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© AFP

Bayerns heutiger Gegner: FC Barcelona: Mit Geschichte spielen

Für den FC Bayern ist die Partie heute Abend das Spiel des Jahres. Für den FC Barcelona ist es nur ein Champions-League-Viertelfinale. Was fasziniert so an diesem spanischen Klub?

Man könnte die Frage nach der scheinbaren Unbesiegbarkeit und der Faszination des FC Barcelona mit drei Namen beantworten: Samuel Eto’o, Lionel Messi und Thierry Henry. Man könnte auch drei andere, etwa Xavi, Andrés Iniesta und Sergi Busquets ins Feld führen. Doch egal, ob man nun den Fokus lieber auf die Ballartisten im Sturm oder auf die technische und taktische Brillanz im Mittelfeld legt – die Rechnung geht in beiden Fällen nicht auf. Zwei wichtige Faktoren fehlen: Pep Guardiola, der gerade einmal 37 Jahre alte Trainer und der Mythos des FC Barcelona, ein Verein, der von sich behauptet „mehr als ein Club“ zu sein.

Die Symbolkraft des Vereins geht zum Teil auf die Zeit der Franco-Diktatur zurück. In vielen Dörfern wehte als Ersatz für die vom Diktator verbotene katalanische Fahne Senyera die Klubflagge. Das Stadion Camp Nou, heute mit Platz für etwa 100 000 Zuschauern das größte in Europa, war einer der wenigen Orte, an denen sich Oppositionelle unbehelligt treffen konnten. Als sich mit dem Engagement des begnadeten Spielmachers Johan Cruyff 1973 auch die sportlichen Erfolge wieder einstellten, sahen viele darin Parallelen zum wieder erwachenden katalanischen Selbstbewusstsein. Auf den Straßen demonstrierten Studenten und Arbeiter, im Camp Nou schoss mit Cruyff ein langhaariger, kettenrauchender Niederländer Tore. Und als die Katalanen im Februar 1974 Francos Lieblingsverein Real Madrid mit einem spektakulären 5:0 besiegten, jubelte der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán: „An jenem Tag setzte der Niedergang der faschistischen Diktatur ein. An jenem Tag fing die Freiheit an.“ Barcelona definiert sich eben nicht nur über die eigenen Erfolge, allein 18-mal waren sie spanischer Meister, sondern vor allem aus ihrer kulturellen, politischen und sportlichen Rivalität zum großen Rivalen Real Madrid (31-mal spanischer Meister). Mit 162 979 eingetragenen Mitgliedern ist Barcelona nach Benfica Lissabon der mitgliederstärkste Klub der Welt.

Zu Saisonbeginn war von dieser symbolischen Strahlkraft nicht mehr viel zu sehen. Der FC Barcelona hatte zum zweiten Mal in Folge den spanischen Meistertitel verspielt, der zweimalige Weltfußballer Ronaldinho machte nur durch nächtliche Eskapaden von sich reden, Eto’o hatte durch offene Kritik den Unmut seiner Chefs auf sich gezogen. Der FC Barcelona litt am Symptom des Erzrivalen Real Madrid: zu viele Stars, zu wenig Ensemble. Da entschloss sich die Klubleitung zu einem Schritt, der bei anderen Vereinen als Wahnsinn gegolten hätte. Sie verabschiedete sich von den großen Namen. Ronaldinho wechselte zum AC Mailand; Frank Rijkaard wurde entlassen und statt Trainer-Größen wie Arsène Wenger oder José Mourinho sollte es nun der als Trainer völlig unbekannte Pep Guardiola richten. Seine Erfahrung beschränkte sich auf gerade einmal ein Jahr als Trainer der B-Mannschaft. Eine mutige Entscheidung und gewissermaßen eine Rückbesinnung auf die Kerntugenden des Vereins. Denn Guardiola verkörpert wie kein zweiter die spielerische DNA des Vereins. Er ist mit dem FC Barcelona groß geworden. Der Junge aus dem katalanischen 6000-Einwohner-Dorf Santpedor kickt im blauroten Trikot, seit er 13 ist. Kaum volljährig wurde der schmächtige Mittelfeldspieler zu einem der wichtigsten Bausteine von Johan Cruyffs Dreamteam, jener legendären Formation, die sechs Mal hintereinander die Meisterschaft und 1992 den Europapokal der Landesmeister gewann. Ihr offensives Kurzpassspiel gilt seither als Barcelonas Markenzeichen.

Als Trainer setzt Guardiola nun die Arbeit seines Ziehvaters fort und vertraut auf junge Spieler aus der vereinseigenen Fußballschule. In seinen Trainingsmethoden unterscheidet sich Guardiola nicht groß von seinem Vorgänger, aber im Unterschied zu Rijkaard ist er ein Motivator. Vor dem Champions-League-Spiel gegen Olympique Lyon rief er Team und technischen Stab zusammen und zeigte einen Zusammenschnitt der schönsten Torerfolge in der 111-jährigen Vereinsgeschichte. „Das sind wir“, sagte der Coach, als die DVD zu Ende war. Den Zuschauern sollen Tränen in den Augen gestanden haben. Diese Traditionen kann nur anspielen, wer mit dem Mythos Barcelona, diesem Konglomerat aus Sport, Politik und katalanischem Nationalstolz aufgewachsen ist.

Trotz aller mythischen Überhöhung ist der Klub natürlich in erster Linie ein modern geführtes Unternehmen – mit einem Jahresumsatz von 380 Millionen Euro. Zwar drücken den Verein auch knapp 180 Millionen Euro Schulden, was aber in Spanien vergleichsweise moderat ist. Außerdem können die Katalanen auch 120 Millionen Euro an Fernsehgeldern pro Spielzeit fest verbuchen. Das Direktorium versteht es aber geschickt, politisches Sendungsbewusstsein in die Gesamtaufstellung der Marke mit einzubinden. Auf der Spielerbrust prangt imagefördernd seit 2006 das Logo des Kinderhilfswerks Unicef. Präsident Joan Laporta unterstreicht auf seinen Reisen immer wieder die „katalanische Dimension“ des Vereins. Doch das ist Chefsache. Für die Spieler gehört es lediglich zum guten Ton, bei der Präsentation einen Satz auf katalanisch von sich zu geben und fürs Foto die eingestickte Flagge am Revers zu küssen. Mehr prokatalanisches Engagement ist nicht vonnöten, weil in einem Verein, der seinen Mythos immer wieder von Neuem nährt, die Corporate Identity ohnehin stark genug ist.

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