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Sie haben Stadionverbot - und sind irgendwie trotzdem immer dabei.

© dpa

Beim Fananwalt: Hertha Ultras vs. LKA 712

Ob bei Hertha oder anderswo: Viele Fußball-Fans tun alles für ihren Verein. Manchmal schießen sie dabei auch über's Ziel hinaus. In seiner neuen Kolumne schildert Frank Willmann einen Fall, wo davon allerdings nicht die Rede sein kann.

Immer wenn es mir zu gut geht, mir die Sonne auf die Nase scheint und das Bankkonto schier überquellen möchte, rufe ich meinen Kumpel René Lau an. Er ist zuständig für die Beseitigung aller Boshaftigkeit, des Schmutzes und der Arglist in unserer Welt. Der gute alte Rabulist kümmert sich in seiner Rechtsanwaltskanzlei um die Belange von Fußballfans, die in die kariösen Zähne unseres reizenden Rechtssystems geraten sind. Er ist mit diversen Kollegen deutschlandweit vernetzt, sie bieten unter http://www.fananwaelte.de schnelle Hilfe für alle an. Unter dem Motto Sachlichkeit statt Hysterie ziehen sie jeden Tag in den Kampf um unsere Bürgerrechte.

Ultras gehören auch zu uns Bürgern. Wie im richtigen Leben, liegen im anstrengenden Fan-Alltag eines Ultras das vermeintlich Gute und das Böse nah beieinander. Ein Ultra nimmt bei eigenem Stadionverbot alle Auswärtsspiele seines Herzensclubs mit. Er fährt mit seinen Freunden, verabschiedet sie vorm Stadion und schaut sich das Spiel mit anderen Stadionverbotlern in einer Kneipe an. Diese Art Romantik ist ihm gerade recht. Ich weiß nicht ob es uns zusteht, darüber den Kopf zu schütteln.

Mein Herz gehört dem Schwächeren. Den Mäusen. Der kreativen Seite des Spiels. Den Fans, die alles für ihren Verein tun. Natürlich sind Polizisten nützlich. Wenn man nachts vier Bösewichtern gegenüber steht und sie auf Streife zufällig vorbeikommen. Wenn sie alten Omas über die Straße helfen und den Verkehr regeln. Wenn sie den Psycho nebenan, der seine Frau und seine Kinder bis aufs Blut schlägt, zu einem Besuch im Polizeirevier einladen. Dann nenne ich sie gute Bullen.

Früher hieß die Katze: Ermittlungsgruppe Hooligan, kurz EGH. Die Mitarbeiter nannte man SKB (Szenekundige Beamte) oder auch Zivis. Heute sind sie noch immer Zivis, sind aber im Auftrag des LKA 712 unterwegs. Ihr Job ist es, rund um den Fußball für Ordnung zu sorgen. Mehr nicht.

Am 18.12.2010 fand in der Impuls Arena zu Augsburg das Spiel zwischen dem FC Augsburg und Hertha BSC statt. Wie immer machten sich etliche Mitglieder der Hertha Ultras mit Stadionverbot bis 2012 auf die Reise. Bis nach Augsburg im Bus mit ihren Freunden, während des Spiels in einer Kneipe in Augsburg.

Nach dem Spiel wollten sich alle  Ultras an den Bussen wieder treffen. Die Einen kamen mit Taxen aus der Stadt, die Anderen aus dem Stadion. Die Busse standen auf dem Gästeparkplatz. Vorm Stadion. Dort kann sich jeder ohne Kontrolle frei bewegen. Kassenbereich und Gästeeingang befinden sich hinter dem Parkplatz. Wochen darauf haben genau sechs der Ultras Strafverfahren bekommen. Sechs der kreativen, der führenden Köpfe. Vorwurf Hausfriedensbruch.

Man sieht sich vor Gericht

Renè Lau vertrat drei der sechs Ultras 2011 in Augsburg vor Gericht. Einer hatte plötzlich eine Anklage am Hals, die zwei anderen Strafbefehle. Gegen die Strafbefehle wurde Einspruch eingelegt. Es kam somit für alle drei zu einer Verhandlung.

Auf dem Parkplatz bedankten sich nach dem Spiel knapp ein Dutzend Stadionverbotler bei den anderen Fans. Ein geschätztes Ultraritual, sich via Banner alles Mögliche mitzuteilen. Sie pöbelten keinen Bürger oder Polizisten an. Sie warfen nicht mit Pyros oder Flaschen. Sie standen bei ihren Bussen.

Dort sah sie ein Polizeikommissar (POK), Mitglied der EGH. Die Hertha Ultras und die EGH verbindet keine Freundschaft. Der arbeitsame Zivi meinte im Betreten des Parkplatzes einen Hausfriedensbruch erkannt zu haben. Hat ein Bürger Stadionverbot, darf er sich auch nicht auf Stadiongelände aufhalten.

POK beauftragte nun den Fanbeauftragen von Hertha BSC, die Ultras mit Stadionverbot zum Verlassen des Parkplatzes aufzufordern. Angeblich sollen die Ultras vorm Spiel von irgendwem erfahren haben, dass der Parkplatz zum Stadiongelände gehört. Von wem und ob überhaupt, war in der Verhandlung nicht zu klären. Der Parkplatz war nicht als Teil des Stadiongeländes gekennzeichnet. Einlasskontrollen gab es erst an den Kassen zum Stadion. Jedenfalls meinte der POK nun, einen der drei Fanbeauftragen Herthas via Handy angerufen zu haben: Sag denen mal, der Busparkplatz sei Stadiongelände. Die sollen hier weg. Ansonsten gibt es ein Verfahren.

Der Fanbeauftragte hat das bei seiner Aussage vor Gericht anders geschildert. Er meinte, der POK hätte ihn nicht angerufen. Außerdem wäre der POK nicht mehr im Stadion, sondern auf dem Busparkplatz mit rastloser Polizeiarbeit beschäftigt gewesen. Er hätte den Fanbeauftragten auf dem Parkplatz geflüstert: die sollen sich hier Verpissen, ansonsten gibt’s ne polizeiliche Maßnahme. Echte Berliner Schnauze eben, ein Jargon, den man als böser Polizist gern gegenüber Fußballfans anschlägt. Um ihnen zu zeigen, wer hier das Sagen hat.

Auf Frage des Richters was der Fanbeauftragte nun gemacht hat, meinte dieser, er sei zu den Ultras gegangen und hätte ihnen gesagt, sie sollen sich Verpissen, ansonsten gibt es eine polizeiliche Maßnahme. Besondere Gedanken habe er sich über diese Aussage nicht gemacht, da er sich darum kümmern musste, 3000 Herthaner friedlich in die Busse und nach Hause zu bekommen. Außerdem habe er den Inhalt der Aussage des POK nicht verstanden. Er als Fanbeauftragter fühle sich dazu angehalten, mögliche Gewaltakte zu unterdrücken. Wenn die Ultras nun den sicheren Bereich des Parkplatz hinter dem Stadion verlassen hätten, wären sie in den Armen der Augsburger Fans gelandet.

Ob es Sinn einer polizeilichen Maßnahme sein könne, einige wenige Berliner Fans einem verfeindeten Mob auszusetzen? Diese Frage gebe ich gern an die Berliner EG-Hooligan weiter.

Nach der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt Freispruch, weil die Infos der Akten sich in der Beweisaufnahme anders dargestellt haben. Den Angeklagten konnte kein Hausfriedensbruch nachgewiesen werden. Wo begann denn das Stadion für welches Stadionverbot galt? Vorm Parkplatz? Auf dem Parkplatz? Hinterm Parkplatz.

Alle drei Angeklagten wurden freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens, die Anwaltskosten, die Reisekosten der Zeugen nach Augsburg übernahmen wir Steuerzahler.

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