zum Hauptinhalt

Sport: „Bei Rowdys mit Hakenkreuzfahnen wird mir übel“

DFB-Präsident Zwanziger über die Geschichte des Verbandes und den Tod seines Vaters in den letzten Kriegstagen

Herr Zwanziger, der Deutsche Fußball Bund hat eine Studie zur Rolle des Verbandes im Nationalsozialismus in Auftrag gegeben. Warum erst jetzt?

Keineswegs erst jetzt. Bereits im November 2000 hat das Präsidium einen Beschluss gefasst, die DFB-Geschichte aufzuarbeiten. Damit war zunächst der Auftrag verbunden, das umfangreiche Quellenmaterial zu sichten. Dann haben wir die Forschungen an Nils Havemann von der Universität Mainz übergeben. Wir sind dabei einer Empfehlung des Historiker-Verbandes gefolgt, haben also den Gutachter nicht selbst ausgesucht. Nun ist die Arbeit beendet, und im September stellen wir das Buch vor.

Dennoch hat der Verband sehr spät reagiert. Schon anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums im Januar 2000 wurde von Kritikern eine Aufarbeitung angemahnt.

Die Zeit dafür ist jetzt da. Wissen Sie, wenn Sie ein Jubiläum feiern und gleichzeitig ein solches Gutachten veröffentlichen, kann es passieren, dass das Jubiläum möglicherweise in eine Schieflage gerät. Ich kann verstehen, dass sich der DFB zu seinem 100-jährigen Jubiläum nicht ausschließlich mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigen wollte.

Ausschließlich nicht, aber wenigstens ausführlich. War die Kritik von Walter Jens richtig, der dem DFB jahrelange Ignoranz gegenüber dem Thema vorgeworfen hat?

Die Kritik wäre dann richtig gewesen, wenn wir die Absicht gehabt hätten, das Thema zu keinem Zeitpunkt zu bearbeiten. Aber diese Absicht hat im DFB nie bestanden. Man muss nur den richtigen Zeitpunkt aussuchen.

In der offiziellen Jubiläumsschrift wurde der frühere DFB-Präsident Felix Linnemann, der mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatte, als „Papa Gnädig“ eingeordnet. War das ein Fehler?

Hinterher ist man immer schlauer. Außerdem wurde die öffentliche Diskussion oft anhand von Quellen geführt, die wir nicht immer für stichhaltig gehalten haben. Nicht alle Berichte basierten auf intensivem Quellenstudium. Das wollen wir nun ändern und dann über die Einordnung urteilen.

Welche Erkenntnisse ergeben sich aus der Untersuchung?

Auf Details will ich vor der Veröffentlichung nicht eingehen. Für mich ergibt sich der Auftrag, dass eine Verbandsführung in einer Demokratie wertorientiert arbeiten muss. So wichtig wirtschaftliche und sportliche Dinge sind, unser Auftrag ist auch, uns gegen Feinde der Demokratie zu stellen. Wenn ich diese unglaublichen Dinge sehe, dass Rowdys hinter Hakenkreuzfahnen hinterherlaufen, wird mir übel. Diese Leute zurückzudrängen ist keine Aufgabe, die allein der Regierung und den Gerichten obliegt. Da müssen auch Vereinstrainer den Kindern vermitteln, dass sie stolz sein können, in Freiheit zu leben.

Es gibt die Rowdys auch in den Stadien…

Das erfüllt mich mit Sorge und mit Wut. Jene Gewalttäter, die außerdem ausländerfeindliche oder gar nationalsozialistische Sprüche grölen, muss man bekämpfen. Auch bei fünf Millionen Arbeitslosen dürfen wir nicht zu einer Demokratie werden, die wie die Weimarer Republik von Leuten ausgenutzt wird, die soziale Sicherheit nur vorgaukeln, um ein ganz anderes System zu etablieren. Gerade deshalb ist es wichtig, Geschichte nicht zu verdrängen.

Herr Zwanziger, auch in der Geschichte Ihres Verbandes hat Verdrängung durchaus eine Rolle gespielt. Sonst wäre bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien wohl nicht Hitlers Flieger-Oberst Hans-Ulrich Rudel im Quartier der Nationalmannschaft empfangen worden, oder?

Ich möchte mich nicht zum Richter machen über die Vergangenheit. Ich habe Briefwechsel von meinem Vater und meiner Mutter gelesen aus den letzten Kriegsmonaten. Mein Vater war damals an der Front, und er hat wie viele andere den Wert des Regimes anders eingeschätzt, als wir das heute tun würden.

Ihr Vater hat bei der Schlacht um Berlin gekämpft?

Ja, er ist dort im April 1945 gefallen. Er ist bei Arnsdorf begraben. Ich wurde erst einen Monat nach Kriegsende geboren, in den Fünfzigerjahren habe ich als Kind mit meiner Großmutter das Grab besucht. Und später habe ich oft gedacht: Wenn das Attentat von Stauffenberg auf Hitler gelungen wäre, hätte mein Vater den Krieg überlebt. Und Millionen andere Menschen auch.

Nach Ende des Krieges hat sich der DFB kaum mit diesen Fragen befasst. Bei der Siegesfeier nach dem WM-Gewinn 1954 schlug der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens deutschnationale Töne an und sprach von einem sportlichen Führerprinzip. Beschäftigt sich die Studie auch mit dieser Vergangenheit?

Nein, das Werk konzentriert sich auf die Zeit bis 1945. Mit allen anderen Dingen müssen wir uns selbst beschäftigen. Prinzipiell bin ich aber ein Mensch, der den Blick nach vorn richtet. Entscheidend ist, dass wir uns jetzt der Vergangenheit stellen und Lehren daraus ziehen.

Könnte eine Lehre sein, dass Fußball nicht das Nationalbewusstsein fördern sollte?

Ein Fußballer kann durchaus Patriot sein und Stolz für sein Land empfinden. Das gilt auch für die Fans. Man darf aber nie Nationalist werden, denn dann würde man auf andere Länder und Kulturen herablassend schauen. Auch andere haben ein Recht, stolz auf sich zu sein.

Gibt es im DFB noch Nationalisten?

Den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, werde ich die Trennlinie zum Nationalismus klar machen. Wenn jemand diese Grenze als fließend ansieht, werde ich mich ihm entgegenstellen.

Das Gespräch führte Robert Ide.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false