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Sport: Australian Open: Eiseskälte in klebriger Hitze

Es wurde einfach zu heiß für Patrick Rafter. Geschüttelt von Oberschenkelkrämpfen und gezeichnet von körperlicher Auszehrung scheiterte der Australier am Donnerstag im Halbfinale der Australian Open an Andre Agassi.

Es wurde einfach zu heiß für Patrick Rafter. Geschüttelt von Oberschenkelkrämpfen und gezeichnet von körperlicher Auszehrung scheiterte der Australier am Donnerstag im Halbfinale der Australian Open an Andre Agassi. Nach 2:1-Satzführung musste er sich entkräftet mit 5:7, 6:2, 7:6, 2:6 und 3:6 geschlagen geben. "Ich hatte keinen Tropfen mehr im Tank", sagte Rafter, dessen Knockout sich ab Mitte des vierten Satzes abgezeichnet hatte.

"Für jemanden, der von seiner körperlichen Präsenz lebt, wirkte Pat wie eine Packung ohne Inhalt", sagte der australische Wimbledonsieger Pat Cash, für den Agassi am Sonntag der Finalfavorit entweder gegen Sebastian Grosjean oder Arnaud Clement ist. Die beiden Tennisfreunde aus Frankreich ermittelten in der Nacht zum Freitag Agassis Endspielgegner.

Mit dem "schrecklichen Absturz" Rafters (Trainer Tony Roche) nach einem begeisternden Start waren auch 25 Jahre nach dem Triumph von Mark Edmondson alle Hoffnungen der Gastgeber zunichte gemacht, wieder einmal einen ihrer Stars als Gewinner in Melbourne feiern zu können. "Heute war ich nicht gern der Spielverderber", sagte Agassi später, "aber als Profi kennt man kein Mitleid auf dem Platz." So erledigte der 30-jährige Amerikaner in der klebrigen Hitze mit Eiseskälte seinen Job. Der Athlet Rafter dagegen scheiterte nach der kampflosen Aufgabe eines Davis-Cup-Einzels Anfang Dezember in Spanien erneut an seiner "noch nicht optimalen Physis" (Davis Cup-Chef John Fitzgerald).

Agassi, ein Muster an Ausdauer, Zähigkeit und Fitness, bietet sich nach dem Prestigesieg erst zum zweiten Mal in seiner spektakulären Karriere die Möglichkeit, einen Grand Slam-Titel zu verteidigen: 1995 hatte Agassi zwölf Monate nach dem US Open-Sieg gegen Michael Stich das Finalduell gegen seinen alten Weggefährten Pete Sampras verloren. "Es wäre eine wunderbare Bereicherung, wenn ich dieses Kunststück wenigstens einmal schaffen würde", sagte Agassi, der mit einem potenziell siebten Grand Slam-Erfolg in der ewigen Bestenliste auf den fünften Platz hinter Pete Sampras, Roy Emerson, Rod Laver und Fred Perry rutschen könnte.

"Rock", der Fels, nennen Agassis engste Weggefährten ihren strengen, unerbittlichen Meister. Und so stand Agassi auch in diesem zweiten Halbfinale in Australien da, genau ein Jahr nach dem gewonnenen Fünf-Satz-Spiel gegen Pete Sampras. "Wer Agassi heute gesehen hat, seinen Behauptungswillen gegen ein ganzes Stadion, gegen ein ganzes Land, gegen einen zunächst überwältigend guten Rafter", sagt Tennis-Legende John Newcombe, "der weiß, dass es fast aussichtslos ist, ihn zu schlagen." Als Rafter am Ende der 188-minütigen Partie wie ein angezählter Boxer umhertaumelte, wirkte der Amerikaner beinahe aufreizend in seiner unermüdlichen Fighter-Attitüde: "In so einer Stunde weißt du, warum du dich im Training quälst", sagte Agassi, ein Mann, der in weit entfernt scheinender Vergangenheit einmal Schlagzeilen als "Burger King des Tennis" produzierte.

Rafter blieb nur der Zorn. "Heute hatte ich eine Chance auf den Sieg", sagte der Australier, "aber wenn nur noch der Kopf, aber nicht mehr der Körper will, dann ist alles vorbei. Die Frage, ob er jemals zu einer neuen Grand-Slam-Kampagne in Melbourne antreten werde, ließ der pensionswillige Rafter in der Stunde des Scheiterns offen: "Wenn ich jetzt eine tolle Saison habe, nehme ich mir eine längere Pause", sagte er, "ob ich danach zurückkehre, weiß ich nicht." Geht es nach Agassi, dem Sieger in der schwülen Tropennacht, dann kann die Antwort nur Ja lauten: "Auf einen wie Pat kann das Tennis noch nicht verzichten."

Jörg Allmeroth

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