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Sport: Armstrong steht auf

Trotz Sturz triumphiert der Favorit bei der 15. Etappe der Tour – Jan Ullrich hat nun 67 Sekunden Rückstand

Luz-Ardiden. Der Favorit stürzte. Dann stand er wieder auf und siegte. Es war eine abenteuerliche Szene, die sich da am letzten Berg der 15. Etappe der Tour de France ereignete. Ein Zuschauer hätte fast dafür gesorgt, dass Lance Armstrong sein Gelbes Trikot verliert. Ein Bremshebel vom Fahrrad des Amerikaners hatte sich mit einer Tasche eines Fans verhakt, der zu nah an der Strecke stand. Armstrong purzelte auf den Asphalt. Doch sein größter Widersacher fuhr nicht davon: Jan Ullrich wartete auf den Konkurrenten, der sich eine Schramme am Unterarm geholt hatte. Wenig später enteilte Armstrong dem Kapitän vom Team Bianchi und gewann die dritte Etappe in den Pyrenäen. Im Ziel von Luz-Ardiden hatte Armstrong inklusive Zeitgutschrift 52 Sekunden Vorsprung vor dem Deutschen, der als dritter Fahrer ins Ziel kam. Iban Mayo, der zuvor über den gestürzten Armstrong gefallen war, wurde Zweiter. Armstrong liegt im Gesamtklassement nun 67 Sekunden vor Ullrich.

Jan Ullrich wollte seine Tat nach dem Sturz von Armstrong nicht überbewertet wissen. „Fairness ist doch alles im Radsport“, sagte er. Der Sieger störte sich an seinem Malheur schließlich auch nicht. „Es war wohl meine Schuld, denn ich fuhr zu nah am Straßenrand“, sagte Armstrong. Danach aber sei er mit Wut im Bauch gefahren, schließlich hatte er sich schon morgens vorgenommen, unbedingt diese Etappe zu gewinnen. Vom Fairplay seines Konkurrenten um den Tour-Sieg war der Amerikaner nicht überrascht. „Ich wusste, dass Jan nach dem Sturz nicht attackiert. Ich habe das gleiche vor zwei Jahren getan, als er auf der Abfahrt vom Peyresourde gestürzt war.“ (siehe nebenstehendes Interview).

Ja, es war der große Tag des Lance Armstrong bei der diesjährigen Tour de France. Der US-Amerikaner hatte schon vor der dritten und wohl schwersten Etappe durch die Pyrenäen angekündigt, dass er seinen großen Konkurrenten Jan Ullrich im Kampf um das Gelbe Trikot angreifen würde. Und Armstrong lag mit seiner Prognose richtig. Am Montag knüpfte er an seine Glanzleistungen der vergangenen Jahre an, als er die Tour viermal in Serie gewinnen konnte. Trotzdem, Armstrongs Vorsprung auf Ullrich ist noch immer zu dünn, um von einer Vorentscheidung bei der Tour zu sprechen (siehe nebenstehender Kasten).

Für den Drittplatzierten im Gesamtklassement wird es allerdings schwer: Alexander Winokurow verlor gestern fast zweieinhalb Minuten auf Armstrong. Der Telekom-Kapitän liegt in der Gesamtwertung 2:45 Minuten hinter dem Amerikaner auf Rang drei.

Es war eine spektakuläre Etappe: Sylvain Chavanel hatte den Gipfel auf dem Tourmalet als erster Fahrer erreicht. Hinter dem Franzosen spielte sich derweil beim Aufstieg auf den mit 2100 Metern höchsten Berg der Pyrenäen bei dieser Tour das erste Drama ab. Alexander Winokurow, der am Vortag Armstrong und Ullrich davongefahren war, konnte seinen beiden Konkurrenten nicht folgen. Der Kasache quälte sich mit Mühe die Nebel umhüllten Pässe hinauf. Er erreichte den Gipfel 80 Sekunden nach Jan Ullrich und Lance Armstrong, die einträchtig auf den Berg gefahren waren.

Der Abfahrt vom Tourmalet folgte der 13 Kilometer lange Schlussanstieg zum Ziel nach Luz-Ardiden. Hier schloss Winokurow wieder zur Gruppe um Armstrong und Ullrich auf, bevor der Kasache dann doch völlig erschöpft zurückfiel. Armstrong attackierte, doch noch konnte er Ullrich nicht abschütteln. Das gelang ihm erst nach seinem Sturz: Da folgte der zweite Angriff des Amerikaners. Armstrong startete eine imposante Alleinfahrt. Der Franzose Chavanel, der auch am letzten Berg noch bis zu fünf Minuten Vorsprung gehabt hatte, wurde vom US-Amerikaner überholt. Armstrongs Triumph war perfekt, und der Amerikaner befand gestern ganz unbescheiden, „dass die Tour einen großen Tag erlebt hat“.

Der Auftritt Armstrongs war beeindruckend. Zuletzt war an seiner Stärke gezweifelt worden – beim Zeitfahren und bei den ersten beiden Etappen in den Pyrenäen hatte er Ullrich und Winokurow den Vortritt lassen müssen. Diesmal kam es anders – Armstrong kämpfte verbissen um sein Gelbes Trikot. Verbissen und erfolgreich.

Jan Ullrich sieht seine Chancen auf den Gesamterfolg trotz der Niederlage nicht geschmälert. „Lance war heute stärker als ich, aber ich bin trotzdem zufrieden“, sagte Ullrich. Sein Konkurrent habe am Montag alles klar machen wollen. Doch das sei ihm nicht gelungen. Ullrich ist sich sicher: „Es kommt noch das Zeitfahren. Die Entscheidung bei der Tour ist nicht gefallen.“ Das Duell Lance Armstrong gegen Jan Ullrich geht am Mittwoch mit der letzten Bergetappe weiter.

Eine nicht unwichtige Entscheidung fiel unterdessen schon am Montag: Der Franzose Richard Virenque konnte zum sechsten Mal die Bergwertung der Tour für sich entscheiden. Der 32-Jährige holte sich vorzeitig die nötigen Punkte zum Sieg. Voraussetzung für den Gewinn des gepunkteten Trikots ist aber, dass Richard Virenque das Ziel in Paris erreicht.

Am heutigen Dienstag hat die Tour de France ihren letzten Ruhetag.

Hartmut Scherzer

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