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Ankommen auf Abwegen. 40 bis 60 Teilnehmer beim Berlin-Marathon werden im Schnitt nachträglich disqualifiziert.

© rtr

Berlin-Marathon: Wir machen’s kurz

Jedes Jahr versuchen einige Läufer, beim Berlin-Marathon zu schummeln – von Zehlendorf Zahnärzten bis hin zu Präsidentschaftskandidaten.

Berlin - Wenn die Puste nicht mehr für 42,195 Kilometer reicht, bleibt für manche nur ein letzter Ausweg: „do the Madrazo!“ – „mach den Madrazo!“. So heißt inzwischen das unerlaubte Abkürzen beim Marathon. Nur dürfen sie dabei nicht denselben Fehler machen wie der Namensgeber der Methode: Er flog 2007 beim Berlin-Marathon auf.

Jedes Jahr werden bei Marathonrennen Läufer nachträglich disqualifiziert. „Zwischen 40 und 60 Läufer“ seien es beim Berlin-Marathon, sagt Renndirektor Mark Milde. Manchmal seien es auch 80. Unter ihnen ist Roberto Madrazo vielleicht der Bekannteste.

Ein ehrenwerter Mann, wie es schien. 2006 war er als Kandidat bei der mexikanischen Präsidentschaftswahl angetreten. Immerhin 22 Prozent der Wähler wollten, dass er ihrem Land vorsteht. Beim Berlin-Marathon lief er mit roter langärmliger Windjacke und Kappe ins Ziel. Und dazu einem fröhlichen Lächeln, als habe er gerade bei einem kleinen Parklauf mitgemacht. Einem Fotografen kam diese körperliche Frische und die untypische Kleidung suspekt vor, er verständigte die Organisatoren. Die fanden heraus, dass Madrazo an mehreren Kontrollpunkten nicht vorbeigekommen und zwischendurch sogar schneller als Haile Gebrselassie gelaufen war. In seiner Altersklasse M 55 hatte Madrazo damit die Wertung mit 2:41:12 Stunden gewonnen. Doch er wurde disqualifiziert.

Er hätte von Anfang an nicht vorgehabt, die ganze Strecke zu laufen, erklärte er. Auf die schnelle Zeit sei er auch nicht scharf gewesen. Und überhaupt gebe es für das alles nur eine Erklärung: politisches Intrigenspiel.

Schummeln beim Marathon hat eine lange Tradition. Bei den Olympischen Spielen 1904 in St. Louis kam der US-Amerikaner Fred Lorz als Erster ins Ziel. Doch jubeln durfte er nur kurz, er wurde des Betrugs beschuldigt. Das gab er schließlich auch zu. Die Hälfte der Strecke habe er sich fahren lassen.

Doch nicht nur für olympisches Gold wird beim Marathon betrogen. „Es gibt so viele Altersklassenwertungen und Altersklassenrekorde, auf die die Leute stolz sind. Da herrscht ein Hauen und Stechen“, sagt Mark Milde. Der Ehrgeiz scheint mit dem Alter nicht nachzulassen – im Gegenteil.

Mit der U-Bahn oder mit dem Fahrrad abzukürzen, sind die populärsten Betrugsmethoden in Berlin. Mark Mildes Vater Horst Milde, der Gründer des Berlin-Marathons, erzählt: „Wir haben früher Leute zum Kontrollieren an den U-Bahnhöfen postiert.“ Inzwischen liegen alle fünf Kilometer Matten aus, über die die Läufer rennen müssen, der Chip an ihrem Schuh erfasst dann ihre Zeit. Außerdem gibt es Kameras an der Strecke und im Ziel.

Das Jahr 2007 war bisher der Betrugshöhepunkt. Denn neben Madrazo gab es noch einen anderen herausragenden Fall in Berlin. Kerstin Metzler-Mennenga aus Liechtenstein lief mit 2:42:21Stunden einen Landesrekord und hatte außerdem die Olympianorm geschafft. Allerdings war sie gar nicht selbst gelaufen. Vor dem Rennen hatte sie einem anderen Läufer ihren Zeiterfassungschip gegeben mit der Bitte, den für eine Studie zu tragen. 100 Euro gab sie ihm dafür. Der Ersatzläufer startete mit zwei Chips und wunderte sich hinterher, dass eine ihm unbekannte Läuferin exakt dieselbe Zeit hatte wie er.

Als Betrüger sind schon alle möglichen Leute aufgefallen, etwa auch Zehlendorfer Zahnärzte. „In einem Jahr hatte ich fast eine juristische Auseinandersetzung mit einem Pfarrer aus Norddeutschland“, erzählt Horst Milde. Dem Pfarrer fehlten einige Zwischenzeiten, er wurde disqualifiziert. „Er hat alles Mögliche beschworen. Aber so was kann man nicht durchgehen lassen“, sagt Horst Milde, „ich kann doch nicht sagen: Der liebe Gott hat es gesehen und wird ihn schon bestrafen.“

Mehr zum Berlin-Marathon auf den Seiten 10, 11 und 27

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