zum Hauptinhalt
Beherzt zugreifen, wenn sich eine Chance auftut. Kim Bui ist eine der deutschen Turnerinnen, die sich bei den Europameisterschaften in Berlin fürs Finale qualifiziert hat. Die Bilanz fällt besser aus als zuvor gedacht. Foto: AFP

© AFP

Sport: Aus Verlegenheit gut

Die deutschen Turnerinnen treten bei der EM in Berlin aus dem Schatten der Männer

Berlin - Elisabeth Seitz hielt sich im Hintergrund, sie hatte mit dem Pferdsprung nichts groß zu tun, jedenfalls nicht im Sprungfinale der WM 2010 in Rotterdam. Sie war lediglich Zuschauerin, ihre WM-Auftritte hatten im Mehrkampf- und im Stufenbarren-Finale stattgefunden, aber sie beobachtete verdammt genau. Und dann sah sie etwas durchaus Überraschendes. Die Finalistinnen im Pferdsprung hatten weniger drauf, als Elisabeth Seitz von der TG Mannheim gedacht hatte. Ja, wenn das so ist, dachte sie, dann werde ich nun verstärkt Sprung trainieren. „Ich dachte mir, vielleicht reicht es fürs Finale bei der Europameisterschaft in Berlin.“

Sie erzählt das in den Katakomben der Max-Schmeling- Halle, die 17-Jährige trägt einen Trainingsanzug und weiß seit ein paar Minuten, dass sie es geschafft hat. Sie ist im Sprungfinale der Europameisterschaft, sie war hoch geflogen, sie war fast im Stand gelandet. Die Kampfrichter setzten sie auf Platz sieben. Nur Oksana Tschussowitina war im deutschen Team besser, sie wurde Fünfte.

Die Entschlusskraft von Seitz, verbunden mit ihrer sportlichen Stärke, das ist einer der Gründe, warum sich die deutschen Kunstturnerinnen gerade bei der EM ein wenig aus dem Schatten der Männer lösen. Fünf Finalteilnahmen bei einer EM von einer deutschen Riege, das hatte es seit 1987 nicht mehr gegeben. Gleich drei Mal steht Seitz im Finale (Mehrkampf, Sprung, Stufenbarren), dazu kommen Kim Bui (Stufenbarren) und Oksana Tschussowitina (Pferdsprung). Die 15-Jährige Nadine Jarosch aus Detmold verpasste das Mehrkampf-Finale nur knapp.

Mit dieser bemerkenswerten Bilanz war nicht zu rechnen. „Wir wollen 2011 das Team komplett neu aufbauen“, hatte Chef-Bundestrainerin Ulla Koch vor der EM erklärt. Eine Serie von Verletzungen hatte die alte Riege gesprengt, und „was wir jetzt haben“, sagt Koch „ist das Beste, was es in Deutschland gerade gibt“. Das klang freilich auch ein bisschen nach Verlegenheitslösung. Doch so hatte es die Bundestrainerin nicht gemeint, aber sie wusste, dass sie diese Mischung aus erfahrenen Athletinnen und jungen Turnerinnen nicht überfordern durfte. Deshalb vermied sie vor der EM sorgfältig irgendwelche Erfolgsprognosen. „Unser Ziel ist die WM in Japan“, sagte sie, „die EM soll uns als Team zusammenschweißen.“ Das verringerte den Druck, und schon beim Wettkampf in Cottbus im März war erkennbar, dass diese Riege für Überraschungen gut sein kann. „Die waren alle so stabil und cool“, sagt Koch.

Hinter dieser bisher guten EM-Bilanz stecken viele kleine Veränderungen oder positive Nachrichten. Oksana Tschussowitina zum Beispiel hat ihr Trainingsprogramm geändert. Auch sie hatte zu den Verletzten gehört. „Seit Januar macht sie wieder Krafttraining für den Oberkörper“, sagt Koch. „Das sieht man den Sprüngen an.“ Und Elisabeth Seitz hat ihr Programm am Stufenbarren modifiziert. Sie turnt den spektakulären Def, ein Flugteil mit Höchstschwierigkeitsgrad, aber den Def hatte sie ausgerechnet bei der WM in Rotterdam verpatzt. Sie war auf Medaillenkurs, aber am Ende belegte sie Platz acht. Jetzt hat sie vor den Def eine Riesenfelge eingebaut. Dadurch kann sie sich besser auf den Def vorbereiten. In Berlin hat man es gesehen. Da zeigte sie ihr spektakulärstes Teil nahezu perfekt.

Und Nadine Jarosch hat in Detmold inzwischen gute Trainingsbedingungen. Sie ist Schülerin an einem Gymnasium und wird für Trainingslager großzügig freigestellt. Kurz vor der EM schrieb sie im Trainingslager in Berlin eine Mathematik-Klausur.

Dass die Schule großzügig ist, verwundert allerdings nicht sonderlich: Ihr Heimtrainer ist zugleich Lehrer an diesem Gymnasium.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false