zum Hauptinhalt

Sport: Auf den Spuren John McEnroes

Belgischer Qualifikant Filip Dewulf träumt vom Finale in ParisVON JÖRG ALLMEROTHAuf dem Centre Court der Wiener Stadthalle fühlte sich Filip Dewulf plötzlich wie "im siebten Himmel": Als Qualifikant war er im Oktober 1995 ins Endspiel des größten österreichischen ATP-Turniers vorgedrungen und hatte mit einer Bravourleistung ausgerechnet den haushoch favorisierten Lokalmatador Thomas Muster geschlagen.Doch in seiner freudigen Erwartung, "daß sich das Leben nun um 180 Grad drehen wird", sah sich Dewulf schwer getäuscht: Statt vom 44.

Belgischer Qualifikant Filip Dewulf träumt vom Finale in ParisVON JÖRG ALLMEROTHAuf dem Centre Court der Wiener Stadthalle fühlte sich Filip Dewulf plötzlich wie "im siebten Himmel": Als Qualifikant war er im Oktober 1995 ins Endspiel des größten österreichischen ATP-Turniers vorgedrungen und hatte mit einer Bravourleistung ausgerechnet den haushoch favorisierten Lokalmatador Thomas Muster geschlagen.Doch in seiner freudigen Erwartung, "daß sich das Leben nun um 180 Grad drehen wird", sah sich Dewulf schwer getäuscht: Statt vom 44.Weltranglistenplatz den Gipfelsturm in der Tennis-Hitliste zu schaffen, versank der junge Belgier wieder in der Bedeutungslosigkeit. Erst anderthalb Jahre später sorgt Dewulf, mittlerweile auf Platz 122 der Rangliste eingestuft, wieder einmal für Aufsehen und spektakuläre Schlagzeilen.Als erster Qualifikant der French-Open-Geschichte steht der 25jährige im Halbfinale und will sich mit einem Sieg über den ebenso unerwartet in die Vorschlußrunde gelangten Brasilianer Gustavo Kuerten sogar einen Platz im ultimativ letzten Turnier-Zweikampf am Sonntag sichern.Ein solches Kunststück, als Qualifikant in das Endspiel eines der vier größten Turniere der Welt einzuziehen, gelang bisher nur dem 17jährigen John McEnroe 1977 in Wimbledon.Gewonnen hat ein Qualifikant indes noch keinen der Grand-Slam-Wettbewerbe.Und auch in der über 100jährigen Geschichte der French Open stehen nur zwei ungesetzte Spieler in der Statistik der Sieger: Marcel Bernard 1946 und Mats Wilander 1982. In diesem verrückten Pariser Jahr, in dem die Favoriten reihenweise aus dem Tennis-Olymp stürzten, könnte ein dritter Außenseiter hinzukommen: Vielleicht sogar Dewulf, der nun schon seit über zwei Wochen im Stadion Roland Garros beschäftigt ist und bereits acht Spiele in Serie gewonnen hat - so viele wie noch nie in seiner Laufbahn.Als die Stars der Szene sich noch im Training auf das wichtigste Sandplatzturnier vorbereiteten, schuftete Dewulf bereits in der Qualifikation und setzte Konkurrenten wie Pescosolido, Buscaglione und Chauvin matt.Schlapp oder kaputt fühlt sich Dewulf aber nicht: "Wenn du in deinem Leben so eine Chance kriegst wie hier, dann bist du hellwach, total konzentriert". Das gilt allerdings auch für seinen Gegenspieler Gustavo Kuerten, der wie Dewulf bei den French Open aus dem Nichts auftauchte: Anfang Mai fühlte sich der sympathische Brasilianer mit deutschem Paß noch auf einem "absoluten Tiefpunkt", als er bei den German Open am Hamburger Rothenbaum in der ersten Runde dem Australier Jason Stoltenberg unterlag.Bei einem Abstecher in die Heimat sammelte er durch einen Erfolg auf kleiner Tennis-Bühne, bei einem Challenger-Wettbewerb in Curitiba, offensichtlich neue Kraft, denn im Stadion Roland Garros schlug Kuerten nacheinander die Szene-Größen Muster, Medwedew und Kafelnikow.Scheinbar ohne Mühe ging der neue Publikumsliebling Kuerten stets über die volle Distanz von fünf Sätzen und holte gegen Kafelnikow sogar noch einen 1:2-Rückstand auf. Wahrscheinlich hat ihm seine Oma Olga Schlösser wieder einmal die richtigen Tips geliefert."Die weiß über alle Spieler Bescheid.Sie kennt besonders Becker, Sampras und Kafelnikow ganz genau", so Gustavo Kuerten, der in jeder Beziehung Kraft aus dem Familienleben tankt.Die Siege in Paris widmet Kuerten seinem Vater, der 1986 starb, als er ein Tennismatch zwischen Kindern leitete, und einem schwerbehinderten jüngeren Bruder.Mit seinem älteren Bruder Rafael, einem Tennistrainer, und dessen Freundin geht Kuerten abends immer zum Essen und schaut sich auch die Spiele der brasilianischen Nationalmannschaft beim Länderturnier in Frankreich an."Rafael ist mein Glücksbringer.Immer wenn er mich begleitet, habe ich Erfolg", sagt Kuerten. Zu Hause in Florianopolis hält Mutter Alice etwas mühsam die Stellung.Sie könne sich vor "Glückwunschen" der Nachbarn und Telefonanrufen kaum noch retten, sagt Gustavo, der Tennis-Revolutionär, "inzwischen herrscht da die richtige Samba-Stimmung".Sollte er gar ins Finale am Sonntag einziehen, wäre es besser, "meine Mutter nach Paris zu holen", meint der Senkrechtstarter von Paris, "sonst wird sie daheim noch vor lauter Freude erdrückt".

JÖRG ALLMEROTH

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false