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Sport: Basketball: "Gewinnen nur ein Spiel"

Am Freitag beginnt in der Türkei die Europameisterschaft mit dem ersten Gruppenspiel gegen Estland, doch die deutsche Basketball-Nationalmannschaft hat noch keine Ahnung, wo sie steht. Von den zwölf Vorbereitungsspielen hat Bundestrainer Henrik Dettmann keines mit der gleichen Formation bestritten.

Am Freitag beginnt in der Türkei die Europameisterschaft mit dem ersten Gruppenspiel gegen Estland, doch die deutsche Basketball-Nationalmannschaft hat noch keine Ahnung, wo sie steht. Von den zwölf Vorbereitungsspielen hat Bundestrainer Henrik Dettmann keines mit der gleichen Formation bestritten. Dirk Nowitzki, Ademola Okulaja und Shawn Bradley, seine drei Akteure mit Erfahrung in der amerikanischen NBA, haben bisher nicht ein einziges Mal gemeinsam trainiert. Geschweige denn gespielt. Bei den Siegen gegen Lettland am Freitag in Bremen (85:76) und am Samstag in Münster (86:84) war erstmals Shawn Bradley dabei, der eingebürgerte 2,29 Meter große Center der Dallas Mavericks. Dafür fehlte Okulaja, dem eine Zyste aus dem Kiefer entfernt wurde. Gerade Nowitzki (2,11 Meter) und Okulaja (2,02 Meter) eröffnen dem Bundestrainer einige taktische Möglichkeiten, da sie auf mehreren Positionen spielen können: Sie sind groß, trotzdem leichtfüßig und können außen werfen.

Bei einer aggressiven Verteidigung über das ganze Parkett könnte er sie anstelle der behäbigeren Center Bradley oder Patrick Femerling (2,15 Meter) gegen die längsten Spieler der Gegner stellen. Er könnte sie aber auch mit den Centern auflaufen lassen, um die Lufthoheit zu haben gegen Teams, die bevorzugt in Korbnähe agieren. "Natürlich haben wir darüber nachgedacht", sagte Dettmann nach dem Spiel in Münster, "aber wir haben noch nie alle zusammen trainiert." Und bis zur Partie gegen Estland bleiben nur noch ein paar Trainingseinheiten. "So einfach ist das", sagte Dettmann und lächelte gequält.

Während der deutschen Nationalhymne in Münster wurde ausschließlich der Neudeutsche Bradley von Fernsehkameras und Fotografen belagert. In den Partien setzten aber andere Akteure die Akzente. Bradley war die fehlende Bindung und vor allem der Jetlag deutlich anzusehen. Der Mormone war erst am Freitagmorgen mit dem Flugzeug aus Dallas in Bremen eingetroffen. Dementsprechend müde absolvierte er am Abend sein erstes Spiel. Auch in der Begegnung am darauf folgenden Tag stakste der Riese unsicher im Angriff umher. Oft sah es aus, als wenn er nicht mit, sondern gegen den Ball spiele. Aber seine Stärken liegen nun mal in der Verteidigung. "Außerdem", sagt der Bundestrainer, "hat er zum Schluss Dirk frei geblockt."

Nowitzki, der auf 18 Punkte im ersten Spiel und 32 im zweiten kam, erzielte durch diesen Block seines Teamkollegen aus Dallas im zweiten Spiel den Siegtreffer von der Dreierlinie. Außerdem war zu erkennen, dass die Letten ihren Wurf höher ansetzten, wenn Bradley in der Nähe war. Dadurch sank die Erfolgsquote. Das ist schon einmal eine Qualität, die der neue Mann ins Spiel bringt.

Der etatmäßige Center Patrick Femerling denkt nicht über schwindende Einsatzzeit nach, sagt er. Bradley sei ja eine "positive Konkurrenz, die das Team verstärkt". Auch die anderen Nationalspieler gaben sich Mühe, Bradley bei der Integration zu helfen. Während eines Ausballs standen Marko Pesic und Drazan Tomic an der Grundlinie und unterhielten sich in der Sprache ihrer Eltern, dabei fiel immer wieder der Name Bradley. So ist das halt in der Basketball-Nationalmannschaft: Zwei Spieler sprechen auf Jugoslawisch darüber, wie sie dem eingebürgerten Amerikaner den Ball geben wollen.

Das Spiel seiner zwölf Auserwählten sehe "manchmal noch aus wie Chaos", sagte Dettmann. Mit Henrik Rödl, Jörg Lütcke und Denis Wucherer sind gestandene Nationalspieler verletzt, dafür stehen Youngster wie Stefano Garris (22) und Mithat Demirel (23) von Alba Berlin in der Startformation. Trotz der beiden etablierten NBA-Stars Nowitzki und Bradley hält Dettmann nur "einen Sieg für realistisch". Und zwar im ersten Spiel gegen Estland. Gegen die anderen Gegner der Vorrunde, den Weltmeister Jugoslawien und Kroatien wird es schwer. Die Spielweise sei sehr physisch, und seine Mannschaft noch sehr jung. "Wenn alle 28 Jahre alt wären, könnte man mehr erwarten", ergänzte der Trainer.

Doch Deutschlands bester Spieler, Dirk Nowitzki, erwartet mehr als sein Trainer: "Unser Ziel kann es nur sein, unter die ersten fünf zu kommen und uns so für die Weltmeisterschaften nächstes Jahr in Indianapolis zu qualifizieren." Dieses Ziel hat auch der Deutsche Basketball-Bund ausgegeben. Und auch Bradley spielt nur für Deutschland wegen der Aussicht, eine WM oder Olympische Spiele zu bestreiten. Den Bundestrainer wird es sicherlich freuen, wenn sich nicht seine, sondern die Prognosen seiner Spieler bewahrheiten.

Sven Simon

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