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Zwei Superstars, eine Geschichte: Diego Maradona und Lionel Messi.

© Carl Recine/REUTERS

Argentinien vor dem WM-Aus: Messi, Maradona und die Rebellion

In Argentiniens Mannschaft knarzt es an allen Ecken und Enden. Der Trainer wird entmachtet und vor dem Nigeria-Spiel tun sich erstaunliche Parallelen zu 1994 auf.

Einmal noch aufbäumen. In diesem WM-Vorrundenspiel gegen Nigeria, es wird sein letztes sein im argentinischen Trikot mit der Nummer 10. Es ist vorher viel spekuliert worden über den gealterten Weltstar, den besten Fußballspieler seiner Generation, vielleicht sogar des Jahrhunderts. Einmal ist er schon zurückgetreten und hat sich dann doch für ein Comeback überreden lassen, die Nation hat ihn angefleht und jetzt ist er wieder da. Er ahnt noch nichts von der Katastrophe, die ihn und Argentinien nach diesem Spiel heimsuchen wird. Katastrophe ist ein großes Wort, oft zu groß für den Fußball. Aber als nichts anderes wird dieses Scheitern in der Heimat empfunden, zumal die Begleitumstände dramatisch sind.

An diesem 22. Juni 1994, als Diego Maradona nach einem 2:1-Sieg über Nigeria bei der WM-Vorrunde in Foxborough des Dopings überführt wird, in seinem 92. und letzten Spiel für die argentinische Nationalmannschaft.

24 Jahre später drängen sich Parallelen auf. Wieder steht Argentiniens Fußball am Abgrund, wieder rumort es um einen Weltstar mit der Nummer 10, wieder wartet Nigeria. Für Lionel Messi und seine Compañeros geht es am Dienstag in St. Petersburg um alles oder nichts. Nur ein Sieg verhilft dem WM-Zweiten und ewigen Mitfavoriten in die nächste Runde, aber wer mag schon ernsthaft daran glauben? Nach dem bescheidenen 1:1 gegen Island und dem Desaster beim 0:3 in Nischni Nowgorod gegen Kroatien, für das die Seleccion in der Heimat geächtet und verspottet worden ist wie lange nicht.

Argentinische Reporter berichten von einer Rebellion

Seltsames soll sich zugetragen im argentinischen WM-Quartier von Bronnizy, einem Trabantenstädtchen südlich von Moskau. Argentinische Reporter berichten von einer Rebellion, sie habe sich gegen den Trainer gerichtet, angezettelt von Javier Mascherano im Auftrag von Lionel Messi, dem Anführer dieser Mannschaft, die bisher keine Mannschaft war.

Am Freitag, dem Tag nach der Rückreise aus Nischni Nowgorod, sollen die Spieler beim argentinischen Verbandspräsidenten Claudio Tapia vorstellig geworden sein und verlangt haben, dass Sampaoli beim Showdown gegen Nigeria von Jorge Buruchaga ersetzt wird. Sampaoli bestätigte seine Entmachtung in einem kryptischen Zeitungsinterview. Der in Argentinien populäre Trainer von Atlético Madrid, Diego Simeone, sprach von Anarchie in der Mannschaft und einem seit Jahren vorhandenen Mangel an Führung.

Es war ein bisschen wie vor der Europameisterschaft 2000, als die deutsche Mannschaft unter dem überforderten Teamchef Erich Ribbeck auf ein zu erwartendes Debakel zusteuerte und die Nationalspieler ihren Kapitän Lothar Matthäus anflehten, er möge doch bitte die Verantwortung übernehmen. Matthäus hat wohl einen Augenblick überlegt – bis ihm aufging, dass er in diesem Fall nicht mehr hätte mitspielen können, und diesen Preis war ihm die Rebellion dann doch nicht wert.

Auf argentinischer Seite waren sie in Bronnizy schnell um Schadensbegrenzung bemüht. Verbandschef Tapia zeterte von Lügen in den Zeitungen, Mascherano bezeichnete das Verhältnis zu Sampaoli als „völlig normal“ und der Trainer selbst gab Messi am Sonntag bei dessen 31. Geburtstag demonstrativ ein Küsschen auf die Wange.

Mit Chile begeisterte Sampaoli die Fußballwelt

Und doch mag niemand rund um die Seleccion ernsthaft bestreiten, dass die sportliche Verantwortung längst nicht mehr in den Händen jenes Mannes liegt, der den Argentiniern von drei Jahren eine so schmerzhafte Niederlage bereitet hat. Sampaoli war Trainer jener chilenischen Mannschaft, die 2015 im Finale der Copa America über Argentinien siegte und Lionel Messi in eine Depression stürzte, in deren Folge er nicht mal mehr die Ehrung zum besten Spieler des Turniers akzeptieren mochte.

Der Sampaoli von Chile war ein anderer. Einer, der seine Mannschaft bis zum Äußersten motivierte, sein Chile stand für einen in dieser Radikalität neuen Stil. Für eine 90 Minuten währende Treibjagd auf dem Fußballplatz, an der sich auch Weltstars wie Arturo Vidal und Alexis Sanchez beteiligten.

Sampaolis Argentinien ist ein Ancient Regime. Eine der Bequemlichkeit verschriebene Mannschaft, die auf dem Platz keinen mehr erschreckt und die ihre Aggressivität nur noch gegen sich selbst richtet. Nach dem 0:3 gegen Kroatien steckten argentinischen Spieler den Reportern die Geschichte von Handgreiflichkeiten noch in der Kabine. Javier Mascherano habe den Torhüter Willy Caballero wegen seines hanebüchenen Fehlers vor dem kroatischen Führungstor beleidigt und zwar unter Einbeziehung von dessen Mutter, wie es in Südamerika gern gehandhabt wird, um eine Beleidigung noch beleidigender zu machen. „Lass seine Mutter aus dem Spiel“, giftete Cristian Pavon, der 22 Jahre junge Nachwuchsmann von den Boca Juniors. Mascherano antwortete: „Was willst du denn, Kleiner!“

"Messi macht die Aufstellung und Mascherano gibt die Anweisungen"

Der Rest ist nicht überliefert, aber man darf schlussfolgern, dass es schon mal besser stand um den argentinischen Mannschaftsgeist. Gegen Nigeria wird Caballero wohl auf der Ersatzbank sitzen und Franco Armani von River Plate das Tor hüten, zum ersten Mal überhaupt und das mit 31 Jahren. Wer diese Entscheidung getroffen hat? Jorge Sampaoli sagt mit ein wenig zu sehr strapazierter Ironie, seine Kompetenzen seien selbstverständlich unbeschnitten, „außer, dass Messi die Aufstellung macht und Mascherano die Anweisungen gibt“.

Das immerhin haben sie dem gesperrten Maradona von 1994 voraus.

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