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Sport: Bahnradvierer: Eine Goldmedaille für den toten Trainer

Robert Bartko brach aus dem so harmonischen Vierer aus. Auf der Ehrenrunde.

Robert Bartko brach aus dem so harmonischen Vierer aus. Auf der Ehrenrunde. Der Doppelolympiasieger von Sydney schwenkte zur Balustrade hoch und schloss eine Frau und zwei Mädchen in die Arme. Es war nicht seine Familie, die der 24-jährige Sportsoldat an sich drückte. Bartko ist noch ledig. Der Gefühlsausbruch galt Gisela Lange und ihren Töchtern Laura und Verena. Auf der nächsten Ehrenrunde bedankten sich alle vier Olympiasieger, die Goldmedaillen um den Hals, bei der Witwe, auch Guido Fulst, Daniel Becke und Jens Lehmann. Später auf der Pressekonferenz sprach Guido Fulst, der Kopf der Mannschaft, die öffentlichen Dankesworte: "Wir sind auch für unseren alten Bundestrainer gefahren. Seine Familie war hier, und er war in unserem Hinterkopf."

Zweite Goldmedaille, Weltrekord, die magische Vier-Minuten-Grenze unterboten - Bundestrainer Robert Lange erlebte diesen Triumph nicht mehr. Der Vater des Gold-Vierers von Sydney war während eines Trainingslagers auf Mallorca im März von einem Auto überfahren worden. Ein tödlicher Unfall. Robert Lange aus Frankfurt (Main) war 52 Jahre alt, als er bei der Arbeit für Olympia ums Leben kam. Seine Familie hatten die Fahrer nach Sydney eingeladen und alles bezahlt.

Das ist der rührselige Teil der Geschichte vom zweiten deutschen Gold. Der sportliche Part war eine Sache von unter vier Minuten: Wie ein ICE rauschte das deutsche Quartett im Finale gegen die Ukraine über die Bahn des Dunce Gray Velodrome - vom Start weg in Führung. Vom Weltrekord des Gegners im Halbfinale, 4:00:830 Minuten für die 4000 Meter, ließen sich die Weltmeister nicht schocken, sondern setzten noch eins drauf. "Record pace" flackerte nach acht der zwölf Runden auf der Digitaltafel auf. Am Ende glitzerten dort sagenhafte 3:59,710 Minuten. Das entspricht einem Tempo von 60 Stundenkilometern.

War das eine Freude, so viel ausgelassener als zwei Abende zuvor beim deutschen Doppelsieg in der Einerverfolgung von Bartko und Lehmann. Sie rissen sich die Helme vom Kopf und die Arme hoch, rollten freihändig mit wehenden schwarz-rot-goldenen Fahnen jubelnd über das Oval. Jens Lehmann stieg ab, fiel auf die Knie und küsste die Bahn. Das habe er immer so gehalten, erzählte der Leipziger, sich nach großen Erfolgen bei der Bahn zu bedanken.

Für Deutschland war es das fünfte Gold nach 1964, 1972, 1976 und 1992 bei fünfmal Silber. Jens Lehmann (32), 1996 ausgebootet, und Guido Fulst (30) feierten acht Jahre nach Barcelona ihren zweiten Olympiasieg im Vierer. Was für ein Comeback. Robert Bartko aber schaffte das Double, das bisher allein Gregor Braun 1976 in Montreal gelungen war. Mit zwei Goldmedaillen dürfte der Berliner zum Star der abseits des Velodroms bisher so enttäuschenden deutschen Olympia-Mannschaft aufsteigen. Von ständigen Hustenanfällen geschüttelt - selbst bei der Nationalhymne quälten ihn die Bronchien -, beschrieb Bartko sein "schönes Gefühl, zweimal da oben zu stehen." So richtig begreifen, dass dies alles kein Traum, sondern Wirklichkeit sei, werde er erst "morgen früh, wenn dann die Medaillen noch da sind".

Danach sollte Robert Bartko seinen Profivertrag unterschreiben bei der neuen deutschen Radsportgruppe Team Coast, finanziert von dem Textilunternehmer Günther Dams aus Essen. Der ehemalige DDR- und jetzige Schweizer Nationaltrainer Wolfram Lindner stellt die Mannschaft zusammen und hat bereits so prominente Tour-Fahrer wie Alex Zülle (Schweiz) und Fernando Escartin (Spanien) verpflichtet. Während drinnen in der Pressekonferenz Bartko noch hustend herumdruckste, verkündete draußen Lindner: "Wir sind uns einig. Die Unterschrift ist nur noch Formsache." Das Team Telekom hatte "keine Aufgabe" für den Doppel-Weltmeister und nun Doppel-Olympiasieger und damit auch kein Interesse. Die Absage an Bartko vor den Spielen, soll Teamchef Walter Godefroot inzwischen eingeräumt haben, sei ein großer Fehler gewesen.

Bei all den vielen Geschichten dieses Gold-Vierers hielt sich einer bewusst zurück und blieb stets im Hintergrund: der zuständige Bundestrainer Bernd Dittert, 1992 Olympiasieger im Straßenvierer, der nach dem Tod Langes "eingesprungen" war, wie BDR-Präsident Manfred Böhmer formulierte. Jens Lehmann fand es daher angebracht, auf "unseren aktuellen Trainer" hinzuweisen: "Wir haben Robert Lange sicherlich viel zu verdanken, aber es ist leider noch keine Frage nach Bernd Dittert gestellt worden. Er hat uns das letzte halbe Jahr auf Olympia vorbereitet. Das sollte auch nicht vergessen werden."

Hartmut Scherzer

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