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Der Mann, den sie „Icke“ nennen. Thomas Häßler zuckt immer noch zusammen, wenn ein Spieler nicht zum Training kommen kann, weil die Arbeit ruft oder die Freundin krank ist.

© imago/Matthias Koch

Aufstieg mit Berliner Club Italia: Thomas Häßler, Weltmeister der Bezirksliga

Einst glänzte er mit Dribblings, Flanken – und der gewonnenen WM. Dann kam das „Dschungelcamp“. Nun schreibt Thomas Häßler wieder sportliche Schlagzeilen und steigt mit Club Italia in die Landesliga auf.

Der Weltmeister ist ein bisschen zu früh dran. Noch tobt eine Horde Jungs auf dem Fußballplatz am Spandauer Damm, nebenan auf dem Kunstrasen schwingen Mädchen den Hockeyschläger. Niemand beachtet den Mann, den sie überall „Icke“ nennen. Wie Thomas Häßler die Tasche aus dem Kofferraum seines SUV wuchtet, da kommt auch schon Giovanni Bruno, Vorsitzender des Club Italia Berlino – mit einem Motorroller, wie es sich für das Klischee gehört. Kurze Umarmung, Schulterklopfen, „buon giorno!“, Häßler lacht. Er hat ein Jahr in Turin gespielt und drei weitere in Rom, wo er auch Weltmeister geworden ist, 1990 im Finale gegen Diego Maradonas Argentinien. Lange her. Aber das Italienisch geht ihm immer noch leicht über die Lippen, jedenfalls wenn es um Fußball geht – „wenn du mich zum Obstkaufen schickst, komme ich mit einem Fernseher zurück“.

Das Training beginnt erst in einer Stunde, und weil sich heute sein Assistent um die Vorbereitung kümmert, hat Thomas Häßler Zeit zum Plaudern. Über Gott und die Fußballwelt und die Frage, was er hier verloren hat. Im neblig-kalten Berliner Frühling auf einem Stück Rasen zwischen Kleingärten und dem Klinikum Westend. Wenn Thomas Häßler den Club Italia Berlino trimmt, könnte Sir Simon Rattle genauso gut den Chor der Kreuzkirche Schmargendorf dirigieren.

Warum tut er sich das an?

Er war schon einmal tiefer gesunken als bis in die Bezirksliga. Anfang des Jahres saß er im australischen RTL-Dschungelcamp, ließ sich mit Insekten und Würmern überkippen, sog pürierten Fischabfall durch einen Strohhalm und verhielt sich ansonsten ruhig. Der Weltmeister war zum B-Promi geworden, vorher schon, in Sendungen, die „Ewige Helden“ oder „Let’s dance“ heißen. Wieder im Rampenlicht, nur ohne Glanz.

Auf Bolzplätzen im Berliner Norden aufgewachsen

Er kann die Fragen zu seinen Gastauftritten nicht mehr hören. Es gibt Geschichten über angebliche Geldsorgen und solche, die von einem Verunsicherten und Gescheiterten erzählen. Dies hier ist nicht so eine Geschichte. Hier geht es um Fußball.

Thomas Häßler ist zurück im Kerngeschäft. Und am Samstag konnte er mit seiner Mannschaft den ersten Aufstieg feiern. Von der achten in die siebte Liga – und wer weiß, was danach kommt. „Ob achte, neunte oder zehnte Liga ist völlig egal“, sagt Häßler. „Es gibt nichts Langweiligeres als zu Hause gegen die Wand zu schauen.“ Andere Angebote habe er eben nicht bekommen, und zum Fußball, da könne man ihn um drei Uhr nachts wecken, „und ich bin sofort bereit“, sagt Häßler. „Das wird auch noch so sein, wenn ich 80 bin.“

Ende Mai wird er erst mal 51. Das Haar ist kürzer geschoren als früher und ein bisschen kräftiger geworden ist er auch. Aber sein Gesichtsausdruck wirkt immer noch so lausbubenhaft wie in jenen Tagen, als er die Fußballwelt mit seinen Dribblings, Flanken und Freistößen verzauberte.

Thomas Häßler ist auf Bolzplätzen im Berliner Norden aufgewachsen, auf der Weddinger Schillerwiese oder dem Reinickendorfer Letteplatz. Zum Weltstar aber hat er es in Köln und Italien gebracht, später noch in der Bundesliga für Karlsruhe, München und Dortmund gespielt, bis die Karriere in Salzburg ausklang. Mit 50 ist er wieder nach Hause gekommen, in die Stadt, der er seinen Akzent verdankt und den Spitznamen. Kein Berliner wäre auf die Idee gekommen, den kleinen Thomas „Icke“ zu nennen.

Neuanfang in der achten Liga

Bei seiner Vorstellung setzte sich Häßler auf Bitten der Fotografen in einen Fiat Topolino, was übersetzt so viel wie Mäuschen heißt und seiner Körpergröße von 1,66 Meter sehr entgegenkam.
Bei seiner Vorstellung setzte sich Häßler auf Bitten der Fotografen in einen Fiat Topolino, was übersetzt so viel wie Mäuschen heißt und seiner Körpergröße von 1,66 Meter sehr entgegenkam.

© dpa/Kay Nietfeld

Als er vor einem Jahr mit großem Brimborium die Bühne der achten Liga betrat, quetschten sich 30 Reporter und fünf Kamerateams in ein Autohaus im Berliner Norden. Häßler sprach artig von einem „interessanten Projekt“ und setzte sich auf Bitten der Fotografen in einen Fiat Topolino, was übersetzt so viel wie Mäuschen heißt und seiner Körpergröße von 1,66 Meter sehr entgegenkam.

Häßler stellt die Tasche ab und bittet in die Vereinskneipe, ein Häuschen hinter dem Fußballplatz mit dem Namen „La Fiesta“, was schön klingt, aber nicht wirklich Italienisch ist. Der Wirt bringt Kaffee und Mineralwasser und fragt nach dem nächsten Spiel.

Gutes Thema, über Fußball redet er gern und mit jedem, auch wenn seine großen Zeiten gut 20 Jahre zurückliegen. Um die 500 Euro monatlich bekommt ein Trainer im unteren Amateurbereich, Häßlers Vertrag dürfte allein durch seinen Namensbonus sehr viel höher dotiert sein. Die achte Liga ist ein Anfang für einen, der eben nichts so gut kann wie Fußball und sich dafür nicht schämen will. „Fußball spielen die bei Italia auch, übrigens gar nicht so schlecht“, und ein Aufstieg wäre allemal ein positives Moment, das dann mit seinem Namen verknüpft wäre.

Als Fußballtrainer steht Thomas Häßler da, wo er als Fußballspieler 1984 stand, als er mit 17 aus Berlin nach Köln ging, ganz allein und ohne eine sichere Aussicht auf die große Karriere.

Garantien gibt es nicht, auch das macht den Fußball so interessant, selbst in der achten Liga. Ja, er hätte vielleicht „ein bisschen früher als Trainer anfangen sollen. Aus unserer Weltmeistermannschaft von 1990 ist ja keiner richtig als Trainer was geworden“, mal abgesehen von Jürgen Klinsmann, der seiner Heimat ein kurzes Sommermärchen bescherte und dann wieder in die Wahlheimat USA verschwand. Der Weltstar Lothar Matthäus dilettierte in Ungarn, Serbien oder Österreich, an das Experiment mit Rudi Völler als Teamchef der Nationalmannschaft erinnert sich kaum noch jemand, andere wie Guido Buchwald oder Andreas Brehme sind mehr oder weniger kläglich gescheitert. Warum? Keine Ahnung, sagt Häßler, „an uns kann es eigentlich nicht liegen, wir sind alle gute Jungs und haben die Fußballlehrerlizenz“, die zur Arbeit in der Bundesliga berechtigt.

Mit seiner Frau wohnt Häßler in Spandau

Er hat es erst einmal in der zweiten Reihe versucht. Als Techniktrainer beim 1. FC Köln, später an der Seite von Berti Vogts in Nigeria, zuletzt verdingte Häßler sich als Assistent beim iranischen Erstligisten Padideh Maschad, wo es viel Sand gab, aber zum Schluss kein Gehalt mehr. Jetzt arbeitet er schon zehn Monate auf dem Sportplatz neben den Lauben und zuckt immer noch zusammen, wenn ein Spieler nicht zum Training kommen kann, weil die Arbeit ruft oder die Freundin krank ist, „um so etwas musst du dich als Profi ja nicht kümmern.“

Hat er die Stadt wiedererkannt? Das vereinigte Berlin mit seinen postmodernen Protzbauten am Potsdamer Platz, dem Regierungsviertel und dem alten Wohnhaus der Familie Häßler, nicht weit von der geschleiften Mauer an der Schnittstelle von Wedding, Reinickendorf und Pankow?

Als die Mauer fiel, war Häßler 23 und spielte in Köln. Wenige Tage später, am 15. November 1989, ging es für die deutsche Nationalmannschaft um alles oder nichts. Für die Qualifikation zur WM in Italien musste im letzten Spiel gegen Wales ein Sieg her. Es war der kleine Berliner, der das entscheidende Tor zum 2:1 schoss. Ohne Thomas Häßler hätte es keinen Weltmeister Deutschland gegeben. Später hat er erzählt, dass er die ganze Zeit mit den Gedanken in Berlin gewesen sei.

Der größte Tag seiner Karriere: Thomas Häßler feiert den WM-Titel 1990 in Rom.
Der größte Tag seiner Karriere: Thomas Häßler feiert den WM-Titel 1990 in Rom.

© Frank Kleefeldt/dpa

Nach der Rückkehr in die Heimat ist Thomas Häßler nicht in seinen alten Kiez nach Reinickendorf gezogen, sondern an die Peripherie. Mit seiner Frau wohnt er in Spandau, nur ein paar Autominuten vom Vereinsgelände entfernt und weit weg vom Trubel des neuen, des hektischen Berlin. „Ich finde schon, dass sich vieles total verändert hat“, sagt er. „Aber vielleicht ist mein Gedächtnis auch so schlecht. Den Platz am Spandauer Damm kenne ich von früher, ich hab hier noch gespielt. Aber als ich das erste Mal zum Training gegangen bin, hab ich mich schon gefragt: War der Weg von der Straße hierher wirklich so lang?“

Geblieben sind die Freunde von früher. Eine kleine Clique, die sich alle paar Wochen zum Billard-Spielen trifft, „das haben wir damals schon oft gemacht, bevor das bei mir mit der Karriere so richtig losging.“ Der Kontakt ist nie abgerissen. „Die Jungs tragen jetzt fast alle einen ziemlichen Ranzen herum“, Häßler lacht und wölbt die Hände vor dem Bach. „Letztens haben sie noch mal ein Spielchen für mich organisiert“, natürlich auf dem Letteplatz, wo sie immer gleich nach der Schule hingerannt sind. „Wir hatten keine Handys und kein Internet. Vater hat uns immer nach draußen gescheucht. Schultasche in die Ecke und dann raus auf den Bolzplatz, bis es dunkel wurde.“ Noch heute, sagt Häßler, „habe ich jeden Tag Spaß daran, an der frischen Luft zu stehen und mit den Jungs zu arbeiten“.

„Heute gegen den Weltmeister!“, ruft einer vom Gegner

Ach ja, das Training, da war doch was. Schnell noch einen letzten Schluck Kaffee, dann geht es raus auf den Fußballplatz. Die Mannschaft versammelt sich im Mittelkreis, der Ko-Trainer gibt die Kommandos und der Chef schweigt. Häßler steht am Rand, er trägt eine blaue Trainingsjacke mit den Initialen „TH“ auf der Brust, faltet die Hände hinter dem Rücken und schaut zu. Spielt er auch mal mit? „Ab und zu schon, macht immer noch Spaß“, aber neulich hat er sich beim Joggen die Wade gezerrt, „auch das kannte ich früher nicht. Na ja, man wird halt älter.“

Wenn überhaupt, dann tritt er bei Benefizspielen an, „da spielst du für einen guten Zweck, und du trifft viele alte Kollegen von früher wieder“, aber eigentlich habe er mit dem Trainerjob genug zu tun. Zum Beispiel an einem regnerischen Sonntag, 23. Spieltag der Berliner Bezirksliga, erste Abteilung. Häßlers Club Italia tritt bei den Sportfreunden Charlottenburg-Wilmersdorf an, auf einem Nebenplatz des Stadion Wilmersdorf, eingezwängt zwischen Eisbahn und Stadtautobahn. „Heute gegen den Weltmeister!“, ruft einer vom Gegner. Der Weltmeister ist kleiner als alle 22 Spieler auf dem Platz, er vergräbt seine Hände in einer wattierten Jacke und spielt ein bisschen mit dem Ball herum. Zeit, dass es endlich losgeht. Seine Mannschaft trägt himmelblaue Trikots in dem Farbton, den die italienische Nationalmannschaft in die Fußballwelt hinausgetragen hat. Dem Schiedsrichter assistieren an der Seitenlinie zwei gesetzte Herren in Jeans und Lederjacken, sie heben bei Bedarf die Fahne und vertreiben sich ansonsten beim Gespräch mit Zuschauern die Zeit. Alltag in der achten Liga.

Thomas Häßler nickt bei gelungenen Aktionen und ruft zum Zeichen höchster Wertschätzung auch mal „guter Ball!“. Fehlpässe quittiert er mit Kopfschütteln. Einer der alten Freunde hat ihn darauf hingewiesen, „dass ich auch mal lauter sein müsste, einfach mal auf den Platz brüllen. Tja, da hat er wohl recht.“

Aufstiegsparty in Friedrichshagen

Nach seiner Zeit in Italien kehrte Häßler in die Bundesliga zurück und spielte für den Karlsruher SC.
Nach seiner Zeit in Italien kehrte Häßler in die Bundesliga zurück und spielte für den Karlsruher SC.

© Bernd Wüstneck/Zentralbild/dpa

An diesem Sonntag läuft auch so alles nach Plan. Der Club Italia schießt früh das 1:0, schüttelt sich kurz nach dem Ausgleich und legt noch zwei Tore nach. Häßler nickt zufrieden und daddelt mit einem Kiesel an der Seitenlinie herum. Einen zwischenzeitlichen Hagelschauer erträgt er stoisch, ohne die Kapuze aufzusetzen. Dann ist Schluss, 3:1 gewonnen, Häßler nickt ein letztes Mal und schüttelt dem Charlottenburger Trainer die Hand. Hat ihn schon mal ein Gegner auf dem Platz um ein Autogramm gebeten? „Na, wenn wir die grade weggebügelt haben, dann nicht!“ Ansonsten halte sich alles im Rahmen, „mal ein Selfie oder so, das geht schon in Ordnung“.

Am nächsten Tag schwärmt das Fachblatt „Fußball-Woche“ von der „Effizienz und individuellen Klasse des souverän auftretenden Aufstiegsaspiranten“. Thomas Häßler nimmt es genauso zufrieden zur Kenntnis wie den Platz hoch oben auf dem Gipfel der Tabelle. Wäre schon blöd gewesen, wenn das mit dem Aufstieg nicht geklappt hätte, vor allem für ihn, er kann sich vorstellen, wie sie über ihn hergezogen wären, von wegen: Für den Weltmeister ist sogar die Bezirksliga zu groß!

So ist es nicht gekommen. Drei Spiele stehen noch aus in der Berliner Bezirksliga, erste Abteilung, und nach einem glanzvollen 8:0-Sieg beim Friedrichshagener SV erlebte der Sportplatz am Fürstenwalder Damm am Samstag die große Aufstiegsparty des Club Italia. Weiter in die Landesliga und dann so schnell wie möglich hoch in die Dritte Liga, wo der Fußball schon auf professioneller Basis betrieben wird und kein Spieler das Training absagen muss, weil er auf seinem Arbeitsplatz unabkömmlich oder die Freundin krank ist.

Gespräche über eine Fusion mit dem BAK sind gescheitert

Italia – 1980 gegründet als Nachfolger der „Gioventù Italiana Berlino“, der Italienischen Jugend Berlins, die wiederum auf die Initiative eines katholischen Missionars zurückgeht, der sich in den 60er Jahren einen Fußballverein für die Gastarbeiterkinder wünschte – gibt sich einen Zeitraum von acht bis zu zehn Jahren für den Marsch durch die Instanzen. So hat es der Sportliche Leiter bei Häßlers Vorstellung ausposaunt.

Nur zu gern hätte der Verein eine Abkürzung genommen, über eine Fusion mit dem Berliner AK, der als Einstiegsgeschenk seinen Startplatz in der viertklassigen Regionalliga mitbringen würde. Beide Seiten waren nicht abgeneigt, aber vor ein paar Tagen hat der BAK via „Bild“-Zeitung abgesagt, und damit ist das schöne Projekt erst einmal erledigt. So ein Blitzaufstieg „wäre natürlich Bombe gewesen“, sagt Thomas Häßler. Egal, er macht seinen Job auf dem Rasen, „alles andere ist nicht meine Baustelle“.

Aber so ein bisschen früher dran gewesen wäre er schon gerne, der Weltmeister. Nicht nur auf dem Trainingsplatz am Spandauer Damm, zwischen Kleingärten und Krankenhausmauern.

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