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Sport: Begründete Zweifel

Ohne die dopingverdächtigen Favoriten Jan Ullrich und Ivan Basso startet heute die Tour de France

Das Unheil schwebte zwar schon seit Tagen über der Tour de France, seit die spanischen Medien in der vergangenen Woche erneut Details aus einer staatsanwaltschaftlichen Untersuchung gegen 58 führende Radprofis veröffentlicht hatten. Trotzdem stellten sich alle gestern auf einen ganz normalen Vorrenntag ein. Foto- und Autogrammtermine sollten wahrgenommen, es sollte ein wenig trainiert und sich für die Tortur der kommenden Wochen ausgeruht werden. Doch kaum war der Frühstückskaffee heruntergeschluckt, zerbröselten die Pläne des gerade eingetroffenen Tour-Trosses. Die Faxe der spanischen Staatsanwaltschaft waren eingetroffen.

Darin werden alle Favoriten für die diesjährige Tour schwer belastet. Die Renn- und Mannschaftsführungen beriefen daraufhin Krisensitzungen ein, um zu überlegen, was an dieser Tour noch zu retten ist. Es ist nicht mehr viel. Trotzdem wird die Tour heute gestartet.

Das Team T-Mobile hat am schnellsten reagiert. Der Bus mit den Fahrern, der zum geplanten Pressetermin an einem Golfplatz außerhalb von Straßburg unterwegs war, wurde auf der Stelle zurück ins Quartier beordert. Statt Ullrich, Klöden und ihre Kollegen traten die Pressesprecher Christian Frommert und Luuc Eisenga mit betretenen Mienen vor die wartenden Reporter und verkündeten, dass die soeben erhaltenen Dokumente Informationen enthielten, die „begründete Zweifel“ an der Aufrichtigkeit von Jan Ullrich, seinem Betreuer Rudy Pevenage und seinem Kollegen Oscar Sevilla enthielten. Deshalb habe man sich entschlossen, Ullrich und Sevilla nicht starten zu lassen. Beide hatten am Vorabend beteuert, nichts mit dem Dopingdealer-Ring zu tun zu haben, gegen den in Madrid ermittelt wird. „Ich bin in einem absoluten Schockzustand“, sagte Ullrich. „Ich fühle mich als Opfer. Ich werde weiterhin kämpfen.“

Andere Teams, die ebenfalls am Morgen spanische Faxe erhalten hatten, reagierten weniger entschlossen als T-Mobile. Bjarne Riis, Direktor der Mannschaft CSC, in deren Dienst der Tour-Favorit Ivan Basso steht, nahm sich erst einmal eine Bedenkzeit. Man wolle zunächst einmal das 50 Seiten-Dokument aus Madrid prüfen, hieß es noch am späten Vormittag im Hotel der Mannschaft.

Kurz darauf saß Riis mit den Leitern der 21 Mannschaften und der Direktion der Tour de France zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Nach 20 Minuten einigten sich die Direktoren darauf, den von ihnen allen unterzeichneten Ethik-Code zu achten und ihm Geltung zu verschaffen. Der Code sieht unter anderem vor, Fahrer, gegen die ermittelt wird, vorläufig zu suspendieren. So musste Riis zähneknirschend auch seinen Star nach Hause schicken, Basso reiste umgehend nach Italien ab.

Ohne Basso und Ullrich fehlen der Tour nun die beiden Favoriten. Neben den beiden großen Namen ermitteln die spanischen Behörden gegen weitere sieben Fahrer, die nun nicht bei der Tour starten dürfen. Darunter befinden sich auch die aussichtsreichen Spanier Joseba Beloki und Francisco Mancebo, der noch gestern seine Karriere beendete. Die Suspendierung dieser Fahrer hatte unter anderem zur Folge, dass das Astana- Würth-Team um Alexander Winokourow abreisen muss, weil es nicht die Mindestzahl von sechs Fahrern stellen kann. Die Mannschaftsdirektoren hatten beschlossen, dass für suspendierte Fahrer kein Ersatz eingeflogen werden darf.

Darüber, was die Affäre nun für die Tour und den Radsport insgesamt bedeutet, gehen indes die Meinungen auseinander. Ex-Champion und Tour-Sprecher Bernhard Hinault etwa bekräftigte, um den Imageschaden zu begrenzen, dass ja mitnichten alle Radsportler dopen würden. Er sagte: „Das sind 50 von 500 Fahrern.“ Was mit zehn Prozent allerdings auch schon eine beachtliche Quote ist. Die französische Sportzeitung L’Equipe, die der Tour-Organisation Amaury gehört, fand gar, dass die Enthüllungen ein Zeichen der Hoffnung seien. Sie würden zeigen, dass der Radsport aus dem desaströsen Skandal von 1998 gelernt habe und sich nun selbst zu reinigen wüsste.

Dabei übersah L’Equipe wohl, dass es wie 1998 wieder des Eingreifens des Staates bedurfte, damit der Radsport handelt. Damals war es der französische, diesmal ist es der spanische Staat. Und das, was Staatsanwaltschaft und Polizei entdeckt haben, sprach nicht gerade dafür, dass der Radsport von Grund auf reformiert ist.

Seiten 1, 2, 17, 27 und Meinungsseite

Sebastian Moll[Strassburg]

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