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Sport: Bei der ATP-Weltmeisterschaft in Hannover könnte Nicolas Kiefer Sympathien zurückgewinnen

Kiefer hat in Deutschland einen schweren Stand. Das ist keine Anspielung auf den Ausrutscher, der den zurzeit besten deutschen Tennisspieler vor zwei Wochen beim Turnier in Stuttgart zur Aufgabe zwang.

Kiefer hat in Deutschland einen schweren Stand. Das ist keine Anspielung auf den Ausrutscher, der den zurzeit besten deutschen Tennisspieler vor zwei Wochen beim Turnier in Stuttgart zur Aufgabe zwang. Die medizinischen Folgen dieses Fehltritts waren ein Bänderanriss und ein Kapselschaden am Sprunggelenk. Weitaus mehr würde ihn schmerzen, wenn er nicht an der ATP-Weltmeisterschaft vom 23. bis zum 28. November in Hannover teilnehmen könnte, für die er sich als erster Deutscher nach Boris Becker und Michael Stich qualifiziert hat. "Das ist mein Traumziel", sagte Kiefer schon vor Wochen. Er hat dort jahrelang im Bundesleistungszentrum des Deutschen Tennis Bundes trainiert. Tennis-Matches hat er in diesem Jahr viele für sich entschieden. Bei seinem Heimspiel hätte er die Chance, auch die Sympathien des deutschen Publikums zurückzugewinnen.

Hier liegt das Hauptproblem des 22-Jährigen, der in diesem Jahr einen so erstaunlichen Aufstieg bis auf Rang sechs der Weltrangliste erlebte. Er wird das Image des "Bad boys" nicht los. Er tut auch wenig dafür. Mal brüskiert Nicolas Kiefer die Zuschauer bei den German Open in Hamburg mit lustlosen Darbietungen und reagiert auf Pfiffe mit den Worten: "Das ist lächerlich. Ich weiß nicht, ob ich nächstes Jahr wieder hier spiele." Mal ärgert er die Fans, weil er dem deutschen Team "wegen atmospärischer Störungen" beim Davis-Cup-Abstiegsspiel in Rumänien die Hilfe verweigert. Vor kurzem hat Kiefer sich von seinem Vermarktungspartner Sportmarketing Ruhr (SMR) getrennt und nun Regressforderungen am Hals. Obwohl er in diesem Jahr die Turniere in Halle, Tokio und Taschkent gewonnen hat und in zwei weiteren Endspielen stand (Wien, Dubai), obwohl er längst zum Preisgeld-Millionär geworden ist, zahlen sich seine Erfolge auf anderem Gebiet kaum aus. Mehr als einen Ausrüstervertrag mit Nike hat er nicht.

Auch bei Kollegen ist Nicolas Kiefer nicht beliebt. Der Australier Patrick Rafter, ansonsten kein Lautsprecher der Branche, nannte ihn "großkotzig". Außerdem hat der Niedersachse es gewagt, sich mit Boris Becker anzulegen, der ihn einst förderte. Das war sein Kardinalfehler: Wer sich Becker zum Gegner macht, schreibt sein eigenes Todesurteil. Zumal Kiefer nicht die geringsten Entertainer-Qualitäten besitzt. Wo Becker das Publikum mit seinen zur Schau getragenen Gefühlen auf dem Tennisplatz mitriss, stößt Kiefer es höchstens vor den Kopf. Und dann ist da noch dieser Thomas Haas. Wenn der andere deutsche Tennis-Emporkömmling auf locker-amerikanische Art plaudert, beim Davis-Cup die deutsche Fahne schwenkt oder mit leichtem Pathos in der Stimme erzählt, wie er als Junge Beckers ersten Wimbledonsieg erlebte, presst Kiefer kurze Statements über seine Rückhand hervor.

"Ich werde zum Buhmann gemacht", klagt Kiefer, natürlich ohne jemals eigene Fehler einzuräumen. Viele glauben inzwischen, seine Schroffheit sei nichts anderes als Unsicherheit. Besonders im Kreise solcher geübten Selbstdarsteller wie Becker, Carl-Uwe Steeb und mittlerweile auch Haas fühlt er sich unwohl. Auch deshalb ist die Teilnahme in Hannover für Kiefer so wichtig. Kein Becker da, wahrscheinlich auch kein Haas, der ihm die Schau stehlen könnte. Die ATP-WM ist für den Einzelkämpfer Nicolas Kiefer eine neue Standortbestimmung. Und eine Chance, sein Standing in Deutschland erheblich zu verbessern.

Dietmar Wenck

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