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Auslaufmodel Peter Neururer.

© dapd

Aussterbender Beruf: Hat der Feuerwehrmann ausgelöscht?

Wenn es brannte, waren sie da. Die Feuerwehrmänner unter den Trainern retteten etliche Vereine vor dem Absturz. Ist im modernen Fußball kein Platz mehr für sie?

Jörg Bergers erster Blick gilt der Armbanduhr am linken Handgelenk. Noch ist das Spiel nicht vorbei. Es ist ein heißer Tag, fast 40 Grad im Schatten. Berger hält drei Finger in die flirrende Hitze von Frankfurt. Noch drei Minuten. Um ihn herum eskaliert das Waldstadion im Angesicht der kaum noch für möglich gehaltenen Rettung, Jan-Aage Fjörtoft taumelt im Jubel. Sekunden zuvor hat der Norweger im spannendsten Abstiegsfinale der Bundesliga-Historie das 5:1 gegen Kaiserslautern erzielt. Es ist das Tor zum Klassenerhalt. Doch Berger jubelt nicht, sein Gesicht bleibt nahezu regungslos. „Resignation ist das Alibi der Schwachen“, war damals sein Leitsatz. Er hatte also nur seinen eigenen Anspruch erfüllt. Mehr nicht. Berger war einen Monat zuvor nach Frankfurt gekommen. Die Eintracht lag auf dem vorletzten Tabellenplatz, die Lage schien aussichtslos. Doch er flickte eine verunsicherte Mannschaft wieder zusammen, gab ihr den Glauben zurück. Und schafft an diesem 29. Mai 1999, was zuvor unmöglich schien. „Berger hätte auch die Titanic gerettet“, wird Fjörtoft später sagen.

Jörg Berger, der in diesem Sommer mit 65 Jahren einem Krebsleiden erlegen ist, gehörte zu einer Gattung Trainer, die gemeinhin als Feuerwehrmänner bezeichnet werden. Trainer wie Ewald Lienen, Hans Meyer oder Peter Neururer, die als Experten für Extremfälle gelten und im Drehbuch der Krise über Jahre ihre feste Rolle hatten. Meist tauchten sie im letzten Akt auf, kurz nach der klubinternen Katharsis, wenn sich das Gesamtbild bereits schwarz gefärbt hatte. Momentan sucht man diese Trainer in der Liga allerdings vergeblich. Ihre Namen irrlichtern allenfalls über den Boulevard. Denn während noch vor einiger Zeit nach Trainerentlassungen reflexartig die Wunderheiler des deutschen Fußballs ihre Hände auflegen durften, erhielten in Stuttgart und Köln nun mit Jens Keller und Frank Schaefer zwei Unbekannte eine etwas überraschende Beförderung.

Keller und Schaefer sind jedoch in ihren Vereinen aufgewachsen. Und deshalb keine Einzelfälle. Denn in Hannover ist man einen ähnlichen Weg gegangen. Dort hat sich das Präsidium im Abstiegschaos mit Mirko Slomka ebenfalls für einen Trainer entschieden, der den Verein kennt und ihm auch emotional verbunden ist. Slomka ist in Hildesheim geboren, er war Spieler bei 96, später auch Kotrainer. Und wie aus einem Schattenmann in kurzer Zeit ein viel bewunderter Zaunkönig werden kann, ist derzeit in Mainz zu beobachten. Auch Thomas Tuchel, der lächelnde Trainingsanzug mit Matchplan und Megaphon, rockt die Liga heute nur, weil die Mainzer nach der Entlassung von Jörn Andersen bereit waren, auf einen Mann aus den eigenen Reihen zu setzen.

Für Fredi Bobic, seit diesem Sommer Sportdirektor des VfB Stuttgart, war die Beförderung Kellers dann auch eine logische Entscheidung, besonders mit Hinblick auf eine mittelfristige Perspektive des Vereins. „Es war die Ideallösung, auf einen Trainer zu setzen, der bei uns ausgebildet worden ist und unsere Philosophie besser kennt“, erklärt er. „Jens Keller weiß, wie einzelne Spieler ticken und wie es in unserem Verein zugeht.“

Das Beispiel Keller zeigt, dass die entgleisten Vereine schneller die Notbremse ziehen und dann auf Trainer setzen, die im besten Fall auch über die Saison hinaus eine Mannschaft aufbauen und selbst daran wachsen können. Damit soll vor allem die Vereinsidentität erhalten bleiben. „Wenn man jemanden von außen holt, löscht man nur kurzfristig. Aber man versucht nicht den Verein weiter zu entwickeln“, beschreibt Bobic die Überlegungen, die auch hinter seiner Trainerfindung steckten. Ein Feuerwehrmann taugt eben selten zum Architekten eines Wiederaufbaus.

Anstatt sich im Panoptikum des Vergangenen zu bedienen, greifen die Sportdirektoren deshalb ähnlich wie Bobic lieber in die hauseigene Wundertüte. Und finden dort, in den Jugend- oder Amateurteams, plötzlich Trainer, die in der Lage sind, ihren Verein wieder zu beleben, weil sie dessen neuralgische Punkte bereits kennen.

Das ist allerdings nur möglich, weil die Bundesligaklubs mittlerweile auch bei den Trainern von den professionelleren Strukturen im Nachwuchsbereich profitieren. Eine Entwicklung, die Fredi Bobic als einen der Hauptgründe für den neuen Handlungsspielraum vor der Haustür sieht: „Früher haben die Jugendtrainer meist ehrenamtlich gearbeitet. Nun bildet man schon im Verein Trainer aus, die alle ihre Fußballlehrer-Lizenz haben. Natürlich ändert sich da etwas, weil die Vereine auf Fachkräfte aus ihrem eigenen Stall zurückgreifen können.“

Zudem werden die Trainer aus der zweiten Reihe im Sog der Erfolgsgeschichten von Kollegen wie Klopp in Dortmund oder Tuchel in Mainz „an die Oberfläche geschwemmt“, wie auch Bobic zugeben muss. Einen neuen Trend will er deshalb nicht erkennen. Genauso wenig wie Peter Neururer, der momentan mal wieder auf Jobsuche ist, „nicht im Amt“, wie er das nennt. Er gehört zu den üblichen Verdächtigen, die über den Trainerstühlen der Bundesliga kreisen wie hungrige Geier. Neururer überrascht das Einstellungsverhalten der Bundesligaklubs nur bedingt. „Ich bin so doch auch Cheftrainer geworden. Diese Einstiegsmöglichkeiten hat es früher auch schon gegeben“, erinnert er sich. 1987 folgte der damalige Kotrainer Neururer bei Rot- Weiss Essen auf den entlassenen Horst Hrubesch. Seitdem hat er bei zwölf Vereinen gearbeitet, blieb lediglich in Bochum länger als zwei Jahre und trägt auch deshalb das Etikett des Retters, als wäre es das neonfarbene Sponsorenlogo am Revers seines beigefarbenen Jacketts. Neururer selbst bringt der Bezeichnung Feuerwehrmann nur wenig Sympathie entgegen; dass die Idee dahinter ausgedient haben soll, daran mag er dennoch nicht glauben: „Diese Trainer werden heute noch genauso gebraucht wie früher. Da gibt es keine Verschiebung.“ Angst, keinen Job mehr zu finden, hat Neururer nicht. Er wartet einfach. Denn: „Wenn es wirklich um den Abstieg geht, wenn ein Verein in eine brisante Situation gerät, wird niemand auf einen Unbekannten setzen. Da wird man wieder einen erfahrenen Trainer holen.“ Das klingt zunächst wie der Zweckoptimismus eines Arbeitslosen, ist aber eine These, die auch von Fredi Bobic gestützt wird: „Je länger die Saison geht, desto erfahrener sind die Trainer, die eingestellt werden. Weil in solchen Extremsituationen vor allem die Erfahrung zählt.“

Wie wichtig es sein kann, einen Trainer zu verpflichten, der die Mechanismen der Bundesliga genau kennt und dem Erfolgsdruck des Abstiegskampfes auch mental gewachsen ist, hat Bobic als Spieler selbst zwei Mal erlebt. 2000 in Dortmund, als Udo Lattek die Millionentruppe des BVB in den letzten sieben Spielen vor dem Abstieg bewahrte. Und 2004, mit Hans Meyer in Berlin. „Das waren psychologisch sensationell gute Leute“, erinnert sich der ehemalige Stürmer. „Hans Meyer hat bei Hertha immer den schonungslosen Dialog gesucht. Lattek war ähnlich. Der hat die Welt- und Europameister in der Mannschaft alle im Griff gehabt und aus dem Nichts eine Hierarchie gebildet. Das kannst du nur, wenn du so lange in diesem Geschäft bist.“

Nachhaltigkeit garantiert diese Erfahrung allerdings nicht. Der Feuerwehrmann-Effekt hat schon in der Vergangenheit nur eine geringe Halbwertzeit besessen. So stand auch Eintracht Frankfurt im Dezember 1999 wieder am Tabellenende. Jörg Berger wurde ein halbes Jahr nach dem wundersamen Klassenerhalt wieder entlassen. Für ihn kam Felix Magath. Als Feuerwehrmann.

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