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Sport: Aus Marco wurde Mehmet

Der gebürtige Brasilianer Aurelio polarisiert als türkischer Nationalspieler

Noch nicht einmal die Nationalhymne kann er. Dass der Mittelfeldspieler Mehmet Aurelio diese Woche bei einem Freundschaftsspiel gegen Luxemburg das türkische Nationaltrikot trug, geht einigen Experten, Fans und Funktionären am Bosporus gehörig gegen den Strich. Denn vor Kurzem hieß Aurelio noch Marco mit Vornamen und war Brasilianer. Seine Berufung in den türkischen Nationalkader für die Vorbereitung auf die Europameisterschaft 2008 ist eine Revolution – zum ersten Mal lief ein dunkelhäutiger, dazu noch gerade erst eingebürgerter Spieler in der türkischen Elf auf.

Das mit der Nationalhymne sei kein Problem, die werde er schon noch lernen, sagte der 28-jährige Aurelio bei seiner ersten Pressekonferenz als Nationalspieler. Nicht alle sehen das so entspannt. Der prominente Sportkolumnist Kasim Kanat zieht in der Zeitung „Sabah“ gegen Aurelio zu Felde. Vor dem Luxemburg-Spiel kündigte Kanat an, er werde sich aus Protest gegen Aurelios Berufung während der Nationalhymne nicht von seinem Platz erheben. Sogar bei Fußball- Offiziellen fand Kanat Unterstützung: Der Chef des Schiedsrichterverbandes sprach von einer „Degeneration“ der Nationalmannschaft. Dass Aurelio beim schwachen 1:0 der Türken über die Fußball-Großmacht Luxemburg noch einer der besten Spieler seiner Mannschaft war, kann die Kritiker nicht besänftigen.

Nationalisten werfen Aurelio vor, sein Passwechsel sei nicht Ausdruck unbändiger Liebe zur neuen Heimat, sondern ein kühl berechneter Schritt des Traditionsklubs Fenerbahce Istanbul, bei dem Aurelio seit drei Jahren spielt. Fenerbahce wolle mit Aurelios Einbürgerung die in der Türkei geltende Obergrenze von sechs ausländischen Spielern pro Mannschaft umgehen, schimpfte Kanat in „Sabah“. Beistand erhielt er von Ilhan Cavcav, Vereinschef des Erstligisten Genclerbirligi Ankara. Aurelios Berufung sei unfair gegenüber 72 Millionen Türken.

Jeder Inhaber eines türkischen Passes sei Türke und als solcher berechtigt, in der Nationalelf zu spielen, entgegnete Nationaltrainer Fatih Terim ungerührt. Ähnlich äußerte sich Sportminister Mehmet Ali Sahin. Beim ersten EM-Qualifikationsspiel am 6. September gegen Malta soll Aurelio wieder aufgestellt werden.

Eingebürgerte Neu-Türken gibt es in anderen Sportarten seit Längerem. Bei der Leichtathletik-EM gewann kürzlich die aus Äthiopien stammende Elvan Abeylegesse über 5000 Meter Bronze für die Türkei. Und die gebürtige Russin Natalia Hanikoglu wurde ins türkische Volleyball-Nationalteam berufen, ohne dass ein Sturm der Entrüstung losgebrochen wäre. Und auch im Fußball schreitet ja nun einmal die Globalisierung voran. Kurz nach Aurelio wurde noch ein weiterer ausländischer Star aus der obersten Liga türkischer Staatsbürger: der Brasilianer Marcio Nobre. Andere Legionäre in der Süper-Lig tragen sich Medienberichten zufolge ebenfalls mit dem Gedanken, Türken zu werden.

Trotzdem ist nicht damit zu rechnen, dass Aurelio vielen weiteren Neu-Türken den Weg in die Nationalelf weisen wird. Der Fußballverband überlegt schon, wie er einen Ansturm „falscher“ Türken auf die Nationalmannschaft verhindern kann. Obwohl er Aurelios Berufung ausdrücklich begrüßte, verriet Verbandschef Haluk Ulusoy durch seine Wortwahl, dass für ihn längst nicht jeder Türke auch ein echter Türke ist: „Wir werden einige Einschränkungen und Kriterien einführen“, sagte Ulusoy über die Neubürger. „Sonst haben wir in einigen Jahren acht oder neun Ausländer in der Nationalmannschaft.“

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