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Sport: Aufbruch am Golmer Joch

Die Fußballer von Hertha BSC suchen im Trainingslager in Österreich nach einer neuen Ordnung

Tschagguns. Jeder Mensch hat seine kleinen Rituale, die er schätzt und pflegt. Fußballer sind in dieser Hinsicht besonders anfällig. So setzen sich Pal Dardai, Christian Fiedler und Denis Lapaczinski jeden Abend nach dem Essen im Mannschaftshotel von Hertha BSC in Tschagguns an die Bar, trinken eine heiße Schokolade und reden über das, was seit dem Frühstück passiert ist. Jeden Tag geht das so, und wehe, einer verpasst diese Verabredung. Manchmal arten solche Rituale auch zur Marotte aus, aber das merkt man oft erst, wenn man sie nicht mehr pflegt.

Zum ersten Mal seit 1998 hält Hertha BSC in diesem Sommer sein Trainingslager nicht in Kaprun ab. Die Spieler hatten sich an den Ort gewöhnt, an das Hotel, den Trainingsplatz. Von den 27 Profis des aktuellen Kaders ist außer Fiedler, Dardai, Kiraly, Schmidt, Hartmann und van Burik kein Einziger im Sommer schon mal in einem anderen Trainingslager gewesen, seitdem er bei Hertha unter Vertrag steht. „Man hat da schon so seinen Trott gehabt“, sagt Marko Rehmer. Aber dass dies so war, haben sie eigentlich erst jetzt gemerkt, da sie nicht mehr dort sind – „gezwungenermaßen“, wie Manager Dieter Hoeneß sagt. Sie sind nur umgezogen, weil der Zell-am-See-Cup, an dem die Mannschaft jeden Sommer teilgenommen hat, in diesem Jahr nicht ausgetragen wird. Stattdessen spielt Hertha jetzt an diesem Wochenende in Bregenz um den Alpencup.

Manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden. Hertha steckt im Umbruch, und vielleicht erweist es sich als günstiger Zufall, dass das tiefe Gefühl des Wandels durch den Ortswechsel verstärkt wird. Sieben Spieler haben Hertha am Ende der vergangenen Saison verlassen; es waren nicht irgendwelche, sondern einflussreiche Leute, die seit Jahren für den Verein gespielt und das Mannschaftsgefüge entscheidend geprägt haben: Führungskräfte, Wortführer und Vordenker wie Michael Preetz, Rob Maas und Stefan Beinlich. „Das ist eine ganz andere Truppe als im vergangenen Jahr“, sagt Trainer Huub Stevens. Im vorigen Sommer musste er eine fertige Mannschaft übernehmen. „Die war schon seit Jahren zusammen.“ Jetzt sind die alten Strukturen außer Kraft gesetzt, neue müssen sich erst finden, und alle Profis haben nun ein bisschen das Gefühl, bei null anzufangen.

Wenn die Spieler im Training für bestimmte Übungen kleinere Gruppen bilden sollen, ruft Stevens schon mal über den Platz: „Nicht immer die Gleichen!“ Das zeugt von der Furcht, die die Verantwortlichen bei Hertha umtreibt: dass sich jetzt, da die alten Cliquen zerschlagen sind, gleich wieder neue bilden. Alle Tendenzen zur Vereinzelung werden sofort unterbunden. Bei jeder Mahlzeit müssen die Spieler sitzen bleiben, bis alle fertig sind. Früher sind René Tretschok oder Alex Alves vom Tisch aufgestanden, als andere nicht mal die Hauptspeise serviert bekommen hatten. Am Mittwoch stiegen die Spieler auf das Golmer Joch und diskutierten in einer Berghütte über die Saison. Auch auf die Belegung der Zimmer hat die sportliche Leitung diesmal Einfluss genommen. Niko Kovac, der gestern wegen einer Beckenprellung das Training abbrechen musste, hatte sich eigentlich darauf eingestellt, mit seinem kroatischen Nationalmannschaftskollegen Josip Simunic das Zimmer zu teilen; ihm wurde Fredi Bobic zugewiesen (siehe nebenstehende Übersicht).

Solche Maßnahmen kommen nicht von ungefähr. Im Januar, im Wintertrainingslager in der Türkei, schien Herthas Geschlossenheit durch Cliquenwirtschaft in Gefahr geraten zu sein. „Die Cliquenwirtschaft war nicht unser Problem“, sagt Manager Hoeneß. „Das Problem war, dass sich viele Spieler nur schwer an ihre neue Situation gewöhnen konnten.“ Preetz und Sverrisson daran, dass sie ihre Karriere beenden würden, Maas und Tretschok daran, dass sie bei Hertha keinen neuen Vertrag mehr bekommen würden, und van Burik und Beinlich daran, dass sie trotz ihrer Verdienste erst um einen solchen Vertrag würden kämpfen müssen. „Diese latente Unsicherheit hat im Wesentlichen das Klima bestimmt“, sagt Hoeneß. Man könnte auch sagen: belastet.

Von all dem ist in diesen Tagen im Trainingslager von Tschagguns nichts mehr zu spüren. „Es ist erkennbar, dass von den Neuzugängen klare Impulse ausgehen“, sagt der Manager, „dass sie jedes Trainingsspiel gewinnen wollen.“ Genau diesen Effekt hatten sich die Verantwortlichen bei Hertha BSC durch die Verpflichtung von Fredi Bobic, Niko Kovac und Artur Wichniarek erhofft. Eine neue Mentalität sollen sie in die Mannschaft tragen. Natürlich gebe es dabei das Risiko, „dass zunächst ein kleines Vakuum entsteht“, sagt Hoeneß. „Aber es gibt auch die Chance, dass es von Leuten gefüllt wird, die vorher in der zweiten oder dritten Reihe gestanden haben.“

Die neue Ordnung im Team muss sich erst noch bilden. „Das findet sich in der Regel von selbst“, sagt Hoeneß. Und vor allem findet es sich auf dem Fußballplatz. Die ersten Ansätze sind viel versprechend. „Wenn ich sehe, wie viel Leben auf dem Platz ist und das vergleiche mit dem vergangenen Jahr – da kann ich nicht sagen, dass die Stimmung schlecht ist“, sagt Stevens. Er spüre sogar eine gewisse Harmonie auf dem Feld, doch etwas Besonderes habe er gar nicht dafür tun müssen. „Wir arbeiten hart“, sagt Stevens. „Vielleicht liegt es daran.“

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