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Peking 2008 - Fußball

© dpa

Aufhören: Fußball raus!

Bei Olympia treten die Besten der Besten an – nur im Fußball nicht. Wen interessiert deswegen schon, wer da Gold holt? Schluss damit: Es ist Zeit, Fußball bei Olympia abzuschaffen.

Juan Riquelme und Ronaldinho schüttelten sich die Hände und umarmten sich. Eigentlich hätte die Fußballwelt jetzt den Atem anhalten müssen: Zwei der weltweit besten Fußballer der letzten Jahre hatten gerade ihre Mannschaften aufs Spielfeld im Workers’ Stadium von Peking geführt, Argentinien und Brasilien sollten nun um den Einzug ins olympische Finale kämpfen. Der ewige Fußballklassiker, die südamerikanischen Supermächte im Halbfinale eines großen internationalen Turniers – wieso nur konnte man sich als Fußballfan trotzdem nicht für dieses Spiel begeistern?

Die Antwort ist einfach: weil Fußball und Olympia nicht zusammenpassen. Seit Jahrzehnten quälen sich die weltweit beliebteste Sportart und das wichtigste Sportereignis miteinander herum. Auch das Turnier in China hat wieder gezeigt: Es ist Zeit, diese traurige Beziehung zu beenden und Fußball bei Olympischen Spielen abzuschaffen.

Das Herz verpflanzt

Denn am vergangenen Dienstag standen sich im Workers’ Stadium nicht Brasilien und Argentinien gegenüber, sondern die jeweiligen Olympia-Auswahlteams. Die Regeln verlangen, dass U-23-Mannschaften bei den Spielen antreten, verstärkt durch drei Spieler ohne Altersbeschränkung. Das führt dazu, dass die Olympiateams kuriose Gebilde sind. Während die Argentinier in Riquelme und Javier Mascherano das Herz ihrer A-Nationalmannschaft in die Olympia-Auswahl verpflanzten, entschied sich Brasiliens Trainer Dunga dafür, den unfitten Ronaldinho als eine Art Maskottchen zum Kapitän zu machen.

Die Niederländer sehen die Spiele in Peking anscheinend als Belohnungsreise für verdiente Ex-Nationalspieler. Wieso sonst durfte Roy Makaay für Oranje auflaufen? Die Nachwuchsspieler, die die Qualifikation mitgemacht haben und nun ihren Platz für die Routiniers räumen mussten, darf man bemitleiden.

Sportlicher Wert gegen null

Bei Olympischen Spielen treten sicher keine schlechten Fußballmannschaften an – die besten ihres Landes aber mit Sicherheit nicht. Was ist Brasilien schon ohne Kaká? Italien ohne Buffon? Holland ohne Sneijder? Das unterscheidet den Fußball von allen anderen Disziplinen bei Olympia: Während man bei Turmspringern und Tischtennisspielern, Säbelfechtern und Slalomkanuten sicher sein kann, die besten der Welt zu sehen, geht der sportliche Wert des olympischen Fußballturniers gegen null. Gewichtheber und Skeet-Schützen können sagen: Ich habe bei Olympia gesiegt, ich war an diesem Tag der Beste der Welt. Was lässt sich über den Olympiasieger im Fußball sagen?

Eingequetscht zwischen der EM und der europäischen Saison liegt das olympische Turnier im Niemandsland, weder der Weltverband Fifa noch die nationalen Ligen nehmen in ihrem Terminkalender Rücksicht darauf. Wie viel wert die Klubs darauf legen, dass sich ihre Spieler bei Olympia präsentieren, hat auch der Kampf der Bundesligisten Werder Bremen und Schalke 04 um ihre Brasilianer Diego und Rafinha gezeigt. Und Hertha BSC hat Solomon Okoronkwo nicht nach China geschickt, damit er internationale Erfahrung sammelt und sich zu einem Stammspieler entwickelt, sondern um für ihn einen Käufer zu finden.

Die Besten nicht am Start

Nicht nur die Spieler sind nicht das Beste vom Besten, auch das olympische Teilnehmerfeld repräsentiert nicht den Leistungsstand im Weltfußball. Von den vier Halbfinalisten der letzten WM – Frankreich, Italien, Portugal, Deutschland – war einzig Italien in China vertreten. Die besten vier der EM – Spanien, Deutschland, Türkei, Russland – waren gar nicht bei Olympia am Start. Dafür durften sich Honduras und Neuseeland ihre Niederlagen abholen. Diese Wurstigkeit setzt sich bei den Schiedsrichtern fort. Das Halbfinale zwischen Brasilien und Argentinien musste nach einer Stunde unterbrochen werden, weil ein Linienrichter seinen Wadenkrampf behandeln ließ.

Als ob das alles nicht deprimierend genug wäre: Der Fußball sprengt auch den Rahmen der Spiele. Als der ehemalige chinesische Turner Li Ning am 8. August die gigantische Fackel im Vogelnest-Stadion entzündete, begannen die Spiele für alle Athleten – nur für die Fußballer nicht. Weil Fußballer als einzige Mannschaftssportler nicht alle zwei Tage antreten können, lässt sich ein großes Fußballturnier nicht in zweiwöchige Olympische Spiele zwängen. Die Fußballer und Fußballerinnen spielten schon, bevor die Spiele offiziell eröffnet waren.

Das Programm beim Fußball sprengt den Rahmen der Spiele

Mit ins Nationalstadion eingelaufen wären die Fußballmannschaften aber sowieso nicht. Denn die Vorrundenspiele wurden Hunderte Kilometer entfernt vom Vogelnest ausgetragen, in Shenyang, Qinhuangdao oder Schanghai. Deswegen machen die Profifußballer auch nicht jene olympische Erfahrung, von der beispielsweise die ebenfalls hoch bezahlten Basketballer so schwärmten. Die Gemeinschaft im olympischen Dorf haben die Fußballer in China nicht erlebt, sie konnten sich auch keine Wettkämpfe anderer Sportarten ansehen. Das ist bereits Tradition, vor vier Jahren trennte sogar ein Meer die Fußballer von allen anderen Olympioniken: In Athen schlug das Herz der Spiele, die Fußballer kickten unter anderem auf Kreta. Dabei lebt Olympia davon, dass auf engstem Raum um Medaillen gekämpft wird. Aber welcher Stadt ist es zuzumuten, nicht nur ein großes Stadion zu errichten, sondern gleich vier oder fünf?

Traditionell ist auch das Regel-Wirrwarr, das den olympischen Fußball umgibt. Der Sport ist zwar seit 1900 (mit der Ausnahme 1932) immer olympisch gewesen, eine olympische Kernsportart ist er deswegen noch lange nicht. Den ersten Demonstrationswettbewerb gewann noch der Londoner Klub Upton Park F.C., weil sich keine Nationalmannschaften angemeldet hatten. Von 1952 bis 1980 holten stets sozialistische Staatsamateure Gold, erst 1984 durften Profis zu den Spielen. Für Spieler aus Europa und Südamerika galt allerdings die merkwürdige Einschränkung, noch nicht an einer WM teilgenommen zu haben. Seit 1992 gilt die heute noch aktuelle Regel. Als denkwürdigste Leistung des olympischen Kickens darf gelten, dass es 1936 Adolf Hitler die Freude am Fußball verdarb. Die deutsche 0:2-Niederlage im Berliner Poststadion gegen Norwegen vergrätzte Hitler so sehr, dass er sich fortan nicht mehr für Fußball begeisterte.

Und Joseph Blatter stellt sich tot

Im modernen Fußball entscheidet das Geld, wo die besten Spieler antreten. Und das wird nicht bei Olympia gemacht, sondern in den nationalen Ligen, der Champions League sowie bei Welt- und Europameisterschaften. Organisationen wie DFL, Fifa und Uefa haben kein Interesse daran, ein neues attraktives Turnier entstehen zu lassen. Die Uefa, deren Cash-Cow EM im selben Jahr wie Olympia stattfindet, wird alles tun, um eine Aufwertung des olympischen Fußballturniers zu verhindern. Und Joseph Blatter hat sich im Vorfeld der Spiele wochenlang tot gestellt und den Streit zwischen Klubs und Verbänden eskalieren lassen, nur um sich nicht zur Olympia-Problematik äußern zu müssen.

Der Fußball hat bei Olympia also keine Zukunft. Eigentlich ist das kein Problem: Olympia wird bei Fußballfans nie den gleichen Stellenwert haben wie eine WM, Olympiafreunde werden Michael Phelps immer mehr bewundern als Michael Ballack. Olympia braucht den Fußball nicht, Fußball braucht kein Olympia. Also Schluss damit.

Hier ein Argument für den Olympia-Fußball. Bitte klicken Sie hier.

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