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Sport: Balakow und Rangnick: Nominiert im Stadioncontainer

Manchmal tragen selbst solche Fußballspiele irgendwie Grundzüge vom Containerleben dieser billigen Voyeurs-Show aus niederländischen Denkfabriken, die mit seichter Unterhaltung viele Millionen scheffelt. "Big Brother" das geht auch im Fußballstadion.

Manchmal tragen selbst solche Fußballspiele irgendwie Grundzüge vom Containerleben dieser billigen Voyeurs-Show aus niederländischen Denkfabriken, die mit seichter Unterhaltung viele Millionen scheffelt. "Big Brother" das geht auch im Fußballstadion. Prächtig sogar. Da unten rennen ein paar, schimpfen, keifen sich an oder freuen sich. Die, die außen herum hocken, die schauen zu. Und vor allem, sie nominieren, bestimmen mit wer den Stadion-Container verlassen muß. Das geht hier nicht so schnell wie im richtigen Fernsehleben, aber es zeigt Wirkung. Die Akteure unten beeinflussen die Entscheidung mit ihrem Verhalten. Das hört sich vielleicht sogar interessant an.

Beim VfB Stuttgart aber ist keiner glücklich über den neuen Akt einer nervenaufreibenden Bühnenschau. Wer kann schon solch ein Theater im Abstiegskampf der Bundesliga vertragen. Kurz vor zehn nominierten die Stuttgarter Zuschauer dann Trainer Ralf Rangnick. Sie pfiffen und buhten. Es stand 2:2 gegen 1860 München. Rangnick holte Krassimir Balakow vom Feld. Die Rollen von Gut und Böse, vom Schurken und vom Helden waren im dem Moment verteilt. Balakow meckerte, fuchtelte wild mit den Armen, schnappte sich seine Jacke und rannte wie wild in die Kabine. Auf dem Weg dorthin klatschte er ins Publikum. Der Mann, den sie Professor nennen und der sich seit Wochen anhören muß, er stehe kurz vor der Entlassung, stand da wie ein begossener Pudel. Sprachlos. "Ich war völlig konsterniert", stammelte er. "Rangnick raus" riefen die Fans im A-Block, wo die ganz treuen Anhänger stehen.

Bei "Big Brother" wüßten sie was jetzt kommt. Der smarte Ralf würde - diesmal mit Beifall - vor dem Container Frau und Kinder im Scheinwerferlicht in die Arme nehmen und sagen, dass er froh ist, dass alles vorbei ist. Aber so einfach ist Fußball eben doch nicht. Nicht mal in Holland. Und vor allem nicht in Stuttgart. Was soll ein Verein tun, der keinen müden Heller mehr in der Kasse hat und Angst vor dem Absturz in die Zweitklassigkeit hat? Trainer rauswerfen, den Star in die Wüste schicken? Sie brauchen diesen Balakow, wohl mehr als den Trainer. Ein Abstieg wäre eine Katastrophe.

Aber vielleicht geht es in den nächsten Wochen ja doch wieder aufwärts. Gegen die Münchner spielten die Stuttgarter mehr als ordentlich. Hübsch über die Flügel, aber eben vor beiden Toren viel zu nachlässig. Vorne gingen sie mit ihren Chancen verschwenderisch und hinten gestatteten sie nach ihren Treffern von Pablo Thiam und Viorel Ganea planlosen Münchner zwei Tore durch Paul Agostino und Thomas Häßler. Der enttäuschende eine Punkt paßt zum Durcheinander des VfB. "So provoziert man die Fans. Ich kann das Verhalten nicht verstehen und billigen. Ich habe so was noch nie erlebt, in keiner Liga", stammelte Rangnick weiter. Und er nickte in diesem Augenblick sogar zur Frage, ob es jetzt nur noch heißen könne "Rangnick oder Balakow". "Ja", flüsterte er. So könne man das sehen.

Als Rangnick noch "das alles einordnete, weil die Auswechslung abgesprochen war", da stand Krassimir Balakow frisch geduscht da und blickte so unschuldig es eben ging aus seinen großen brauen Augen, stichelte zuerst und trat zur ausgedehnten Entschuldigungsarie an. "Der Wechsel war nicht abgesprochen", sagte er trotzig und blinzelte. "Es tut mir leid, wenn ich mit meiner Reaktion Schaden über die Mannschaft und den Trainer gebracht habe." Er zog die Schultern hoch. "Nein, das ist Wahnsinn, das ist nicht die Realität, es geht nicht um Rangnick oder Balakow", sagte er entrüstet. "Ich wollte spielen, das war meine Emotion, mein Ehrgeiz, sonst nichts. 2:2. Kurz vor Schluß, und ich muß raus. Ab und zu hat ein Mensch eine Seele, die er nicht stoppen kann".

Provokateur oder Unschuldslamm? Er hat schon oft gezeigt, dass er diesen Trainer nicht besonders respektiert. Und Rangnick hat oft genug gezeigt, dass er Balakow nicht als unantastbar betrachtet. Nur weil der langjährige Vereinsboss Gerhard Mayer-Vorfelder den Bulgaren in Schutz nahm ("Er ist ein besonderer Spieler, den muss man auch besonders behandeln"), hatte Balakow nicht einen noch schlechteren Stand. Es wird ein Drahtseilakt für den Verein. So oder so. "Wir sollten das tiefer hängen", meinte VfB-Präsident Manfred Haas beschwichtigend. Lange aber wird er sich diese Zurückhaltung nicht mehr leisten können. Sein ohnehin geschwächter Trainer ist gestern - trotz aller Entschuldigungen - im Big Brotherhaus an der Mercedesstraße im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt ein weiteres Stück demontiert worden. Vielleicht muß jetzt auch der VfB Stuttgart endlich seinen Kandidaten für den Auszug nominieren.

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