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Beckenbauer

© dpa

Beckenbauer im Interview: FC Bayern geht mit Klinsmann Risiko ein

Franz Beckenbauer über Träume im Alter, eine Europameisterschaft ohne Hubschrauber, die Veränderung des Fußballs - und sein nächstes Leben.

Herr Beckenbauer, was machen Sie eigentlich beruflich?

Tja, wie soll ich das sagen? Fifa-Exekutivkomitee, Uefa-Exekutivkomitee, bei den Bayern a bisserl was. Dann Sponsoring, Fernsehen, Stiftungsarbeit und so weiter.

Ist das ein Beruf?

Für mich gibt es keine Berufsbezeichnung. Früher hätte man gesagt: Lebenskünstler, heute…

…Rentner?

Na, für einen Rentner bin ich zu agil. Ich bin von Beruf Optimist. Und ich bin Bewohner dieses Planeten. Vorübergehend jedenfalls. Ich warte auf meine Abberufung und meine Wiedererweckung.

Glauben Sie an ein nächstes Leben?

Ich glaube an den Fortbestand der Seele. Wir kommen von irgendwoher, das ist ja klar, oder? Mein logisches Empfinden sagt mir: Wenn du von irgendwoher kommst, gehst du nach diesem Leben dahin zurück. Also wird meine Seele dahin gehen, wo sie herkommt. Wo das sein wird? Keine Ahnung.

Vielleicht auf dem Mars? Sie haben nach der WM 2006 gesagt, das Turnier sei jetzt auf dem Weg zum Mars.

Ich glaube nicht, dass ich auf dem Mars landen werde. Wir wissen, dass es Milliarden von Sonnensystemen gibt. Im Irgendwo, in einem Winkel des Universums, da werden unsere Seelen versammelt.

Ob dort jemand auf einen Optimisten wie Sie wartet?

Wie es da oben zugeht, weiß ich nicht. Ich habe keinen erlebt, der Beweise mitgebracht hätte, dass er schon mal da oben war. Da muss sich jeder überraschen lassen, wenn es soweit ist.

Das Land der Seelen wäre immerhin ein Land, das Sie noch nicht bereist haben.

Es befindet sich ja auch nicht auf unserem Planeten. Schauen Sie, in Südamerika war ich überall, in Asien auch, selbst in Afrika habe ich viele Länder bereist, hauptsächlich im Süden, dann im Norden, na ja doch, in der Mitte auch – Togo, Kamerun, Angola. Nun, auf diesem Planeten war ich fast schon überall.

Entdecken Sie in Afrika das, was den Fußball noch ausmacht – Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Einfachheit?

In Afrika ist der professionelle Fußball noch etwas unterentwickelt. Viele Talente strömen nach Europa, um Geld zu verdienen. Und da merken sie: Dem professionellen Fußball, so wie wir ihn kennen, ist die Ursprünglichkeit verloren gegangen, das Unbefangene, das einfache Spiel. Ganz ehrlich: Mir tut das weh.

Warum?

Zu meiner Zeit als aktiver Spieler – vor 30, 40 Jahren – war Fußball auch populär, aber es gab nicht so viel Drumherum. Als wir mit den Bayern 1976 den Weltpokal holten, stand darüber eine halbe Seite in der Zeitung. Heute würde man sicher eine ganze Ausgabe machen. Auch die Medien haben den Sport verändert.

Aber Sie sind doch selber schuld! Sie füttern die Werbung und das Fernsehen, sind überall zu sehen.

Was heißt Schuld? Die Entwicklung des Fußballs kann keiner mehr zurückdrehen. Die Geister haben wir gerufen, und wir leben alle gut mit ihnen.

Vor zwei Jahren, vor der WM, die Sie organisierten, haben Sie eine generelle Reinigung des Fußballs gefordert und eine Grenze des Geldverdienens angemahnt. Inzwischen sitzen Sie in der Fifa-Fußballkommission. Jetzt können Sie was ändern.

Wie denn? Gegen den Markt kann ich nichts machen. In anderen Sportarten gibt es Gehaltsobergrenzen, die sind sicher sinnvoll, aber schwer durchzusetzen. Wenn jemand bereit ist, 100 Millionen für einen Cristiano Ronaldo zu bezahlen, soll er es halt tun.

Bei 100 Millionen weiß man nicht immer, ob das Geld aus seriösen Quellen kommt.

Na hören Sie mal! Ein Ramon Calderon bei Real Madrid oder ein Roman Abramowitsch bei Chelsea sind doch seriöse Geschäftsleute. Die haben sich eben zum Ziel gesetzt, die beste Mannschaft der Welt zusammenzustellen. So etwas kostet Geld. Und dieses Geld haben die.

Wir lernen: Egal, woher das Geld kommt – der Fußball nimmt es.

Es sollte Auflagen geben, vor allem wenn Investoren in den Fußball einsteigen. In der Finanzwelt gibt es zu viele Spekulanten. Die müssen draußen bleiben, darauf muss der Sport achten. Ein Klub darf nicht zum Spekulationsobjekt werden.

Sind Sie dafür, dass Investoren die Mehrheit bei Bundesligisten übernehmen?

Nehmen wir Hoffenheim, darüber reden ja alle. Dietmar Hopp ist ein seriöser Mäzen, der in der Region eine einzigartige Jugendarbeit etabliert hat. Über solche Leute muss der Fußball doch froh sein.

Wie wär’s mit einem Investor bei Hertha?

Gute Idee! In Berlin würden sich viele Investoren bemühen – so viel Potenzial, wie die Stadt hat. Es ist schon schade, wie es um den Verein steht. Ich hoffe seit Jahren, dass in der Hauptstadt etwas Großes entsteht mit diesem Stadion, mit diesen Möglichkeiten. Aber man muss bilanzieren: Es ist nicht sehr viel vorangegangen bei der Hertha. Für eine Hauptstadt ist das zu wenig.

Legen Sie doch Ihr Geld in Berlin an!

Ach, meine paar Markeln. Davon kannst du nicht einmal einen Masseur bezahlen. Da kaufe ich mir lieber etwas Schönes: eine gute Creme oder eine Zigarre.

Oder Ihre Brillen, die sonst keiner trägt.

Ach, das sind Vorkriegsmodelle, die gibt’s gar nicht mehr. Ich habe dieses Gestell hier (nimmt seine Brille ab) bestimmt schon zehn Jahre, ich wechsle nur die Gläser aus. Ich habe mindestens fünf solcher Gestelle, weil sie furchtbar empfindlich sind. Wenn man an die Bügel kommt, sind die gleich verbogen. Aber dafür sind die Brillen leicht, man merkt kaum, dass man sie auf der Nase hat (setzt die Brille wieder auf).

Warum tragen Sie getönte Gläser?

Normale Gläser sind mir zu hell. Und manchmal will ich nicht alles sehen.

Was denn nicht?

Wir haben vorhin davon gesprochen. Dinge, die den Fußball verfremden, das Verschwinden des einfachen Spiels.

Sie resignieren?

Es müsste vieles geändert werden, aber es ist nicht leicht. Mich bedrückt, dass Spieler heute sehr viele Rechte haben. Sie gehen, wann und wohin sie wollen, ohne dass ihr Verein eine Ablöse bekommt. Verträge zählen kaum noch etwas, die Macht der Spieler, ihrer Berater und Agenten ist zu groß geworden, das ist fatal.

Was denken Sie, wenn die Fans auf den Tribünen rufen: Scheiß Millionäre!

Wenn die Millionäre erfolgreich sind, ist es den Fans wurscht.

Sind die Profis wirklich gieriger als früher? Sie selbst haben einst in der Nationalmannschaft höhere Prämien verlangt.

Aber ob heute noch jedes Geschäft transparent und sauber abläuft, bezweifle ich. Damals gab es noch keine Spielervermittler, die gewinnen immer mehr an Einfluss. Und wenn ich höre, dass bei manchen Klubs Trainer und Manager an Transfers mitverdienen sollen, macht mich das fassungslos. Das ist Betrug am Arbeitgeber, wenn ein Trainer einen Profi verpflichtet und vorher extra den Preis hochtreibt, damit er selbst mehr abbekommt. Aber was soll man dagegen tun?

Das fragen wir Sie! Sie sitzen in der Fifa!

Wollen wir den Fußball wirklich mit Tausenden Regeln überfrachten? Wir haben sowieso schon so viele Bestimmungen, gerade in Deutschland. In Cafés darf nicht mehr geraucht werden, nun soll das Bierwerbeverbot kommen, wenn wir da jetzt noch den Fußball durchregulieren, wissen die Leute gar nicht mehr, an was sie sich zuerst halten sollen. Was der Markt hergibt, das ist halt so – fertig.

Sie resignieren also doch.

Nein, wir bei der Fifa versuchen ja, etwas gegen diese Entwicklungen zu tun. Gerade haben wir bei unserem Kongress in Sydney mit großer Mehrheit beschlossen, die 6+5-Regel durchzusetzen.…

…die besagt, dass in einer Klubmannschaft sechs inländische Profis auflaufen sollen…

…ja, das ist doch vernünftig. Es leidet ja nicht nur der Fußball, auch andere Sportarten. Gemeinsam müssen wir die Europäische Kommission, die sich gegen die Regel sperrt, überzeugen, auch ein wenig Druck machen. Es ist so: Unsere Vereine verlieren an Identität, weil die Spieler zu oft wechseln. In manchen Klubs spielen kaum noch Deutsche, manche haben nur noch ein paar Alibispieler aus dem Inland – das kann nicht sein. Nichts gegen Ausländer, wir sind keine Rassisten, aber wir müssen uns fragen: Wollen wir diesen Weg weitergehen? Und wohin führt das? Wir müssen doch unseren eigenen Spielermarkt schützen, unseren Nachwuchs für die Nationalmannschaften pflegen.

Die Bayern haben in dieser Saison das Double gewonnen mit zwei Stars: Luca Toni, einem Italiener, und Franck Ribéry, einem Franzosen. Miroslav Klose und Bastian Schweinsteiger waren Randfiguren.

Ribéry und Toni sind Ausnahmekönner, die in jeder Mannschaft der Welt spielen können. Aber bei den Bayern gibt es schon ein paar Deutsche mit Perspektive. Mit Nachwuchsspielern wie Toni Kroos, Andreas Ottl und Christian Lell muss man ein wenig Geduld haben. Die Bundesligaklubs sollten Aufbauprogramme machen. Ein Manager muss seinem Talent sagen: Im dritten Jahr garantieren wir dir, dass du ein Weltklassespieler wirst. Schauen Sie sich Cristiano Ronaldo bei Manchester United an. Sein Trainer Alex Ferguson hatte die Geduld, ihn auszubilden. Jetzt ist er einer der besten Spieler der Welt. Diese Geduld gibt es bei uns in Deutschland nicht. Bei uns sagt jeder Trainer: Was interessiert mich, was in drei Jahren ist? Da bin ich doch längst wieder weg.

Herr Beckenbauer, haben Sie mal wieder mit Jürgen Klinsmann geredet?

Ich habe ihn in letzter Zeit öfter gesehen. Er geht seinen Weg, hat all seine Leute in den Verein geholt, die er haben wollte. Jetzt muss er mit der Arbeit anfangen.

Wie viel Schonzeit gestehen Sie ihm zu?

Man ist beim FC Bayern sicherlich ein Risiko eingegangen mit dem Jürgen. Man weiß ja, dass er einer ist, der seine Vorstellungen durchsetzen möchte. Also muss man sich fragen: Geht man seinen Weg? Wenn man das tun will, muss man alles so vorbereiten und zur Verfügung stellen, wie er das will. Ich denke, dem FC Bayern schadet es nicht, einmal etwas Neues zu probieren. Ich find’ es auch gar nicht mal schlecht, wenn du einen hast, der querdenkt, der positive Dinge aus anderen Sportarten mitbringt. Und mit der Nationalmannschaft hat er ja gezeigt, dass er es kann. Aber eines muss Jürgen Klinsmann klar sein: Das Tagesgeschäft ist etwas anderes.

Im Gegensatz zu Klinsmann kennen Sie beide Jobs – Nationaltrainer und Vereinstrainer...

Die Arbeit als Nationaltrainer ist schön. Du reist überall hin, schaust dir die Gegend an. Als Vereinstrainer stehst du jeden Tag auf dem Trainingsplatz, egal ob es schneit oder regnet. Du bist immer auf dem Gelände, vormittags, nachmittags, jeden Tag Pressekonferenz, jeden Tag Fernsehinterviews. Das ist Knochenarbeit, da musst du schon gesund sein. Ich hoffe, dass der Jürgen das gut durchhält.

Glauben Sie, dass Jürgen Klinsmann der Typ dafür ist? Er hat ja sein Leben immer eher in Projekten gedacht.

Jürgen Klinsmann wird sicher nicht nach zwei Monaten sagen: Das habe ich mir anders vorgestellt, jetzt bin ich aber überrascht von der intensiven Arbeit eines Vereinstrainers. Darüber wird er sich sicher vorher Gedanken gemacht haben.

Bei der Nationalmannschaft hat er sein Werk nicht vollendet, oder?

Es wäre schon wünschenswert gewesen, wenn Jürgen als Bundestrainer weitergemacht hätte. Er hat in seinen zwei Jahren einiges zum Positiven bewegt. Aber er hat sein großes Ziel, Weltmeister zu werden, nicht erreicht. Darum dachte ich, er versucht es jetzt bei dieser EM mit einem Titel und 2010 bei der WM in Südafrika. Aber das muss halt jeder selber wissen.

Kann Jürgen Klinsmann etwas von Ihnen lernen?

Wenn er etwas wissen will, kann er gerne zu mir kommen. Ich kann ihm das eine oder andere sagen, beispielsweise darüber, wie der Klub strukturiert ist, welche Hierarchien es gibt.

Wissen Sie das denn noch? Sie sind intern als Letzter von Klinsmanns Verpflichtung informiert worden.

Es ist nun mal die Aufgabe des Vorstandes, Personalentscheidungen zu treffen. Dann wird der Aufsichtsratsvorsitzende um Einverständnis ersucht, also ich. Sehen Sie, ich war nie so richtig drin im Tagesgeschäft der Bayern, insofern hat sich an den Hierarchien nichts geändert.

Aber Sie waren immer die letzte Instanz.

Als der FC Bayern noch ein Klub war und keine AG, habe ich Entscheidungen mit dem Präsidium getroffen. Aber ich selbst wollte die Umwandlung. Inzwischen haben wir eine AG, ein neues Stadion. Für beides habe ich mich erfolgreich eingesetzt, jetzt kann ich mich zurücklehnen.

Was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn man alles erreicht hat und keine großen Dinge mehr vorhat?

Sicherlich ist es nicht mehr so spannend wie früher. Aber man entwickelt mit zunehmendem Alter ein Gefühl, nicht überall dabei sein zu müssen. Vor einigen Jahren war ich noch nicht so beständig. Wenn ich nicht über alles informiert worden bin, wurde ich ganz wild.

Vermissen Sie das Unterwegssein?

Es konnte nicht ewig so weitergehen. Schon vor der WM 2006 habe ich 330 Tage im Jahr gearbeitet, dann per Hubschrauber zu den Spielen, Wahnsinn! Als es vorbei war, wusste ich: Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt. Ich bin kein Romantiker, der in der Vergangenheit lebt. Ich bin ein Realist – Sternzeichen Jungfrau.

Und jetzt putzen Sie zu Hause in Salzburg Ihre Pokale?

Das nun nicht. Aber ich habe feststellen müssen, dass ich irgendwie mehr Zeit habe. Das war am Anfang schwierig. Ich war immer auf dem Sprung. Aber es war gar nichts da zum Springen.

Welche Ersatzhandlung haben Sie durchgeführt?

Ich habe mit mir geredet: Franz, das ist doch genau das, was du wolltest. Gib dich zufrieden, begnüge dich! So habe ich langsam abgebaut, bin Stufe für Stufe heruntergestiegen.

Fühlen Sie sich alt?

Ich weiß nicht. Was ist alt? Was muss ich darauf antworten?

Sie reden auch langsamer.

Tatsächlich? Früher war ich ungeduldig. Jetzt bin ich noch in Bewegung, aber in einem anderen Tempo. Das passt schon so.

Wie werden Sie die EM erleben?

Wir haben einen Plan mit den Spielen, die wir uns anschauen, vermutlich gut die Hälfte. Österreich und die Schweiz sind relativ klein, man kann also vieles mit dem Auto erreichen.

Haben Sie nachts noch einmal von Ihrer Weltmeisterschaft geträumt?

Am Anfang ja, auch vom Flirren des Hubschraubers.

Wovon träumen Sie heute?

Im Moment träume ich sehr wenig. Vor ein paar Wochen ging es um eine private Begegnung, da rutschte alles durcheinander, wurde immer schneller – wie Träume so sind. Aber gestern bin ich aufgewacht und habe mich gefragt: Warum träumst du eigentlich nichts mehr?

Das Gespräch führte Robert Ide.

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