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Sport: Anti-Dopingkampf: Ein Rechenfehler führt zur größten Panne

Der Freispruch von Merlene Ottey (Jamaika) dürfte die bislang spektakulärste Panne im Kampf des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF gegen Dopingmissbrauch sein. Denn dem Schiedsgericht (Arbitration Panel) der IAAF waren im Verfahren gegen die 40-jährige 200-m-Weltmeisterin beim Urteilsspruch am 3.

Der Freispruch von Merlene Ottey (Jamaika) dürfte die bislang spektakulärste Panne im Kampf des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF gegen Dopingmissbrauch sein. Denn dem Schiedsgericht (Arbitration Panel) der IAAF waren im Verfahren gegen die 40-jährige 200-m-Weltmeisterin beim Urteilsspruch am 3. Juli eklatante Fehler unterlaufen. Arne Ljungqvist (Stockholm), Vizepräsident und Vorsitzender der Antidopingkommission der IAAF, fasst seine Vorwürfe so zusammen: "Man hätte die vom Kontrolleur ermittelten Urindichte nie verwenden dürfen. Der zweite Fehler lag darin, dass daraus ein falsch berechneter Nanogrammgehalt wurde, der zu Gunsten der Athletin berücksichtigt wurde."

Die Dauerbrennerin des Sprints - seit Moskau 1980 sammelt die Jamaikanerin bei Großereignissen Medaillen - war im Juli 1999 nach einem Sportfest in Luzern positiv getestet worden. Die Athletin spielte die Unschuld und verwies auf Reisestress und Flüssigkeitsverlust, die zu dem in ihrem Urin gefundenen Wert von rund 15 Nanogramm Nandrolon pro Milliliter geführt hätten. Gestattet sind bei Frauen höchstens fünf Nanogramm. Die IAAF suspendierte sie, doch der Verband Jamaikas folgte der Argumentation seiner Paradeläuferin und sprach sie frei. Der erhöhte Wert sei auf körpereigene Produktion zurück zu führen.

"Die Antidopingkommission der IAAF hat die Begründung durch Jamaikas Verband geprüft und ist zur Ansicht gelangt, dass diese nicht akzeptabel ist. Der Vorgang ging wie stets an das IAAF-Council weiter. Das schloss sich unserer Bewertung an und gab die Unterlagen mit entsprechender Empfehlung an das Schiedsgericht weiter." Doch nicht nur zur Verblüffung des 69-jährigen Ljungvist, emeritierter Professor für Pathologie/Zytologie in Stockholm sowie Präsident der schwedischen Forschungsgesellschaft, hob das Panel die Suspendierung auf.

Das war das Ergebnis einer Anhörung aller Beteiligten am Sitz der IAAF in Monte Carlo. Die Leitung hatte Christoph Vedder (München) als Vorsitzender des IAAF-Schiedsgerichts. Assistiert wurde er vom Amerikaner James Michael Murphy und dem Südafrikaner Monty Hacker. Alle drei sind Juristen. Der 53-jährige Vedder lehrt als Jura-Professor an der Universität Augsburg. Sechs andere Mitglieder des neunköpfigen Panels wurden nicht hinzu gezogen, weil der Vorsitzende und zwei weitere für den Schiedsspruch ausreichen. Der Ottey-Manager Daniel Zimmermann, ein Schweizer, sprach hinterher von einem "Freispruch erster Klasse" und informierte entsprechend die Medien. So kam die Version von Ungereimtheiten bei der Probe, von Bakterien und der ungewöhnlichen Nandrolonproduktion durch "besondere Umstände" in Umlauf.

"Das ist völlig falsch", sagt Vedder. "Laut einer wissenschaftlichen Studie in Japan hatten 98 Prozent der untersuchten Sportlerinnen unter 2,0 Nanogramm im Urin. Die Behauptung von Otteys exorbitanter Eigenproduktion ist unhaltbar." Abgewiesen wurde auch das Ansinnen der Ottey-Anwälte, die IAAF müsse nachweisen, dass das Nandrolon von außen zugeführt worden sei. Gemäß der vom IOC bestätigten Dopingordnung sei der Sportler dafür verantwortlich, was in seinem Körper gefunden werde. Eine Abfuhr für diese Verteidigungsstrategie, die gern benutzt wird. Und völlige Übereinstimmung zwischen Antidopingkommission (Ljungqvist) und Panel (Vedder).

Dass es dennoch zu einem "Freispruch dritter Klasse" mittels "juristischer Bedenken kam, die manchem wie Spitzfindigkeiten vorkommen dürften" (so Vedder), hängt mit "den vorliegenden unterschiedlichen Messergebnissen zusammen." Der Dopingfahnder ermittelte beim Schnelltest eine Urindichte von 1,025. Der zur Untersuchung verwendete Urin soll eine Dichte von 1,010 bis 1,020 aufweisen. Die Proben (A und B) wurden versiegelt und kamen rund 36 Stunden danach im Lausanner Labor unter hochempfindliche Elektronenmessgeräte. Jene förderten eine Dichte von 1,019 zu Tage. Exakt im optimalen Bereich. Das wie Köln und Kreischa vom IOC anerkannte Labor in Lausanne kam zu einem Befund von knapp 15 Nanogramm - das Dreifache des Erlaubten. Doch im Verlauf der Anhörung kam ein zweiter Wert ins Spiel: 4,853 Nanogramm. Knapp unter dem Richtwert. Der könnte davon her rühren, dass jemand (der Kontrolleur?) eine Umrechnung nach einer vorgegebenen Formel versucht hat. Dies ist legitim, wenn die Dichte über 1,020 beträgt. War aber überflüssig, weil die exakte Labormessung 1,019 ergeben hatte. Das kaum Glaubliche - selbst mit der unnötigen Umrechnung wäre ein Nanogrammgehalt von rund 11,0 festgestellt worden. Mehr als das Doppelte des Richtwertes!

Durch diesen mysteriösen Rechenfehler darf Ottey wieder durch die Arenen tingeln. Denn der Fehler wurde erst nach der Urteilsverkündung erkannt. Doch da war das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Vedder: "Wir konnten bei der juristischen Bewertung nicht ausschließen, dass der für die Athletin günstigere Wert möglich sei und der ungünstige durch Bakterien versursacht worden sei." Es habe nur der "Hauch einer Beweislast durch die IAAF gefehlt, um das Schiedsgericht von der Aufrechterhaltung der Sperre zu überzeugen". Es sei juristisch in keinem Falle ein Freispruch, nicht einmal "aus Mangel an Beweisen", verkündet worden. Die Entscheidung wäre vermutlich anders ausgefallen, wenn IAAF oder Labor, dem das gleichfalls in Lausanne ansässige IOC-Labor eine "korrekte Arbeit" bescheinigte, klar gemacht hätten, dass der vom Kontrolleur vorgelegte Wert irrelevant und falsch berechnet worden sei.

Das Fazit von Ljungqvist: "Der Fall ist durch und nicht mehr zu korrigieren. Bakterien hat es in den Proben nie gegeben. Das ist eine unbewiesene These von Herrn Vedder. Und was der Kontrolleur ermittelt, ist nur dafür interessant, ob der Urin analysetauglich und nicht zu dünn ist." Um künftig solche Blamagen zu vermeiden, will sich das IAAF-Council noch vor den Olympischen Spielen zu einer Sondersitzung in Lausanne treffen.

Ernst Podeswa

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