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Sport: Aufregend süß

In zehn Jahren hat es Achim Stocker dreimal zu einem Fußballspiel seines Klubs geschafft. Ansonsten begnügt der Präsident sich mit dem Ersatzstoff Videotext und einer Aufzeichnung.

In zehn Jahren hat es Achim Stocker dreimal zu einem Fußballspiel seines Klubs geschafft. Ansonsten begnügt der Präsident sich mit dem Ersatzstoff Videotext und einer Aufzeichnung. Vor sechs Jahren saß Stocker in Prag neben Volker Finke auf der Trainerbank, um das 0:0 gegen Slavia und das Ausscheiden bei der Europapokalpremiere des SC Freiburg mitzuerleben. Vor ein paar Wochen hat er sich das Uefa-Cup-Rückspiel gegen den SK Puchov angetan, und war nach langer Zeit der auferlegten Enthaltsamkeit verblüfft über das Live-Erlebnis: "Ich wusste gar nicht, dass die Stimmung bei uns im Stadion so überschwappen kann." Nach einer Halbzeit war dann aber schon wieder Schluss. Der Mann hat es am Herzen und weiß, wann es genug ist für ihn.

So wie am späten Donnerstagnachmittag im Zürcher Hardturm. Da quittierte Achim Stocker seinen Platz in der Loge neben seiner Frau und Fifa-Präsident Joseph Blatter mit dem Pausenpfiff und einer 2:1-Führung seiner Mannschaft: "Die Nerven waren strapaziert und das Spiel ein bisschen zu aufregend für mich." Also schlenderte er in der milden Abendsonne an der Straße entlang, der dichte Feierabendverkehr schluckte die Geräusche, die aus dem Stadion herüberdrangen und erst als die ersten Schweizer Fans aus der Arena strömten und auf den 66-jährigen Pensionär aus dem Badischen nicht den Eindruck machten, dass der FC St. Gallen das Spiel noch hoch gewonnen haben dürfte, erfuhr er vom Endresultat: 4:1 für den SC Freiburg, die bittere 0:1-Heimniederlage in großem Stil korrigiert und damit die dritte Europacup-Runde erreicht - mehr hat der Verein nie zu Wege gebracht.

Aber der Sport-Club wäre nicht der Sport-Club, wenn anderntags nicht der Blick für den Alltag geschärft würde, statt in frisch gewonnenem Ruhm zu schwelgen. "Zuerst kommt die Meisterschaft", sagt Stocker, dann das Vergnügen Europapokal. Der Trainer mahnt, dass es "keine Schwierigkeit für uns sein darf, jetzt den Hebel gegen Energie Cottbus umzulegen". Schließlich entspannen erst die drei Punkte, die am Sonntag zu vergeben sind, die Situation für die Freiburger in der Liga weitestgehend. Aber der Trend der vergangenen zwei Wochen mit dem Sieg in Dortmund, dem Unentschieden von Mönchengladbach und der ansteigenden Form einzelner Spieler wie Sebastian Kehl oder Vladimir But deutet aufwärts.

Erst die Fernsehbilder von der Auslosung in Genf lenkten Volker Finkes Gedanken gestern Mittag wieder auf die süße Zugabe. Als die Wunschgegner Inter Mailand ("Kurze Anfahrt über die Alpen") und Paris St. Germain gezogen waren, raufte sich der Trainer die Haare, stieß ein flehendes "Bloß nicht Athen!" aus und dachte an seinen Assistenztrainer Achim Sarstedt und aufwändige Beobachtungsreisen. Feyenoord Rotterdam wurde es schließlich, ein "extrem attraktiver Gegner" (Finke), gegen den Freiburg jetzt in die Außenseiterrolle schlüpfen und zuerst auswärts antreten darf. Und nebst der großen sportlichen Herausforderung wird das Treffen auch für die Sicherheitskräfte in Freiburg eine besondere Aufgabe werden.

Für den alten badischen Zweckpessimisten Achim Stocker sind die Niederländer, die in den vergangenen Jahren Ajax den Rang abgelaufen haben, eine hohe Hürde: "Ob wir Feyenoord überstehen, bezweifele ich." Ganz sicher wird diese Begegnung dem finanziell ohnehin auf Rosen gebetteten SC Freiburg eine weitere Einnahme in Höhe von rund drei Millionen Mark in die Kasse spülen. "Natürlich bin ich glücklich, dass wir eine Runde weiter sind", sagt Stocker, "denn das verbessert unsere wirtschaftliche Situation." Denn kaum hat der SC Freiburg 20 Millionen Mark in seine "Freiburger Fußballschule" und damit in seine sportliche Zukunft investiert, steht schon das nächste 10-Millionen-Projekt zur Verwirklichung an: Ein Medienhaus wird gebaut und anschließend die Haupttribüne modernisiert.

Mit diesem Tatendrang ist der SC Freiburg in drei Wochen für Rotterdam vielleicht doch ein ernst zu nehmender Widersacher.

Christoph Kieslich

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