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Auslaufen mit LÜDECKE: Punte sind nicht alles

Liebe Leser! Mir ist völlig bewusst, ich bin als Autor des Tagesspiegels zur absoluten Neutralität verpflichtet.

Liebe Leser! Mir ist völlig bewusst, ich bin als Autor des Tagesspiegels zur absoluten Neutralität verpflichtet. Deswegen schreibe ich in dieser Glosse auch „Wir“, wenn ich „Hertha“ meine. Das vorab. Seitdem ich Interviews von Jos Luhukay höre, fällt mir auf, dass wir unter seiner Leitung keine Punkte mehr holen. Nein, wir holen „Punte“. Achten Sie mal drauf. Das soll keine Kritik an der Aussprache unseres sympathischen holländischen Trainers sein. Ganz im Gegenteil. Ich freue mich jedes Mal, wenn das Wort fällt.

Nun zum Spiel. Wir haben ein tolles Spiel gemacht, am Freitag. Klasse kombiniert. Wir hatten mehr Ballbesitz. Teilweise bis zu 80 Prozent! Wir haben mehr Zweikämpfe gewonnen. Mehr Pässe an den Mann gebracht. Wir haben mehr Erfrischungsgetränke zu uns genommen. Wir hatten mehr Eckbälle. Mehr Einwürfe. Wir hatten von allem mehr. Wir hatten sogar einmal mehr Anstoß. Und was hat es genutzt? Gar nichts. Die Punte gingen an Stuttgart. Stuttgart, mit seinen zwei lächerlichen, mickrigen Torchancen. Aus diesen zwei Chancen haben sie ein Tor gemacht. Die Experten sagen dann immer: Effektivität! Das ist aber Quatsch. Wer in 90 Minuten aus zwei Chancen ein Tor macht, spielt nicht effektiv, sondern langweilig. Liebe Leser, es ist meine verdammte journalistische Pflicht, Ihnen die volle Wahrheit zu sagen. Und mag sie noch so schmerzhaft sein. Aber Stuttgart war schlecht. Nein. Ich korrigiere: grottenschlecht. Stuttgart war so was von miserabel! Wo bleibt denn da die sportliche Gerechtigkeit?! Die wird doch mit Füßen getreten, bei solchen Ergebnissen!

Sie merken vielleicht, ich habe die Niederlage mental noch nicht ganz verarbeitet. Das geht anderen aber auch so. Hamburg zum Beispiel. Die haben gegen Dortmund verloren, obwohl sie sechs Anstöße mehr hatten! Dafür bietet die Hamburger Abwehr derzeit den größten Unterhaltungswert der gesamten Liga. Da ist immer was los, im Strafraum. Nur eines dürfen sie damit nicht erwarten: Punte. Interessant finde ich auch, dass bereits nach fünf Spieltagen genau die Mannschaften vorne liegen, die alle dort erwartet haben. Allerdings in einer anderen Reihenfolge. Dortmund spielt als Erster wie aus einer fernen Galaxie. Kein Wunder. Sie haben mit Aubameyang, Mchitarjan, Reus und Lewandowski auch vier Außerirdische in ihren Reihen. Bayern dagegen spielt ergebnisorientiertes Rasenschach. Matthias Sammer, hauptberuflich nörgelnde Kassandra in Lederhosen, ist deswegen schon explodiert. Sammer fordert Leidenschaft, Emotion und solche Sachen. Und wissen Sie, warum? Weil Punte eben nicht alles sind, im sportlichen Leben. Und damit komme ich zurück auf den Kerngedanken dieser Glosse: Für mich war Hertha der Sieger des Spiels. Sowohl theoretisch. Als auch moralisch. Und unter allen mir bekannten sportrelevanten Gesichtspunten.

Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier jeden Montag über die Fußball-Bundesliga.

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