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Erst überragend, dann überwältigt: Bastian Schweinsteiger nach dem WM-Sieg in Rio

© dpa

Bastian Schweinsteiger im WM-Finale 2014: "Beine sind im Arsch, aber es hat sich rentiert"

Im WM-Finale 2014 war Bastian Schweinsteiger die Schlüsselfigur im deutschen Spiel. Zu seinem heute verkündeten Rücktritt hier noch einmal unser Text vom großen Abend in Rio.

Bastian Schweinsteiger trug die Geschichte am Leib. Lothar Matthäus, den Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1990, hatte er auf der rechten Brust, Hans Schäfer, einen von noch zwei lebenden Helden von Bern, direkt über dem Bauchnabel. Bastian Schweinsteiger hatte sich das Trikot angezogen, auf dem die Weltmeister von einst unterschrieben hatten. Bei den Spielen in Brasilien hatte es immer zur Motivation in der deutschen Kabine gehangen, und als alle Spiele gespielt waren, ging das Hemd fürs Erste in den Besitz von Bastian Schweinsteiger über. „Ich hab's mir einfach genommen“, sagte er. Selbst wenn die Mannschaft demokratisch abgestimmt hätte, wäre vermutlich kein anderes Ergebnis herauskommen. Bastian Schweinsteiger trug das Trikot mit Würde.

Mit dem Finale von Maracana hat sich der Münchner endgültig Eingang in die Heldengeschichte des deutschen Fußballs verschafft. So wie man sich an Fritz Walter erinnert, der 1958 im WM-Halbfinale humpelnd versuchte, seiner Mannschaft noch irgendwie zu helfen; so wie einem beim Jahrhundertspiel 1970 gegen Italien Franz Beckenbauer mit seiner bandagierten Schulter in den Sinn kommt – so wird man beim Endspiel von Rio immer an Bastian Schweinsteiger denken, dem in der Verlängerung das Blut übers Gesicht läuft.

Das Finale ging in seine finale Phase, als der deutschen Mannschaft nach dem Ausfall von Sami Khedira ein nächster harter Schlag drohte. Schweinsteiger hatte bei einem Kopfballduell die Faust von Sergio Aguero ins Gesicht bekommen, nun lag er rücklings in der Coaching Zone der Argentinier. Die komplette medizinische Abteilung der Nationalmannschaft beugte sich über ihn und versuchte, die Blutung zu stoppen, es sah nicht gut aus. An der Seitenlinie stand schon Kevin Großkreutz zur Einwechslung bereit. Als Schweinsteiger sich dann erhob und an der Mittellinie aufs Feld zurücklief, brach im Stadion der Jubel los.

Schweinsteiger war omnipräsent

Wenn es große Spieler auszeichnet, dass sie in großen Spielen eine große Leistung zeigen, dann ist Bastian Schweinsteiger spätestens seit dem WM-Finale ein großer Spieler. Der Münchner, fast 30 Jahre alt inzwischen, war das Hirn und das Herz der deutschen Mannschaft. Mit seinem Fuß ordnete er ihr Spiel, mit seiner Omnipräsenz entnervte er die Argentinier. Schweinsteiger gewann 64 Prozent seiner Zweikämpfe, neun von zehn Pässen erreichten seine Mitspieler, und mit 15,3 Kilometern legte er von allen 28 eingesetzten Spielern die längste Wegstrecke zurück.

„Es war ein Kampf, aber es musste sein“, sagte Schweinsteiger. „Die Beine sind natürlich im Arsch, aber es hat sich rentiert.“ Eine solche Kraftanstrengung hätten dem Münchner nur wenige zugetraut. Er hatte schon die ganze Saison über leiden müssen, war zwei Mal am Sprunggelenk operiert worden und hatte sich kurz vor der WM am Knie verletzt. Doch all das konnte ihn an diesem Abend nicht aufhalten, genauso wenig wie die Argentinier, die ihn mit aller Macht malträtierten. Sechzehn Fouls wies die Statistik am Ende für den Vizeweltmeister aus, allein sechs Mal war Schweinsteiger das Opfer der Attacken.

Der Münchner hatte gekämpft, gelitten, gewonnen – und das nicht nur für sich, sondern stellvertretend für eine ganze Generation, die vor zehn Jahren angetreten ist und jetzt, nach einigen Trostpreisen, möglicherweise mit ihrem letzten Einsatz doch noch das große Los gezogen hat. In einer der stillen Minute nach dem Finale haben Schweinsteiger und sein alter Kompagnon Lukas Podolski sich an die Anfänge erinnert: wie sie 2004 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der U 21 zur richtigen Nationalmannschaft delegiert wurden, im Auto zu Rudi Völler gebracht wurden und dann gleich bei der Europameisterschaft mitspielen durften. „Mit dem Tag heute geht ein Traum in Erfüllung“, sagte Podolski. „Dafür bin ich jetzt zehn Jahre hier.“

Zurück zur Fanmeile – diesmal mit Pokal

Podolski und Schweinsteiger gehörten damals zu den wenigen Lichtblicken in einer dunklen Zeit. Inzwischen herrscht im deutschen Fußball an Talenten kein Mangel mehr, und so wird die Zeit in Kürze auch über die Generation 2006 hinweggehen. In Brasilien standen noch fünf Spieler im Kader, die schon bei der WM im eigenen Land dabei waren und diese Mannschaft über Jahre geprägt haben: Schweinsteiger und Podolski, Per Mertesacker, Philipp Lahm und Miroslav Klose. Natürlich haben sie geahnt, vielleicht sogar gewusst, dass Brasilien ihre letzte Chance werden würde, den WM-Titel zu holen. „Hier wollte ich mit aller Gewalt so weit wie möglich kommen“, sagte Bastian Schweinsteiger.

Vor acht Jahren stand die Mannschaft am Finaltag vor dem Brandenburger Tor, sie war Dritter geworden und hatte das Land trotzdem begeistert. Bastian Schweinsteiger musste in Rio daran denken, „wie uns die Leute gefeiert haben. Jetzt haben sie alles zurückbekommen.“ Acht Jahre später standen die Deutschen am Finaltag selbst auf dem Platz. Als sie sich nach der Siegerehrung zum offiziellen Weltmeisterfoto gruppierten, hockte sich Bastian Schweinsteiger genau in der Mitte und hielt den Pokal in der Hand. Nur Thomas Müller durfte den Pokal für einen kurzen Moment übernehmen. Er gab ihn gleich wieder zurück.

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