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Sport: Berlins längste Drogenszene

Heute geht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit auf Wahlkampftour mit der U-Bahnlinie7. Wir haben schon mal geschaut, was er zu sehen bekommt

Es ist kurz vor sieben, als die U-Bahn stehen bleibt. Einfach so, mitten im Tunnel. Eine Minute vergeht, noch eine halbe, dann meldet der Zugführer über Lautsprecher, der Zug könne wegen eines Polizeieinsatzes nicht auf dem nächsten Bahnhof halten, „bedauere vielmals, gute Fahrt noch“. Der Wagen ist halb voll. Eine ältere Dame blickt kurz von ihrer Zeitung auf, und liest schon wieder, als der Zug im Schritttempo den Bahnhof Blaschkoallee passiert. Niemand schaut hinaus auf den Bahnsteig zu dem Mann auf dem Boden und den fünf, sechs Polizisten um ihn herum. Routine. Polizeieinsätze sind nichts Besonderes auf der U-Bahnlinie 7.

Niemand wird der U 7 ein Musical widmen wie ihrer berühmten Schwester, der Linie 1. Wenig Sehenswürdiges kreuzt ihren Weg, Touristen verirren sich selten hierher. Die U 7 hat dafür einen unerwünschten Superlativ. Diese Linie ist so etwas wie die längste Drogenszene Berlins. Die Dealer sind jung und nicht so aggressiv wie auf der Linie 8 mit der fast schon offenen Drogenszene am Kottbusser Tor. Aber sie sind präsent, auf der Strecke von Westen nach Südosten, auf 33 Kilometern zwischen Rudow und Spandau.

Die U 7 ist ein Prestigeprojekt des alten West-Berlin, Stück für Stück ausgebaut als Alternative zur S-Bahn, die damals von der DDR-Reichsbahn verwaltet wurde. Nach der Wende sollte die U 7 mal bis zum Flughafen Schönefeld führen, aber es hat nur bis zur Rudower Spinne gereicht, einer Kreuzung mit einem schwer übersehbaren Geflecht von Straßen und einem berüchtigten Imbiss, dem „Ketchup“. Dort trifft sich die Süd-Berliner Neonaziszene. Unten schlendern junge Männer durch die verzweigten Gänge des U-Bahnhofs, sie sprechen mit arabischem oder türkischem Akzent. Ab und zu treffen die da oben auf die da unten, und dann gibt es Ärger. „Ja, in Rudow haben die Kollegen ganz gut zu tun“, sagt ein Polizist, und oft gehe es um Drogenhandel, wie eigentlich überall im Neuköllner Einzugsbereich der U 7. Zum Beispiel an der Johannisthaler Chaussee, wo es einen direkten Zugang zu den Gropius-Passagen gibt, dem größten Einkaufszentrum Berlins, Anziehungspunkt für Minderjährige, auch und gerade während der Schulzeit. Oder an der Parchimer Allee, die im Einzugsbereich von fünf Schulen liegt. Hier kann man vor der ersten Stunde seinen Bedarf für den täglichen Rausch decken. Eine Station weiter, an der Blaschkoallee, hat sich in einem angrenzenden Park die Stricherszene breit gemacht.

Am Hermannplatz verläuft die Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg. Die Polizei stuft den Hermannplatz in einem internen Papier als „kriminalitätsbelasteten Ort“ ein. Das klingt ein bisschen technischer und nicht ganz so brutal wie die früher gebräuchliche Bezeichnung „gefährlicher Ort“ und meint doch dasselbe: Hier ist kein angenehmes Plätzchen zum Verweilen. Wer sich für eine halbe Stunde auf eine der acht Bänke setzt, der sieht genug. Den Burschen auf der Treppe mit dem Handy in der einen und dem Feuerzeug in der anderen Hand, der jedem Passanten fragend ins Gesicht schaut. Den Jungen mit den eingefallenen Wangen, der hastig einem anderen hinterher eilt, den er gerade angesprochen hat.

Es sind nicht allein die Problembezirke Neukölln und Kreuzberg, die für das schlechte Image der U 7 steht. Die Untergrundwelt ist eine eigene, sie richtet sich nur bedingt nach den Gesetzen, die oben herrschen. Zum Beispiel in Charlottenburg-Wilmersdorf, einem Hort gutbürgerlichen Lebensgefühls. Die Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer von den Grünen nennt den Teil der U 7, der durch ihren Bezirk führt, einen „neuen Schwerpunkt für die Drogenproblematik“. Auf dem Bahnhof Adenauerplatz, am nördlichen Ende des Kurfürstendamms, ist die Polizei immer häufiger zu Gast. Auch an der Wilmersdorfer Straße beschweren sich Fahrgäste zur besten Einkaufszeit über Halbwüchsige mit Goldkettchen und Lederjacken, die schon mal Passanten anpöbeln, wenn diese ihnen beim Kundengespräch in die Quere kommen. Das passiert nicht jeden Tag, aber es passiert.

Die BVG gibt zu, dass sie in der U 7 vor einem Problem steht. „Es gibt Beschwerden von Fahrgästen, auch wegen des Drogenhandels“, sagt die BVG-Sprecherin Petra Reetz. „Aber wir sind ein Verkehrsunternehmen und kein Sicherheitsdienst. Unser Geschäft ist die Beförderung von Fahrgästen.“ Haben diese Fahrgäste keinen Anspruch auf eine angenehme Reise-Atmosphäre? „Doch, aber sie müssen bedenken, dass wir ein öffentliches Unternehmen sind.“ Und die Öffentlichkeit lässt sich schwer ausschließen, wenn sie in Besitz gültiger Fahrscheine ist.

Natürlich könnte die Streife auf dem Bahnhof Jungfernheide den Burschen mit dem schwarzen Basecap bitten, das U-Bahngelände zu verlassen. Seit einer Viertelstunde sitzt er auf der Bank und denkt auch nicht daran, den gerade einfahrenden Zug in Richtung Rathaus Spandau zu besteigen. Doch im Falle einer solchen Aufforderung wird der Bursche mit dem schwarzen Basecap wahrscheinlich sagen, dass er gerade auf seine Tante warte, und die verpasse schon mal die richtige Station zum Umsteigen, so sei das eben, wenn man älter werde. Solche Ausreden bekommen die Streifen öfter zu hören, und weil ihnen das auf Dauer zu dumm ist, lassen sie den Burschen mit dem schwarzen Basecap lieber in Ruhe. Die BVG hat sich hausintern auf eine sanfte Linie geeinigt. Nur wer andere Fahrgäste beleidigt oder angreift oder sonst irgendwie unangenehm auffällig wird, fliegt raus. Das passiert eher bei Alkoholikern als bei Drogenhändlern. „Die hauen doch schon ab, wenn eine Streife mit Schäferhunden um die Ecke kommt“, sagt ein BVG-Mann. „Die Jungs sind ja nicht dumm, die wollen in Ruhe ihre Deals machen.“ Nur in Extremsituationen, nach besonders guten oder schlechten Geschäften, gebe es Ärger. Und wie ist das mit der Moral? Kann es ein öffentliches Unternehmen auf Dauer akzeptieren, Drogenhändlern einen rechtsfreien Raum zur Verfügung zu stellen? Die BVG lehnt es ab, sich in diesen philosophischen Ebenen zu bewegen. Drogenkonsum sei ein gesellschaftliches Problem und nicht durch ein Verkehrsunternehmen zu lösen. „Da fragen Sie mal lieber die Polizei.“

Die Polizei führt in ihren monatlichen Statistiken bis zu 30 Sondereinsätze auf der U-Bahnlinie 7 auf. Aber sie hat andere Probleme, auf der U 7 und anderswo. Es gibt keinen organisierten Händlerring, der die U-Bahn fest im Griff hat. Hier dealen in erster Linie Jugendliche, improvisierend von Station zu Station. Es ist nicht immer einfach, Käufer und Verkäufer auseinander zu halten. Ein Deal wird am Jakob-Kaiser-Platz abgesprochen, dann fährt man gemeinsam eine Station weiter zum Halemweg, wo auf einem Parkplatz das Geschäft abgewickelt wird. Die Dealer sind jung, manche noch nicht mal strafmündig. Kaum einer trägt mehr Stoff mit sich am Körper, als es der gesetzlich tolerierte Eigenbedarf zulässt. Die großen Mengen werden anderswo gebunkert, auf Parkplätzen oder in Parkanlagen. Oder auf dem U-Bahngelände.

Den wenigsten Ärger hat die BVG mit den Dealern, die ihre Geschäfte oben abwickeln. Auf den Bahnhofsvorplätzen oder in den angrenzenden Einkaufzentren. Etwa auf den Bahnhöfen Zitadelle und Haselhorst, beide in Reichweite der Neubausiedlung Wasserstadt Spandau gelegen, am westlichen Rand der U 7. Die Wasserstadt ist ein soziales Projekt, dessen Erfolg ein, nun ja, zweifelhafter ist. Mieter beschweren sich über Verständigungsprobleme mit den vielen Ausländern, über Kleinkriminalität und Drogenhandel.

Nach einer knappen Stunde ist die Fahrt von Rudow nach Spandau zu Ende. Am Bahnhof Rathaus Spandau stehen wieder die jungen Herren mit den Goldkettchen und den taxierenden Blicken. Direkt daneben wirbt die BVG mit dem Slogan: Fahrscheine und mehr.

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