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Der Mann mit der Binde. Nur wie lange noch?

© Imago/Ulmer

Bastian Schweinsteiger: Der Kapitän wirkt nicht mehr patent

Bastian Schweinsteiger soll die Nationalmannschaft zum vierten EM-Titel führen. Dabei stottert seine Karriere in der DFB-Elf schon seit 2010. Joachim Löw hält trotzdem an ihm fest.

Anfang September 2014, knapp zwei Monate nach dem WM-Triumph von Rio, traf Joachim Löw eine Entscheidung, die ihn recht bald einholen könnte. Für den aus der Nationalmannschaft zurückgetretenen Kapitän Philipp Lahm ernannte der Bundestrainer Bastian Schweinsteiger als Nachfolger. Keine Frage, der wackere Schweinsteiger hatte sich nach seiner persönlichen Finalschlacht gegen Argentinien die Binde irgendwie verdient. Aber hat diese Entscheidung auch die Mannschaft verdient?

Angesichts Schweinsteigers Verdiensten und seiner Hingabe in über einhundert Länderspielen war Löws Entscheidung naheliegend. Aber sie war auch eine, die sich aus der Vergangenheit erklärte und nicht in die Zukunft wies. Dabei brauchte die Nationalelf gerade nach dem Gewinn des vierten WM-Titels einen neuen Ausblick. Löw hätte auf dem Weg zum vierten EM-Titel gerade auch die Kapitänsfrage dafür nutzen können – mit einer überraschenden Entscheidung einen neuen Reiz zu setzen. Denn neue Reize hat der Weltmeister nötig.

Es war absehbar, dass der WM-Titel der Mannschaft nachhängen würde. Sie wirkte körperlich matt wie mental satt. Wie sehr die Mannschaft erschöpft war, zeigte sie in der folgenden EM-Qualifikation. An deren Ende spielte sich Löws Mannschaft zwar sicher, aber nicht souverän zur EM und gleich gar nicht im weltmeisterlichen Stil. Im Grunde überzeugte der Weltmeister nur beim 3:1-Sieg im Qualifikationsrückspiel gegen Polen im September 2015.

Wäre heute Europameisterschaft, zählte der Weltmeister anders als EM-Titelverteidiger Spanien, der Weltranglistenerste Belgien oder EM-Gastgeber Frankreich nicht zu den Topfavoriten. Und Schweinsteiger? Inzwischen gibt es nicht wenige Fachleute, die es als überraschend empfinden würden, sollte Schweinsteiger im Sommer auf dem Rasen eine entscheidende Rolle zufallen.

Es ist also ein selbstgemachtes Problem, das Löw einholen könnte. Ein Spieler wie Schweinsteiger hätte die Kapitänsbinde nicht gebraucht. Wenn er fit und leistungsbereit ist, würde er auch ohne sie eine tragende Rolle spielen. Zurzeit ist er das nicht. Bei seinem neuen Klub Manchester United kommt er über die Rolle als Teilzeitkraft nicht hinaus. Als der Klub beim VfL Wolfsburg aus der Champions League flog, ging die englische Presse hart mit ihm ins Gericht. Niemandem würde man seine 31 Jahre mehr ansehen als Schweinsteiger, schrieb etwa die „Sun“, für die es so aussah, als nage die Zeit an ihm.

Irgendwie stimmt es ja, dass man Schweinsteiger beim Ergrauen zusehen kann. Hinter ihm liegen zwölf physisch wie psychisch zehrende Jahre Profifußball auf höchster Ebene. Schon in den zurückliegenden fünf Jahren hatte Schweinsteiger immer mal wieder mit Verletzungen und der Rückerlangung seines Fitnesslevels zu kämpfen. Die Ausfallzeiten mehrten sich. Von den 71 Länderspielen der deutschen Mannschaft seit der WM 2010 in Südafrika hat Schweinsteiger nur 33 bestritten – von den 15 seit seiner Amtsübernahme als Kapitän ganze sechs.

Joachim Löw hat seine Entscheidung immer wieder verteidigt. Erst jüngst, nach Schweinsteigers schwachem Auftritt in der Champions League, sprang der Bundestrainer ihm bei: „Wir wissen beim DFB, was wir an Bastian haben. Er ist nach wie vor ein Weltklassespieler und unumstritten unser Kapitän.“ Aber stimmt das? Verkörpert Schweinsteiger auf dem Platz noch Weltklasse? Kann er diese überhaupt wieder erreichen? Und wie viel Weltklasse verkörpert die Weltmeistermannschaft derzeit?

Nur in 33 von 71 Spielen dabei

Joachim Löw hat damals schon seine Entscheidung damit begründet, dass Schweinsteiger nicht jedes beliebige Länderspiel bestreiten müsse. Er brauche ihn für die großen, für die wichtigen Spiele. Gleiches gilt wohl auch für die Mannschaft, die seit Rio nicht wirklich gefordert war. Aber das wird sie im März des neuen Jahres sein, wenn sie England und Italien empfängt. Bis zur EM bleiben nur zwei Testspiele während der Vorbereitung gegen Mannschaften, die den Vorrundengegnern ähneln. In Frankreich sind das die Ukraine, Polen und Nordirland. Happig wird es frühestens ab dem Achtelfinale, das erstmals bei einer EM wegen der Aufblähung des Turniers auf 24 statt 16 Teams ausgespielt wird.

Schon einmal hat Löw gegen viele Widerstände an einem verdienten Nationalspieler festge- und am Ende Recht behalten. Bei Miroslav Klose. Löw wurde für seine Anhänglichkeit kritisiert. Doch anders als Schweinsteiger konnte Klose sich mit Mitte dreißig dem modernen Spiel anpassen und so der Mannschaft dienen. Bei der Endrunde in Brasilien schoss er sein 16. WM-Tor, womit er den bisherigen Rekordhalter Ronaldo überholte. Zudem gab es zu Klose kaum Alternativen. Im Fall Schweinsteigers aber gibt es die. Allen voran Ilkay Gündogan. Schon vor der WM 2014 galt der als einer, der Schweinsteiger den Platz im Zentrum des Nationalteams streitig machen könnte. Doch dann verletzte sich der Dortmunder schwer und verpasste die WM. Mittlerweile hat der 25-Jährige seine Form zurückgefunden und lenkt die Geschicke des Dortmunder Spiels. Er wäre im Augenblick die bessere Ergänzung zu Toni Kroos, der im zentralen Mittelfeld als gesetzt gilt. Spieler wie Sami Khedira und Christoph Kramer, die bei der WM spielten, stehen derzeit auf der Kippe. Beide suchen ihre Form, der eine bei Juventus Turin, der andere ist in Leverkusen noch nicht angekommen.

Ab sofort kommt es für die EM-Kandidaten drauf an, sich in den Vordergrund zu spielen. In bestechender Form sind derzeit nur die Bayernspieler Manuel Neuer, Jerome Boateng und Thomas Müller in die Winterpause gegangen. Mesut Özil überzeugt gegenwärtig beim FC Arsenal, in der Nationalelf ist ihm das schon lange nicht mehr gelungen. Die Dortmunder Mats Hummels und Marco Reus ringen derzeit entweder mit der Öffentlichkeit oder mit Verletzungen. Und Matthias Ginter, der bei der WM nicht zum Einsatz kam, konnte als möglicher Lahm-Nachfolger im Nationalteam auf der rechten, defensiven Außenbahn nicht überzeugen. Dafür dürfte sich der Kölner Jonas Hector auf der anderen Problemplanstelle, linke, defensive Außenbahn, ein wenig festgespielt haben. Im zurückliegenden Länderspieljahr war er der Einzige, der in allen neun Spielen zum Einsatz kam.

Die WM hat in vielen Bereichen Tribut gefordert. Das sagte Löw im vergangenen Sommer. Heute fiele eine Bestandsaufnahme nicht anders aus. Sportlich gesehen hat Löws Mannschaft ihr Vermögen allenfalls verwaltet. In seinem Vorhaben, dem Team neue Impulse zu verleihen und sie spieltechnisch variabler aufzustellen, ist Löw auf der Stelle getreten.

Ein neues Siegerteam müsse erst wieder gebaut werden, hat vor wenigen Tagen Teammanager Oliver Bierhoff gesagt. „Wir haben nach der WM drei Säulen verloren, Lahm, Mertesacker und Klose.“ Jetzt müssen andere führen, tragen und lenken. Spieler wie Neuer, Boateng, Kroos und Müller, die zum Mannschaftsrat gehören und neben Hummels und Mario Götze ein Gerüst bilden. Doch hat sich in den anderthalb Jahren seit Rio dieses Gerüst auch wegen Verletzungen und Ausfällen nicht festigen können.

Zum Beispiel Mario Götze, der WM-Finaltorschütze. Das beste Spiel der Deutschen nach der WM, das Spiel gegen Polen, ist eng mit ihm verknüpft. Nach langer Ausfallzeit spielte Götze wieder mit, erzielte zwei Tore beim 3:1-Sieg. Wenig später verletzte er sich erneut und hat bis heute kein weiteres Spiel absolviert.

„Ich gehe davon aus, dass wir bei dem Turnier weit kommen“, hat Joachim Löw eben noch gesagt. Vielleicht weit genug, um Schweinsteiger auf das Niveau der Mannschaft zu bekommen. So war es auch bei der WM in Brasilien, als er mächtig Anlauf brauchte, um im Finale endlich kampfbereit zu sein. Das Spiel selbst machten damals schon andere.

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