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Sport: Auf wackligem Gerüst

Hat Bundestrainer Klinsmann seine Prinzipien aufgegeben? In der Slowakei traf er seltsame Entscheidungen

Fast dreihundert Jahre lang gehörte die Slowakei zum Reich der Habsburger, und die Spuren der österreichisch-ungarischen Herrschaft sind auch heute noch zu entdecken. Selbst in Kleinigkeiten meint man sie zu erkennen: wenn zum Beispiel der Dolmetscher im Fußballstadion von Bratislava die Durchsagen des Stadionsprechers in ein kunstvoll gedrechseltes Deutsch überträgt. Als Miroslav Karhan, der Doppeltorschütze der Slowaken beim 2:0 gegen Deutschland, in der 67. Minute ausgewechselt wurde, kündigte er dies mit den Worten an: „Vom Spiel zieht sich zurück…“ Eine schöne Formulierung. Und eigentlich so treffend für die Darbietung der deutschen Mannschaft.

Nach passablen 15 Minuten hatten sich die Deutschen immer weiter vom Spiel zurückgezogen, und als sie sich ihm wieder halbwegs näherten, war es längst zu spät. Bundestrainer Jürgen Klinsmann lächelte später trotzdem noch. „Wir lassen uns das Lächeln nicht nehmen, wenn wir mal ein Spiel vergeigen“, sagte er. Das Problem ist, dass die Deutschen eigentlich schon das Spiel in Holland vergeigt hatten und nur dank ihrer bewährten Krisenreaktionskräfte eine Niederlage gerade noch abwenden konnten. Gegen die Slowakei schafften sie das nicht mehr, weshalb nun die Frage aufkommt, ob sich hier vielleicht ein unschöner Trend verfestigt. „Die Niederlage nervt ein bisschen“, sagte Klinsmann. „Aber das gehört zu unserer Entwicklung – weil es uns zeigt, dass wir noch einiges an Arbeit vor uns haben.“

Vermutlich haben alle Beteiligten nach dem Confed-Cup gedacht, dass die Mannschaft schon weiter sei. Doch nach nur zwei Länderspielen hat sich die Euphorie in nichts aufgelöst. „Mir ist lieber, dass jetzt ein Hänger kommt als im Mai“, sagte Klinsmann. Nach der Niederlage in Bratislava wurde er gefragt, ob er sein Ziel revidieren müsse, Weltmeister zu werden. „In keinster Weise“, antwortete Klinsmann. „Warum soll man das revidieren?“ Zum Beispiel, weil die Mannschaft in der ersten Hälfte konfus wirkte, ohne Ordnung und Struktur. Weil viele Positionen nicht ideal besetzt sind. Weil sich das Defensivverhalten der Mannschaft seit dem Confed-Cup um keinen Deut verbessert hat und die eigentliche Verteidigung nicht so gut ist, dass sie diese Defizite einfach weggrätschen kann.

Vor allem aber, weil der Mannschaft der Glaube an die eigene Stärke abhanden zu kommen droht. „Wir fragen uns auch, woran es gelegen hat“, sagte Lukas Podolski. Das Paradoxe ist, dass die Probleme auch deshalb entstanden sind, weil Klinsmann sich selbst verraten hat. Als er vor einem Jahr Bundestrainer wurde, hat er sich als Mann mit festen Prinzipien positioniert. Er hat die Verjüngung der Mannschaft forciert, die Stammplatzgarantie dem ewigen Konkurrenzkampf geopfert und alle Positionen ausschließlich mit Spezialisten besetzt. All das hat er gegen die Slowaken aufgegeben.

Erst in der zweiten Hälfte fand er ein wenig zu sich selbst zurück. Klinsmann wechselte zwei 20-Jährige und zwei 19-Jährige ein. Dass er die Neulinge Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz nicht von Anfang an aufgeboten hatte, war noch plausibel. „Rein psychologisch wäre es falsch gewesen“, sagte Klinsmann, „weil es ihnen alle Last auferlegt hätte.“ Dass er hingegen auf Schweinsteiger und Podolski verzichtet hatte, ist nur schwer zu erklären. Schließlich hatte Klinsmann ihre Trainingsleistungen ausdrücklich gelobt. Die Auswahlkriterien des Bundestrainers werden immer diffuser. Nach dem Confed-Cup durften sich Schweinsteiger und Podolski als Stammspieler fühlen, sie haben gut trainiert – und durften doch nicht spielen. Wer soll das verstehen?

Nach dem Confed-Cup schien es, als habe der Bundestrainer eine Stammformation gefunden, die bis zur WM nur noch punktuell verändert werden müsse. Seitdem hat er alles noch einmal neu durcheinander gewirbelt, und Klinsmann will auch weiter an seiner heavy rotation festhalten. „Wir werden noch einiges probieren“, sagt er. Schon jetzt werden die Spieler lustig auf dem Feld hin- und hergeschoben. Bernd Schneider galt einmal als offensiver Mittelfeldspieler. Er hat seit dem Frühjahr rechts und links verteidigt, in Bratislava begann er im linken offensiven Mittelfeld, und nach der Pause besetzte er die Position vor der Abwehr.

Immer deutlicher wird Klinsmann daher den Ruf vernehmen, er müsse nun langsam eine feste Formation finden, die sich einspielen kann. „Das Grundgerüst steht“, entgegnete der Bundestrainer. Aber auch ein Gerüst kann wackeln, wenn die tragenden Stangen nicht an den richtigen Stellen angebracht sind.

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