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Sport: Aus für Baumann: Dieter Baumann läuft nicht mehr - und manchen freut das

Vielleicht hat man nach so einer Geschichte einfach keine Tränen mehr. Vielleicht kann man einfach nicht mehr weinen.

Vielleicht hat man nach so einer Geschichte einfach keine Tränen mehr. Vielleicht kann man einfach nicht mehr weinen. Oder herumbrüllen oder in sich zusammensinken oder verzweifelt auf den Tisch schlagen. Vielleicht kann man das alles nicht mehr, weil man zu viel schon erlebt hat. Aber damals gab es noch die Hoffnung. Vielleicht kann man jetzt einfach nicht mehr weinen, weil es keine Hoffnung mehr gibt. Weil alles vorbei ist. Weil ein sportliches Leben in Scherben fällt. "Dieter Baumann ist relativ gefasst", hat Michael Lehner gestern in Sydney gesagt, "wie er halt ist in einer Extremsituation." Dieter Baumann war zu diesem Zeitpunkt in der Nähe von Brisbane, dort, wo sich die deutschen Leichtathleten auf ihre Auftritte bei den Olympischen Spielen vorbereiten. Aber was heißt "relativ gefasst"? Baumann war offenbar niedergeschlagen und tief enttäuscht. Jeden, der ihn auf das Urteil ansprach, wies er ab. Nur seine Frau und seinen Rechtsanwalt Lehner ließ er an sich heran.

Extremer geht die Situation nicht mehr. Dieter Baumann hat seinen letzten Kampf verloren. Das Schiedsgericht des Welt-Leichtathletikverbands IAAF hat ihn rückwirkend für zwei Jahre gesperrt. Baumann, der 5000-Meter-Olympiasieger von 1992, hat sich für Sydney qualifiziert. Laufen darf er dort nicht.

Endstation Hoffnungslosigkeit. Er war zwei Mal positiv getestet worden, wurde suspendiert vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), vom Rechtsausschuss des DLV wegen eines Formfehlers freigesprochen, qualifizierte sich für Sydney, und jetzt wurde er wieder aus dem Verkehr gezogen. "In den Leichtathletik-Stadien wird er nicht mehr auftauchen", sagt Klaus Steinbach, der Chef de Mission der deutschen Olympiamannschaft. Ein letzter Strohhalm bleibt. Baumann könnte ein Gnadengesuch einreichen.

Aber einer wie Baumann will keine Gnade, er will Recht. Gnade hätte für ihn etwas Demütigendes. Und damit wäre er nur noch eine traurige Figur. Baumann spaltet im Olympischen Dorf die Meinungen, weil er dieses Standhafte hat, dieses Unbeirrbare. Er missioniert in eigener Sache, und die einen halten weiter zu ihm, während andere sich verächtlich abwenden. Einer wie der Boxer Steven Küchler zum Beispiel. Küchler boxt in Sydney im Weltergewicht, er steht im Achtelfinale. Und er kommt aus Halle. Das ist wichtig, denn die Herkunft ist im Streit um den Läufer wichtig. Der Fall Baumann ist ein Ost-West-Konflikt. Wäre er doch ins olympische Dorf gekommen, der Dieter Baumann, sagt Küchler. Sie hätten ihm schon den richtigen Empfang bereitet. Die ganzen Boxer. Dann hätte Baumann gleich gewusst, was sie von ihm halten. "Wir hatten ernsthaft überlegt, ob wir ihm bei seiner Ankunft im Olympischen Dorf nicht Zahnpasta vor die Füße werfen." Gut so, die Sperre, sagt Küchler. "Er hat betrogen. Und es war eine Unverschämtheit, wie er sich verhalten hat."

Der Boxer sagt nicht, was er damit meint. Baumanns Hinweise auf die Stasi vielleicht, auf einen Racheakt. Wie man Zahnpasta manipuliert, steht in einer Stasi-Akte. Oder Baumanns Hinweis, dass sein Intimfeind und sportlicher Konkurrent Stephane Franke mit der ganzen Geschichte etwas zu tun haben könnte. Es ist letztlich auch egal.

Baumann wurde zwei Mal positiv getestet, und für Sportler ist das entscheidend. Haben sie nicht schon die wildesten Geschichten gehört? Hanebüchene Storys, mit denen eine positive Dopingprobe erklärt wurde? Vergiftete Hähnchenschlegel; eine eifersüchtige Freundin, die Dopingmittel ins Essen mischt; fünf Mal Sex und sechs Flaschen Bier in der Nacht vor dem positiven Test. Und jetzt diese Zahnpasta-Geschichte. Die Fechterin Sabine Bau sagt: "Allein die Warterei für ihn war schlimm. Aber es liegen zwei positive Proben vor, und entsprechend ist die Sperre verhängt worden."

Viele Sportler denken so. Aber vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht aber auch Zeichen tiefer Verbitterung, dass sich vor allem Sportler aus den neuen Bundesländern so krass, so deutlich, fast schon so brutal ablehnend gegen Baumann aussprechen. "Die Sperre ist völlig korrekt. Früher hatten die Ost-Sportler immer ihren Stempel weg. Es wäre ungerecht gewesen gegenüber Katrin Krabbe und Uta Pippig", sagt Kay Huste, der Ex-Europameister, der in Sydney im Halbweltergewicht antritt. Die Sprinterin Krabbe aus Neubrandenburg und die Marathonläuferin Pippig, aufgewachsen in der DDR, wurden nach positiven Proben gesperrt. Kay Huste wohnt in Frankfurt/Oder. Die Ex-DDR-Volleyballerin Susanne Lahme geht sogar davon aus, "dass ein Großteil der Mannschaft Dieter Baumann nicht im Olympischen Dorf gewünscht hätte".

Mag sein. Auch Ralf Bissdorf, der Florett-Weltcupsieger aus Heidenheim, sieht die positiven Proben. Aber Bissdorf sieht gleichzeitig den Menschen Baumann. Der Mensch Baumann macht es einem schwer, weil er wie kein zweiter Glaubwürdigkeit verkörperte. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er manipuliert hat", sagt Bissdorf also, "weil er so oder so sportlich keine Rolle gespielt hätte." Die Schützin Susanne Kiermayer, die im Trap Fünfte wurde, sagt ganz offen: "Ich könnte mir vorstellen, dass Baumann ein faules Ei ins Nest gelegt worden ist." Damit ist die Sportlerin ziemlich allein. Kaum ein anderer gibt so deutlich den Baumann-Verteidiger.

Michael Lehner, Baumanns Anwalt, will nun gegen die IAAF eine Schadensersatzklage einreichen, "die sich gewaschen hat". Das hört sich gut an und kämpferisch. Aber hat das Baumann gestern wirklich interessiert? Vermutlich kaum. Geld bringt ihm seine Glaubwürdigkeit nicht zurück. Baumann ist immer an der Spitze der Anti-Doping-Bewegung gelaufen. Die Bewegung wird immer größer. Nur der Frontmann ist nicht mehr dabei. Seine Lauf endete in der Sackgasse.

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