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Karriereende auf der Bahn. Kristina Vogel wird nicht mehr laufen können.

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Update

Bahnradsport: "Sie wird zurückkommen": Kristina Vogel ist querschnittsgelähmt

Nach ihrem schweren Trainingsunfall in Cottbus wird die Bahnrad-Olympiasiegerin nicht mehr laufen können. Ihren Humor hat sie trotzdem nicht verloren.

Grenzen kannte Kristina Vogel in ihrer Karriere nicht. „Ich will die beste Bahnradsportlerin aller Zeiten werden“, war immer ihr Credo. Das hat die Ausnahmesportlerin bereits mit 27 Jahren geschafft. Zweimal Olympiasiegerin, elfmal Weltmeisterin, weitere Erfolge waren programmiert - bis die außergewöhnliche Karriere der Erfurterin bei einem schlimmen Trainingsunfall Ende Juni durch eine folgenschwere Verletzung ein jähes Ende fand. Am Freitag hatte Vogel schließlich in einem Interview des Magazins „Der Spiegel“ die schlimme Diagnose von ihrer Querschnittslähmung publik gemacht.

Mit Tempo 60 war sie in einen niederländischen Nachwuchsfahrer gerauscht. Schon auf der Bahn war ihr die Schwere der Verletzung bewusst geworden, als sie in den Beinen nichts mehr gespürt habe. „Da war mir sofort klar, das war's. Jetzt bin ich querschnittgelähmt, das mit dem Laufen wird nichts mehr“, berichtet Vogel von ihren ersten Erinnerungen an den Unfall.

Was folgte, waren mehrere Operationen im Unfall-Krankenhaus Berlin-Marzahn, dazu eine heftige Lungenentzündung, mehrfach wurde sie ins künstliche Koma versetzt. „Ich hatte Schmerzen, dafür gibt es keine Worte“, erinnert sich Vogel, deren Rückenmark ab dem siebten Brustwirbel durchtrennt ist. „Auf den ersten Röntgenbildern sieht meine Wirbelsäule aus wie ein Ikea-Klapptisch“, sagt die Erfurterin gar scherzhaft. Aufgeben war aber keine Option für sie: „Ich dachte zwischendrin wirklich, dass ich sterbe. Aber ich habe mir gesagt: Ich darf hier jetzt nicht loslassen.“

Ausnahmeathletin und Stimmungskanone

Dem deutschen Bahnradsport-Team wird Vogel fehlen - nicht nur als Ausnahmeathletin und Medaillengarantin, sondern auch als Stimmungskanone, die immer einen fröhlichen Spruch auf den Lippen hatte. Lockerheit, die ihr sogar nach dem Schicksalsschlag nicht verloren gegangen ist. „Jetzt bin ich so weit, dass ich sagen kann: Hier bin ich, und mir geht es gut. Ich bin noch da und immer noch dieselbe verrückte Nudel“, sagt Vogel, die Motivation für andere sein möchte. „Egal, was das Schicksal für einen bereithält, das Leben geht weiter, in meinem Fall nun auf vier Rollen statt auf zwei Rädern. Meine Arme sind jetzt halt auch meine Beine.“ Die Frage „Warum ich?“ bringe sie nicht weiter.

Wie geht es nun weiter mit Vogel? Michael Hübner, ihr Teamchef beim Chemnitzer Erdgas-Team glaubt, dass Vogel auch im Rollstuhl sportliche Höchstleistungen vollbringen wird. „Sie wird zurückkommen - das Thema Paralympics ist noch nicht durch, da bin ich mir sicher“, sagt der siebenmalige Weltmeister. So weit wollte Vogel zehn Wochen nach ihrem Schicksalsschlag noch nicht blicken. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in den Leistungssport will und, wenn ja, in welche Disziplin“, sagte Vogel und fügte hinzu: „Wenn ich nicht weiß, was ich kann, wie kann ich da wissen, wofür ich brenne?“

Sie könne sich aber auch ganz andere Dinge vorstellen. Mithelfen, dass die Sicherheit im Bahnradsport erhöht wird. „In Kolumbien ist René Enders mal mit 80 km/h aus der Kurve gefahren und da steht einer mit einem Besen. Bei einem Zusammenprall wäre der tot gewesen!“, erinnert sich Vogel und fügt hinzu: „Solche Dinge passieren, dürfen aber nicht passieren. Vielleicht ist das meine Aufgabe im Leben. Sicherzustellen, dass so etwas wie mir nie wieder passiert.“

Chemnitzer Team ruft Spendenaktion ins Leben

Auch der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) will sie „uneingeschränkt und mit ganzer Kraft unterstützen“, wie Verbandspräsident Rudolf Scharping sagte. Da wäre es keine Überraschung, wenn der BDR vielleicht in Zukunft auf ihr Know-How zurückgreifen sollte. Schließlich kannte kaum eine Athletin die Kniffe und Tricks beim Sprint so gut wie Vogel. Beruflich ist Vogel bei der Bundespolizei angestellt. Mit ihrem Arbeitgeber sei sie bereits verschiedene Optionen durchgegangen. „Streife laufen mit Waffe geht jetzt ja nicht mehr“, sagt Vogel, die aber zumindest abgesichert ist: „Ich kann nur froh sein, dass ich auf Lebenszeit verbeamtet bin.“

Ihr Chemnitzer Erdgas-Team hatte nach dem Unfall eine Spendenaktion unter dem Motto #staystrongkristina ins Leben gerufen, bei der bereits rund 120 000 Euro zusammengekommen sind. Das Geld wird ihrer Familie - Vogel ist mit dem früheren Bahnrad-Europameister Michael Seidenbecher liiert - zur Verfügung gestellt. Vogel ist überwältigt von der Unterstützung: „Als ich dann aber verstanden habe, was da draußen passiert - der Hammer. Zu merken, wie wichtig man für die Leute ist, wie viel Anteil sie genommen haben.“ Das Geld könne sie gut gebrauchen, für ein Spezialauto etwa oder „einen geilen Rollstuhl mit Carbonfelgen“. „Außerdem muss unser Haus noch umgebaut werden, die Badezimmer, die Küche, eine Lösung für die Treppe muss her. Ich will so wenig wei möglich auf Hilfe angewiesen sein“, sagte sie.

Dass sie bereits wieder zu lockeren Sprüchen aufgelegt ist, freut ihre langjährige Teamsprint-Partnerin Miriam Welte, mit der sie Gold in London geholt hatte. „Das hilft auch mir, mit dem Unfall umzugehen“, sagte Welte.Welte gehörte zum engeren Kreis, der schon lange eingeweiht war von der Schock-Diagnose. „Die letzten Wochen war der Unfall schon nicht mehr so präsent, jetzt kommt natürlich alles wieder hoch und lässt mich schon zweifeln und grübeln. Auf der anderen Seite ist jetzt auch eine Last weg: Durch den Schritt von Kristina an die Öffentlichkeit, können wir alle etwas freier mit dem Unfall umgehen“, sagte Bundestrainer Detlef Uibel.

Nicht der erste schlimme Unfall für Vogel

Es war nicht der erste schlimme Unfall für Vogel, bereits 2009 hatte sie einen schlimmen Trainingssturz. Der damals 18-Jährigen hatte ein Kleinbus die Vorfahrt genommen. Vogel flog mit Tempo 50 durch die Heckscheibe, lag zwei Tage im Koma, erlitt zahlreiche Brüche am Brustwirbel, an der Hand, am Arm, am Kiefer und verlor fast alle Zähne. Es folgten unzählige Operationen und Reha-Maßnahmen. Noch heute sind die Narben in ihrem Gesicht zu sehen. „Eigentlich hätte ich da schon querschnittgelähmt sein müssen, denn mein fünfter Brustwirbel war gebrochen“, sagt Vogel rückblickend.

Noch liegt sie weiter im Krankenhaus. Ihr Ziel ist es, bis Ende des Jahres wieder nach Hause zu kommen. Und dann? „Ich hatte mein ganzes Leben lang Fünfjahrespläne. Zum ersten Mal habe ich keinen“, berichtet die Kämpferin. Ihr Arbeitgeber, die Bundespolizei, habe ihr verschiedene Optionen aufgezeigt, was ich mit ihrer Lähmung noch leisten könne. „Streife laufen mit Waffe geht jetzt ja nicht mehr.“

Ob der paralympische Sport eine Option ist, lässt Vogel offen. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in den Leistungssport will und, wenn ja, in welche Disziplin.“ Sie müsse jetzt erst mal ihre Lähmung verstehen. „Ich weiß auch nicht, was ich später mal machen will“, sagt Vogel. Doch ihr Teamchef und Ex-Weltmeister Michael Hübner ist sich sicher: „Ich habe sie charakterlich als Menschen kennen gelernt, der nie aufgeben wird. Sie wird zurückkommen - das Thema Paralympics ist noch nicht durch, da bin ich mir sicher.“ (dpa)

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