu Hause spüren werde, wie begeistert die Leute sind, dann wird das auch bei mir erst richtig ankommen“, sagte sie. Den Sprinttitel hatte sie einfach nicht erwartet, obwohl sie den Weltrekord über 500 Meter hält. Aber um Sprintweltmeisterin zu werden, muss sie eben auch über 1000 Meter schnell laufen. Bei den Titelkämpfen im vergangenen Jahr in Hamar war Jenny Wolf nach ausgezeichneter Leistung über 500 Meter jedoch auf der längeren Distanz gestürzt, „sonst hätte ich vielleicht damals schon eine Medaille gewonnen“. So aber sprang sie am Wochenende ohne bisher gewonnene WM-Mehrkampfmedaille gleich auf die höchste Stufe des Siegerpodests.

Dafür wurde sie auch ausgiebig gefeiert – vom besten Fachpublikum des Eisschnelllaufens. Das sind nämlich die holländischen Zuschauer, weil das Eislaufen in ihrem Land Volkssport ist. „Auch die holländischen Kampfrichter haben sich gefreut, dass endlich wieder ein echter Sprinter gewonnen hat“, erzählte Jenny Wolf, deren größte Stärke früher die 100-Meter-Strecke war. Ihre härteste Konkurrentin in Heerenveen, Anni Friesinger, ist zwar besonders beliebt bei den Holländern, weil sie dort zeitweise lebt und auch ihre Sprache spricht. Aber Anni Friesinger ist Allrounderin mit den 1500 Metern als Lieblingsstrecke.

Warum Facharbeiterin Wolf gerade jetzt den größten Erfolg ihrer Karriere erreicht hat, dafür hat sie eine kurze Erklärung: mehr Kraft. „Ich habe mit Zusatzgewichten gearbeitet und gehe beim Krafttraining noch ein bisschen tiefer in die Position.“ Das könnte den Unterschied ausgemacht haben zu Friesinger.

Der größte Unterschied zwischen beiden Eisschnellläuferinnen ist wohl ihr Auftreten. Während Friesinger gerne viel und launig erzählt, besticht Jenny Wolf durch eine beinahe schon spektakuläre Unauffälligkeit. „Manchmal wünsche ich mir schon, dass mir manche Sachen leichter fallen würden“, sagt Jenny Wolf und meint damit Friesingers Ausgelassenheit, „aber sie nimmt mir ja nichts weg“.

Immerhin gibt es zwei wichtige Dinge im Leben von Jenny Wolf, die ihr offenbar nicht schwer fallen: Eisschnelllaufen und Studieren. Vor der Saison hat die Studentin der Literaturwissenschaften ihre Magisterarbeit abgegeben über die Kinder- und Jugendliteratur im Nationalsozialismus. Spätestens bis zum Sommer will sie ihr Studium abgeschlossen haben. Das wäre bei der Belastung durch Training und Wettkämpfe nebenher ein gutes Tempo. „Es gibt im Leben nicht nur Sport“, sagt sie. Den vergangenen Sommer über habe sie sich fast ausschließlich mit ihrem Studium beschäftigt. Wie dieses Wochenende gezeigt hat, scheint das eine ideale Vorbereitung auf die Saison gewesen zu sein. Schneller Kopf und schnelle Beine – damit ist Jenny Wolf nun schon weit gekommen.

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