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Sport: Beim WM-Kampf zwischen Evander Holyfield und Lennox Lewis steht die Glaubwürdigkeit des Boxens auf dem Prüfstand

Lennox Lewis landete in zwölf Runden 348 Treffer, Evander Holyfield laut Computer-Statistik 130. Dennoch entschied das Punktgericht: Lewis hat nicht gewonnen.

Lennox Lewis landete in zwölf Runden 348 Treffer, Evander Holyfield laut Computer-Statistik 130. Dennoch entschied das Punktgericht: Lewis hat nicht gewonnen. "Die Gerechtigkeit ist blind", "Eine große Boxnacht wurde ruiniert", lauteten die Schlagzeilen der New Yorker Zeitungen nach dem skandalösen Unentschieden am 13. März im Madison Square Garden.

Acht Monate später: "Las Vegas. 13. November. Justice", steht auf den weißen T-Shirts der Betreuer und Anhänger des Betrogenen. Doch beim Rematch im Thomas & Mack-Center der Spielermetropole Las Vegas geht es in der Nacht zum Sonntag nicht nur um Gerechtigkeit für Lennox Lewis und um den Einheitstitel im Schwergewicht. "Der Rückkampf wird zum Barometer für die Glaubwürdigkeit und die Zukunft des Boxens", schreibt die Zeitung "USA TODAY" unter der Überschrift: "Ein Kampf für das Ansehen."

Das Publikum jedenfalls ist die offenkundigen Manipulationen, die miesen Kämpfe und die ständigen Skandale bis hin zu Mike Tysons "Kannibalismus" und den Anklagen wegen Betruges gegen den Verband IBF leid. Es reicht. Der Skandal von New York und die Klage gegen den IBF-Präsidenten Bob Lee und drei weitere Funktionäre wegen Manipulation bringt Lewis in direkten Zusammenhang: "Jetzt kommt alles raus." Der WBC-Champion sieht seinen "Verdacht der Schiebung bestätigt": "Lee hatte vor dem Kampf erklärt, Holyfield sei sein Champion. Er war es dann auch, der Eugenia Williams nominierte." Die Dame, als Punktrichterin eingesetzt, beraubte den Boxer. Sie hatte einen Sieg des eindeutig unterlegenen Holyfield errechnet, dabei die fünfte Runde, obwohl dem taumelnden IBF-Champion sogar der K.o. drohte, dennoch für ihn gewertet. Sie habe wegen der Fotografen nichts sehen können, rechtfertigte sich Mrs. Williams vor mehreren Untersuchungsausschüssen. "Was ich nicht sehe, kann ich auch nicht bewerten." Das fadenscheinige Argument bewahrte die Buchhalterin aus Atlantic City immerhin vor einer Anklage.

Lennox Lewis will nicht nur als erster unumstrittener Weltmeister seit 1992 ins nächste Jahrtausend gehen, sondern auch "als ein guter Botschafter des Boxens". Seine Forderung: "Der Sport muss gesäubert werden. Es darf nur noch einen Gürtel geben." Denn das Drei-Buchstaben-Wirrwarr und die geschäftlichen Interessen der als Verbände getarnten Firmen, weitgehend vom allmächtigen Promoter Don King abhängig, sind die "Krebsgeschwüre" ("New York Post"), die seit 25 Jahren im Boxen wuchern. Wallace Matthews, der zynische Boxkolumnist der "New York Post", fordert Holyfield (IBF, WBA) und Lewis (WBC) auf, sich öffentlich von diesen drei Organisationen loszusagen, ihnen die dreifachen Gebühren von ihren 15-Millionen-Dollar-Börsen - immerhin 750 000 Dollar pro Mann - zu verweigern und auf die Gürtel zu verzichten. "Weder die Fighter noch die Öffentlichkeit brauchen eine Bande von Gaunern aus Mexico City, Caracas und Newark, um ihren Titelkampf offiziell zu machen. Mit oder ohne IBF, WBA, WBC und deren bemitleidenswert billigen Gürteln sind Holyfield und Lewis immer noch die beiden besten Schwergewichtler der Welt."

Der "Post-Mann" griff mit seinem Appell eine Empfehlung des Senats des Staates New York auf, die derzeit bestimmenden Organisationen aufzulösen und einen nationalen Einheitsverbandes zu schaffen. Es würde sich dadurch wenig ändern. "Boxen ist ein mit zwei blauen Augen geborener Sport", sagt der erfahrene TV-Analyst Larry Merchant, "sobald das eine heilt, schwillt das andere an."

Die Zocker in Las Vegas drücken trotz aller Skandale denn auch beide Augen zu. Die Halle ist mit 18 000 Plätzen seit zwei Monaten ausverkauft. Die Casinos haben fast alle Karten für ihre Stammgäste erstanden. Marc Ratner, Vorsitzender der Nevada State Athletic Commission, nennt Holyfield - Lewis II einen "Schlüsselkampf an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend". "Wir brauchen einen spannenden Kampf ohne Kontroverse. Das würde Wunder wirken für die Welt des Boxens." An Lewis, beim Show-Wiegen mit 109,8 Kilo 11,4 Kilo schwerer als Holyfield, soll es nicht liegen. Das sichere Gefühl, nach den Erfahrungen vom Madison Square Garden Holyfield überlegen zu sein, lässt Lewis vor Selbstbewusstsein strotzen. "Man wird von mir mehr Aktion sehen als im ersten Kampf. Ich werde schon in der ersten Runde ein Feuerwerk abbrennen, um zu sehen, wie Evander reagiert. Ich werde mehr Risiko eingehen, noch mehr Schläge setzen." Versprochen. Wenn Lennox Lewis sein Versprechen hält, wird er als letzter Champion des 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen.

Hartmut Scherzer

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