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Für ein Duell mit seinem Spieler auf dem Trainingsplatz reicht es nicht mehr. „Ich kann eine Hälfte des Platzes sehr gut abdecken gegen Novak, den ganzen Platz nicht mehr“, sagt Becker.

© dpa

Beckers neue Seriösität: Ein Boris wird Trainer

Als Davis-Cup-Teamchef scheiterte der ehemalige Tennis-Star Boris Becker einst kläglich – vor allem an seinem eigenen Ego. Doch als neuer Coach von Novak Djokovic schlägt er sich bisher erstaunlich gut.

Auf dem Sofa war es ziemlich voll. Pat Cash und Wally Masur, zwei ehemalige Haudegen des australischen Tennissports, hatten sich dort breitgemacht, daneben hockte Boris Becker. Für den Moderator der Fernsehsendung blieb kein Platz mehr, er musste sich mit der Lehne begnügen. Er hätte ohnehin nur gestört, während die drei nicht aufhören konnten, in den guten alten Zeiten zu schwelgen, als Tennisspieler noch echte Kerle waren. Als man das Leben liebte, den Gegner aus vollem Herzen hasste und schon mal wegen Pöbeleien und Schiedsrichterbeleidigungen vom Platz flog. Auch Cash und Becker sind mal Intimfeinde gewesen, doch jetzt klopften sie sich als gute Kumpel auf die Schulter und witzelten bei den eingespielten Videos von einst über ihre schrägen Frisuren und die knappen Shorts. Champions unter sich. „Waren das noch Zeiten“, schwärmte Becker. Das kann er am besten: Geschichten von früher erzählen.

Und so hat man ihn seit Jahren erlebt. Als einen, der unermüdlich auf dem Ruhm vergangener Tage herumritt. Nun sitzt Becker während der Australian Open also wieder fast täglich beim populären australischen Bezahlsender Fox für „The Daily Serve“ auf dem Sofa, und doch ist es anders. Er trägt nicht Anzug und Krawatte wie gewöhnlich als TV-Experte, sondern ein schwarzes Polohemd, Trainingshose und Turnschuhe. Becker ist jetzt hauptberuflich Trainer, nicht mehr bloß Ikone der Tennisgeschichte.

Rote Teppiche und Fettnäpfchen

Und er trainiert nicht irgendwen, sondern Novak Djokovic – den sechsmaligen Grand-Slam-Sieger, den kürzlich noch besten Spieler der Welt. Und besonders hierzulande war man von dieser Liaison überrascht und fragte sich, was der Serbe denn bloß mit Becker wolle. Mit einem, der seit Jahren eigentlich nur noch über rote Teppiche und durch Fettnäpfe lief. Und der vor allem so gut wie keine Erfahrung als Trainer hat. Kann das gut gehen?

„Boris ist die richtige Wahl“, glaubt der ehemalige Profi Nicolas Kiefer. Der Niedersachse hatte Becker Ende der 90er Jahre als Initiator des sogenannten „Mercedes-Benz Junior Teams“ und als Kapitän der deutschen Davis-Cup-Mannschaft hautnah erlebt – den einzigen Trainerstationen Beckers bisher, wenn überhaupt. Beide Engagements zeitigten mäßigen Erfolg und waren von vielen Störgeräuschen begleitet. Der Spielertrainer Becker hatte Mühe, sein Ego zu drosseln, und legte sich mit Mitspielern und Verband an. Schließlich zerfiel das Team, Kiefer blieb wegen „atmosphärischer Störungen“ lieber zu Hause, Beckers Amtszeit war kurz darauf zu Ende.

Doch das ist eben lange her. „Ich habe da keine Bedenken“, meint Kiefer heute. „Boris hat eine Erfahrung, von der selbst ein Novak Djokovic profitieren kann.“ Dennoch gab es zunächst unter alten Weggefährten kritische Stimmen, die sich sorgten, ob Becker wohl mit einer Nebenrolle zufrieden sein könne. Er, mit dem üppigen Ego, der sonst immer und überall so gerne im Mittelpunkt steht.

Plappern über brühwarme Interna

Niki Pilic, unter dessen Teamführung Becker zweimal Davis-Cup-Sieger wurde und der zudem vier Jahre lang Djokovic als Teenager in seiner Münchner Akademie unter seinen Fittichen hatte, glaubte, Becker müsse „zum ersten Mal in seinem Leben lernen, nicht in der ersten Reihe zu stehen“. Und auch Beckers ehemaliger Trainer Günther Bosch riet dem dreimaligen Wimbledonchampion dazu, sich zurückzunehmen. „Djokovic hat das Sagen und nicht sein Trainer“, meinte der 76-Jährige. „Boris muss lernen, im Schatten des Spielers zu stehen.“ Kann er das?

Zumindest ist Becker diese Kehrtwende in Melbourne in erstaunlich kurzer Zeit erstaunlich gut gelungen. Wohl auch, weil Djokovic unmissverständlich klargemacht hat, wer der Boss ist. Und während also alle darauf warteten, dass Becker auf dem Sofa brühwarm Interna ausplaudert, wie er es sonst so gerne getan hat, gibt der sich nun betont zugeknöpft und genießt es sichtlich, nochmals so gefragt zu sein. Wenn Becker spricht, hört die Tenniswelt wieder zu. Und wenn er doch mal über Djokovic spricht, dann nur in höchsten Tönen. „Mein Rezept als Trainer lautet: Viel sagen, ohne zu viel zu erzählen“, meinte er süffisant. Doch er hält sich öffentlich konsequent daran. Man glaubt es kaum.

Schon 15:0, bevor man überhaupt auf den Platz geht

Geredet wird nur innerhalb des Teams, und die Chemie mit Djokovic scheint zu stimmen. „Wir sprechen Deutsch miteinander“, erzählte Becker. „Und in der Umkleide schauen dann alle zwar ganz komisch, aber er kann das richtig gut.“ Auf Anhieb hatten sie einen Draht zueinander gefunden, und das verwunderte Becker überhaupt nicht. „Wenn ehemalige Grand-Slam-Sieger über den Sport und ihre Erfolge sprechen, da gibt es erst mal wenige Gegenargumente“, sagte er. „Man kommuniziert auf einer ganz anderen Ebene, weil man weiß, wovon der andere redet. Wir sind Menschen, die ähnlich ticken.“ Es ist nur einer der Gründe, warum der 26 Jahre alte Serbe das Wagnis mit Becker einging. Bei Andy Murray hatte er schon zwei Jahre lang genau dieses Phänomen beobachtet, durch das der Schotte mit Ivan Lendl den endgültigen Durchbruch zum Champion schaffte. Murray hatte aber nicht nur von Lendls enormer Erfahrung als einer der besten Spieler aller Zeiten profitiert, sondern auch vom knorrigen Charisma des gebürtigen Tschechen.

Große Hoffnungen

Genau das erhofft sich Djokovic auch von Becker. Denn dass nun die Lendls, Edbergs und Ivanisevic’ in der Umkleide herumlaufen, lässt die Konkurrenz nicht kalt. „Viele Trainer, die selber keine Grand-Slam-Turniere gewonnen haben, sind sicherlich von uns eingeschüchtert“, erklärte Becker. „Ohne etwas Großes zu sagen, hat man schon eine andere Position auf dem Trainingsplatz, beim Turnierdirektor, in der Umkleide.“ Und so würden die geheimen Regeln in der Player’s Lounge eben wie eh und je funktionieren, fügte Becker hinzu: „Wenn da einer kommt, der schon mal die Nummer eins war, da macht man schon mal ein bisschen Platz.“ Und gefühlt stünde es dann für den Schützling eines solchen Trainers schon gleich 15:0, bevor man überhaupt auf den Platz ginge.

Vorteil Djokovic also. Der Serbe hofft aber wohl auch ein bisschen, dass etwas von dessen Aura auf ihn abstrahlt. Mit Becker litt man früher mit, er konnte die Menschen mit seiner Spielweise fesseln. Und diesen Becker feiern sie in Melbourne nun wie einen verlorenen Sohn, der nach 15 Jahren erstmals wieder an den Ort seines letzten Grand-Slam-Triumphs zurückgekehrt ist.

Martialische Kreuzrittergabe

Djokovic ist zwar auch beliebt, hat fast vier Millionen Fans in den sozialen Netzwerken, doch Rafael Nadal und Roger Federer haben jeweils mehr als dreimal so viele Follower. Mit dem Serben werden viele nicht richtig warm. Mancher stört sich daran, dass er seine Klugheit zu sehr vor sich herträgt, andere können mit seinem martialischen Kreuzrittergehabe auf dem Platz nicht viel anfangen.

Eine Zeit lang probierte Djokovic, die Sympathien mit Parodien seiner Gegner zu gewinnen. Doch die fanden das oft nicht komisch. Djokovic wirkt zu wenig authentisch. Und so war es kaum verwunderlich, dass in den Endspielen von Melbourne, Wimbledon und New York, die der Serbe in der letzten Saison bestritt und von denen er zwei verlor, die Fans in den Stadien fast geschlossen hinter seinem Gegner standen. Sie fieberten mit Murray und Nadal, das hat Djokovic verletzt. Nun färbt Beckers universelle Beliebtheit schon auf ihn ab, in seinen oft monotonen Pressekonferenzen kann er nun Anekdoten über seinen neuen Trainer erzählen.

„Ein bisschen schwanger, das geht nicht“

Der Plan scheint aufzugehen, besonders weil Becker seine Aufgabe sehr ernst nimmt. „Ein bisschen schwanger, das geht nicht“, hatte er bei seinem Amtsantritt gesagt und gleich seine lukrativen Kommentatorenjobs aufgegeben. Es ist ein „Fulltime-Job“, sagte er, und der straff strukturierte Arbeitstag scheint dem 46-Jährigen gut zu bekommen. „Es geht um Taktik, Einstellung und Psychologie“, umriss Becker. Um Feintuning. Schon 15 Minuten Coaching würden bei Djokovic ausreichen, fügte er hinzu, und am nächsten Tag habe der es schon umgesetzt. „Für einen Trainer ist es eine große Freude, mit solchen talentierten Spielern zu arbeiten, weil sie es sofort kapieren.“

Körper als Schlachtfeld

Für ein Duell mit dem Serben auf dem Trainingsplatz reicht es indes nicht mehr. In seinem Buch widmet Becker seinem maroden Körper ein ganzes Kapitel. Der sei nur noch „ein Schlachtfeld“. Sein unrhythmisches Gangbild sei eine Kombination aus kaputtem Sprunggelenk, lädiertem Knie und künstlicher Hüfte. Seit drei Jahren habe er zudem eine zwölf Zentimeter lange Eisenplatte im rechten Sprunggelenk. „Ich kann eine Hälfte des Platzes sehr gut abdecken gegen Novak, den ganzen Platz nicht mehr.“

Aber das muss er auch nicht. Dafür gibt es andere Spezialisten im Team des Serben. Im Training schlägt meist ein Sparringspartner eine Stunde lang die Bälle mit Djokovic, Becker spielt ihm nur die Volleys am Netz selbst an. Mehr Laufarbeit verträgt er nicht. Ansonsten steht er wachsam am Rand und gibt die Kommandos.

Alternative schon da

Becker soll ja ohnehin eher für das gewisse Extra sorgen. „Er kann ihm beibringen, dass verloren geglaubte Spiele noch lange nicht verloren sind“, sagt Bosch. „In diesem Punkt war Boris einmalig.“ Man darf gespannt sein, was Becker bewegen kann. Und sollte das Projekt mit Djokovic doch scheitern, gäbe es eine Alternative: Thomas Haas sucht einen neuen Trainer und wäre nicht abgeneigt.

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