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Sport: Auf der Suche nach sich selbst

Beim 1:1 in Israel schlittern die Franzosen mit ihrer hilflosen Taktik knapp an der großen Blamage vorbei

Nach der großen Enttäuschung bewegte der französische Zeugwart schwere Metallkoffer durch die Katakomben des Stadions, deren Dellen und Schrammen von den Schlachten besserer Tage zeugten. Auf einem Koffer klebte ein „France 98“-Sticker, ein Relikt des WM-Titels. Er war halb abgerissen.

Nur 1:1 gegen bestenfalls durchschnittliche Israelis, das vierte Unentschieden in sechs Qualifikationsspielen. Was lange wie ein Imageschaden aussah, droht allmählich im totalen Crash zu münden: Frankreich kommt in der bedrückend engen Gruppe vier einfach nicht vom Fleck. Gewonnen haben die Franzosen bisher nur gegen Zypern und die Färöer und müssen noch in Irland und der Schweiz spielen. „Wir haben den Eindruck, eine gute Leistung gebracht zu haben. Aber in mathematischer Hinsicht ist das sehr unbefriedigend“, kommentierte Kapitän Patrick Vieira.

Bezeichnend war, dass aus seinem Gesicht weniger Scham als Erleichterung sprach. Nach der Roten Karte für den Torschützen David Trezeguet – der Stürmer hatte in der 55. Minute Tal Ben Haim mit einem Kopfstoß zu Fall gebracht – war die Equipe Tricolore nämlich haarscharf an der großen Blamage vorbei geschlittert. Walid Badirs Ausgleichstreffer nach einem Fehler von Torwart Fabien Barthez kam etwas zu spät, um das Spiel noch komplett zu drehen (83.). „Ich will nicht arrogant klingen“, sagte Israels Trainer Grant, „aber wir waren in allen Bereichen besser. Wir haben eine günstige Gelegenheit verpasst.“ Nach Markus Merks Schlusspfiff sprang er wütend um seine Bank herum.

Richtig überlegen aber waren die bemühten Gastgeber im hitzigen Ramat Gan-Stadion nicht gewesen. „Bis zur 70. Minute haben wir alles kontrolliert“, sagte Willy Sagnol, „die rote Karte hat alles verändert“. Den ebenso berechtigten wie unnötigen Platzverweis hatten alle Franzosen als Wendepunkt ausgemacht, er kaschierte aber auch viele erschreckende Unzulänglichkeiten. Ganz abgesehen davon, dass mit einem Verteidigerduo wie Boumsong und Givet kaum Erfolge zu holen sein werden, scheinen System und Personal mit jeder Veränderung von Trainer Raymond Domenech ein bisschen weniger zusammenzupassen. Am Mittwoch hatte der Trainer Trezeguet anstatt des verletzten Thierry Henry mit Malouda und Wiltord zwei Außenstürmer zur Seite gestellt; drei defensive Mittelfeldspieler, darunter der vor ein paar Jahren noch bei den Bayern-Amateuren beschäftigte Alou Diarra, sollten die Abwehr beschützen. Brauchbare Angriffsaktionen kamen dabei selten heraus. Domenechs statisches 4–3–3 wirkte wie ein Eingeständnis: Er scheint nicht zu wissen, wie er einen offensiven Mittelfeldspieler einbauen soll, der mit der Last von Zinedine Zidanes Erbe fertig werden kann.

„Wir müssen jetzt nicht in Katastrophenstimmung verfallen“, sagte Domenech; in seiner demonstrativen Gelassenheit wirkte er fast verklemmt. Nach der roten Karte hatte Sagnol der Bank ein paar Mal frustriert signalisiert, dass man doch wechseln solle, Domenech aber ließ trotz Unterzahl alles beim Alten und Wiltord auf dem Platz. Das Gegentor fiel dann über dessen rechte Seite. „Es war schwierig für den Trainer, die richtige Lösung zu finden“, sagte Sagnol diplomatisch – und scheinbar ohne Überzeugung. Der Münchner sieht sein Team „weiter auf dem Weg nach Deutschland“. Die Konkurrenten in der Gruppe hätten „alle das gleiche Niveau“. Das ist, bei allem Respekt für die Iren, Schweizer und Israelis, eine ziemlich schonungslose Diagnose des eigenen Leistungsstands. „Wir sind nicht mehr das starke Frankreich von früher, uns fehlen die großen Spieler wie Zidane und Thuram. Es dauert Zeit, bis wir Spieler finden, die sie ersetzen können, aber wir haben ja keine Zeit.“

Geht das mit den Franzosen so weiter, können sie die Selbstfindungsphase im Sommer 2006 mit Freundschaftsspielen gegen Togo und Tahiti abschließen, während in Berlin um den WM-Titel gekickt wird. Ein bisschen Trost fand sich wenigstens im Programmheft: Der Zeugwart muss so schnell keine Koffer mehr packen. Bis September ist spielfrei.

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