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Wieder nur 70 gute Minuten? Stuttgarts Trainer Huub Stevens.

© dpa

Auslaufen mit Lüdecke: Mit dieser Leistung gehöre ich nicht in die Küche!

Wer weiß, wo Stuttgart heute stünde, wäre ein Fußballspiel auf eine halbe Stunde angesetzt. Unser Kolumnist über die Tücken von Trainer- und Spielerrhetorik.

Das Leben der Ottonormalverbraucher bringt auch Vorteile mit sich. In Ihrer Küche steht zum Beispiel kein TV-Team, das wissen will: „Herr Schulze, Sie haben jetzt zum zweiten Mal einen Teller fallen lassen. Sind Sie – konkret gefragt – zu blöd, die Spülmaschine auszuräumen? Sind es Konzentrationsfehler? Mentale Schwächen? Herr Schulze, wie sehen Sie die Lage?“

Im Fußball ist das anders. Besonders im Abstiegskampf. Huub Stevens zum Beispiel, Trainer des Tabellenletzten Stuttgart. Soeben hat sein Team 0:4 verloren. Und was sagt Stevens? Er sieht die „beste Saisonleistung“ des VfB. Was?! Nee, Moment – mein Fehler. Unvollständig zitiert! Er sah – Zitat – in den ersten 30 Minuten die beste Saisonleistung seiner Mannschaft. Ähnlich der Trainer des Vorletzten Freiburg, Christian Streich. Vor der Begegnung in Wolfsburg analysierte er: „Wir haben da jeweils 0:1 verloren. Aber einmal fast 70 Minuten lang gut gespielt und einmal 45 Minuten lang.“

Was soll uns das alles sagen? Einmal spielen sie 30 Minuten super, ein anderes Mal 70, ein weiteres 45 Minuten. Nun, die Trainer möchten darauf verweisen, dass ihre Teams eigentlich prima drauf sind, aber das Spiel dauert zu lang. Wer weiß, wo Stuttgart heute stünde, wäre ein Fußballspiel auf eine halbe Stunde angesetzt.

Stefan Effenberg fordert beim HSV mehr Aggressivität - in den Interviews

Nach der 0:3-Niederlage gegen Hoffenheim resümierte ein Hamburger Verteidiger: „Hier hätten auch andere Mannschaften verloren.“ Das ist Fußball-Analytiker Stefan Effenberg eindeutig zu wenig. Er wünscht sich beim HSV mehr Aggressivität. Vor allem in den Interviews. Aggressivität? In Interviews? Verbale Zweikampfhärte? Das ist die Münchener Schule, wo Vorstandsmitglied Sammer dem Bremer Kollegen Eichin attestiert, er hätte früher einen Puck an den Kopf bekommen und würde wohl an Spätfolgen leiden. Matthias Sammer ist lebenslang im Zweikampf. Der kämpft in jeder Sekunde um jeden Zentimeter. Dem ist es egal, ob ein Spiel 30 oder 70 Minuten dauert. Der kann Pucks an den Kopf kriegen, so viel er will. Der braucht den Kopf gar nicht. Hauptsache, das Spiel wird gewonnen.

Ist ein anderer Ansatz.

Würde man die Stuttgarter/Freiburger Strategie beim SC Paderborn anwenden, so müsste das Fazit lauten: Wir sind eine tolle Truppe. Wir haben zwar seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gewonnen und in den letzten vier Begegnungen 0:15 Tore kassiert, aber die ersten zwei Minuten gegen Frankfurt waren der beste Fußball seit Vereinsgründung 1907.

Aber was sagt Trainer Breitenreiter? Wir spielen wie ein Absteiger. Wie Amateure. So haben wir in der Liga nichts zu suchen. Das ist ein defensiveres rhetorisches Konzept: Er sagt, wie es ist. Verwirrend und sympathisch zugleich. Oft ist die Wahrheit ja das erfrischendste Rezept.

Also, wenn Sie das nächste Mal einen Teller fallen lassen, sagen Sie: Ich bin ein Depp! Ein Amateur! Mit dieser Leistung gehöre ich nicht in die Küche! Kann aber sein, dass Sie damit nicht durchkommen.

Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier jeden Montag über die Fußball-Bundesliga.

Frank Lüdecke

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