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Fußballfamilie. Vater Erwin Seeler (l.) legt für Uwe (hinten) und Dieter auf. Foto: Imago

© imago sportfotodienst

Arbeiternationalelf: Als Seeler und Beckenbauer um Kartoffeln spielten

Hand in Hand auf den Platz, vermischte Mannschaftsfotos, und absichtlich verschossene Elfmeter – vor 80 Jahren wurde die Arbeiternationalelf, die 1931 Vizeweltmeister wurde, von den Nazis zerschlagen.

Seelers Tor in der 75. Minute macht dem Titelverteidiger noch einmal Hoffnung. Es ist bereits der zehnte Turniertreffer für den Torjäger vom SC Lorbeer 06 Hamburg. Doch in diesem Finale am 26. Juli muss sich die deutsche Auswahl vor 65 000 Zuschauern im Wiener Praterstadion ihrem ewigen Konkurrenten geschlagen geben. Durch ein umkämpftes 3:2 wird Österreich 1931 Sieger des Fußballturniers der zweiten Arbeiterolympiade und damit die weltstärkste Mannschaft im Fußball. Genauer: im Arbeiterfußball.

Nur ein Jahr zuvor hatte der Klassenfeind – die Bürgerlichen, die Profis – seinen ersten Weltmeister gekürt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) war diesem Profiturnier in Uruguay ferngeblieben, weil er auf dem Amateurgedanken beharrte und die horrenden Reisekosten scheute. Aber auch im Finale der Arbeiterolympiade gegen Österreich steht keineswegs ein DFB-Team. Der deutsche Fußball wird von der Mannschaft des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB) vertreten. Der ATSB stellte seit 1924 eine eigene nationale Auswahl für Länderspiele zusammen, die schon 1925 das Turnier der ersten Arbeiterolympiade gewinnen konnte. Der ATSB ging aus der Turnbewegung hervor. Als viele Turner begannen, sich nationalistisch zu positionieren, sammelte sich eine Gegenströmung unter dem Dach der Arbeiterbewegung. Fußballvereine wurden ab 1911 aufgenommen, und von 1920 an wurden reguläre Bundesmeisterschaften ausgetragen, sozusagen als sozialistische Alternative zur Meisterschaft der DFB-Vereine. Erster Meister war die TuSpv Fürth, letzter Titelträger wurde Nürnberg-Ost 1932.

Von Beginn an wandte sich der ATSB gegen Kommerzialisierung des Sports und die Auswüchse des kapitalistischen Wettbewerbsdenkens. Im Fußball waren das etwa die „Verrohung des Spiels“, Lokalpatriotismus oder Nationalismus. Bei Spielen unter dem ATSB-Emblem sollten andere Werte repräsentiert werden als beim bourgeoisen, aber offiziell unpolitischen DFB.

So war es vor Länderspielen üblich, statt der Nationalhymnen gemeinsam die Internationale zu singen. Oft liefen gegnerische Mannschaften Hand in Hand auf den Platz, auf Mannschaftsfotos vermischten sich die Spieler beider Teams, und dann gab es ein ungeschriebenes Gesetz: Elfmeter wurden vom Schützen absichtlich in die Arme des Torwarts gekullert, wenn sie als ungerechtfertigt wahrgenommen wurden.

Seeler, der Mann, der die Bundesauswahl der deutschen Arbeitersportler 1931 mit seinen Treffern ins Finale geschossen hatte, hieß mit Vornamen Erwin, arbeitete im Hamburger Hafen und war der Vater von Dieter und Uwe Seeler. Ihnen hat er die Fußballleidenschaft weitervermittelt. Dazu seine Einstellung zu Disziplin und Tüchtigkeit: „Weicheier mochte er nicht haben“, erzählt Sohn Uwe, der bewundert, wie dieser „harte Hund“ Arbeit und unbezahlten Fußball unter einen Hut brachte. „Er hat nie geklagt.“

Erwin Seeler war ein Star im Hamburger Fußball. Mit ihm konnte Lorbeer 06 1929 und 1931 die Bundesmeisterschaft gewinnen. Für die Bundesauswahl schoss er in neun Einsätzen elf Tore. Kein Wunder, dass da auch die bürgerlichen Vereine unter dem Dach des DFB aufmerksam wurden. Solche Abwerbungen waren keine Seltenheit. Dabei dürfte durchaus Geld geflossen sein, obwohl das auch beim DFB verboten war. Die gewechselten Spieler waren anschließend jedenfalls den politischen Anfeindungen der Arbeiterpresse ausgesetzt. So auch Erwin Seeler, der 1932 zu den Bürgerlichen von Victoria Hamburg wechselte. „Das war alles sehr streng bei Lorbeer“, erzählt Uwe Seeler. „Er hatte mal zehn Mark bekommen, das war für irgendetwas anderes. Aber dafür wurde er dann gleich angemotzt. Er empfand das alles als übertrieben.“

Im Hause Seeler schätzte man einen gewissen Arbeitsethos, sei aber ansonsten „wertneutral“ gewesen. Politik habe kaum eine Rolle gespielt. Dass Erwin zunächst beim Arbeiterfußball gelandet war, lag daran, dass er in Hamburg-Rothenbaum lebte. Und der dortige Verein war Lorbeer 06. „Auch beim DFB spielte man ja höchstens mal für ein paar Kartoffeln“, sagt Uwe Seeler. Nach dem Wechsel kam Erwin für die ATSB-Bundesauswahl nicht mehr infrage. Doch bei den Sportfreunden 1912 Giesing München hatte sich bereits ein neuer torgefährlicher Mann die Aufmerksamkeit des Bundesspielwarts Robert Riedel erspielt. Er konnte 1932 in fünf Länderspielen acht Tore erzielen. Sein Name: Beckenbauer, Alfons, dessen Neffe Franz viel später eine große Rolle für den deutschen Fußball spielen sollte. Die Generation der Arbeiterfußballer um Onkel Alfons jedoch hatte weniger Glück. Mit dem Jahr 1933 und der Machtübergabe an die NSDAP wurde auch die Arbeitersportbewegung brutal zerschlagen.

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