zum Hauptinhalt
Weltmeister von '90: Karl-Heinz Riedle (l.) als Spieler von Blau-Weiß 90 Berlin im DFB-Pokal gegen den Zweitligisten Karlsruher SC im November 1986. Die Badener setzten sich in Berlin mit 2:1 Toren durch und erreichten die nächste Runde. Für Riedle ging's sportlich bergauf, für Blau-Weiß bergab.

© dpa

Alte Bekannte im Berliner Fußball (8): Blau-Weiß 90: Rotkäppchen und der Scherbenhaufen

Blau-Weiß 90 wollte Hertha BSC als Nummer eins unter Berlins Fußballvereinen ablösen. Mitte der Achtziger gelang das auch für kurze Zeit, doch dann begann der stetige Abstieg.

Gleich geht es wieder los und Leo Bunk fühlt sich sichtlich unwohl. Auf dem Fußballplatz ist der Stürmer vom SV Blau-Weiß 90 in seinem Element, mit 26 Toren hat er dazu beigetragen, dass die Berliner gerade in die Bundesliga aufgestiegen sind. Aber auf der Bühne, noch dazu vor Publikum, wirkt er wie ein Fisch, der aus dem Wasser gezogen wurde. Immer, wenn Bernhard Brink zum Refrain ansetzt, wippt Bunk wider jede Rhythmusvorgabe in der Gegend umher. „Wir sind heiß auf Blau-Weiß“, singt Schlagerbarde Brink. Und weiter: „Wir stehen auf Blau-Weiß 90, denn da gehör’n wir hin, die spieln’ nen super Fußball, in unserem Berlin.“ Bernd Gerber ist bei diesen Zeilen schon eher in seinem Element. Als die Frau mit dem Saxophon dazukommt, läuft der Verteidiger zu Hochform auf und fuchtelt wild mit den Armen umher. Neben ihm federt Peter Stark, der Gemüsehändler vom Großmarkt, der mit Anfang dreißig im Nebenberuf Fußballprofi wurde.

Der Auftritt im Aktuellen Sportstudio gehört bis heute zu den Dingen, die vielen Menschen im Gedächtnis geblieben sein dürften, wenn es um die Fußballer von Blau-Weiß 90 geht. Direkt nach dem geglückten Aufstieg in die Bundesliga waren sie im ZDF zu Gast. Die Mariendorfer wähnten sich am Ziel ihrer Träume, nun sollte sich der Verein in der höchsten deutschen Spielklasse etablieren und langfristig Hertha BSC den Rang ablaufen. Dafür wird die Mannschaft zur Saison 1986/87 verstärkt, vom FC Augsburg etwa kommt ein junger, talentierter Stürmer Namens Karl-Heinz Riedle. Er soll den zum VfB Stuttgart abgewanderten Bunk ersetzen.

Und es geht auch einigermaßen gut los für Riedle und den SV Blau-Weiß 90. Nach zwei Auftaktniederlagen schießt er die Berliner am dritten Spieltag mit zwei späten Toren zu einem 3:2 gegen Borussia Mönchengladbach. Riedles Stern geht an diesem heißen Nachmittag im August auf, am Ende können seine zehn Saisontore den Abstieg nicht verhindern. Anschließend wechselt er zu Werder Bremen, später nach Italien und England. Mit der Nationalmannschaft wird er 1990 Weltmeister. Über das Jahr in Berlin sagt Riedle heute: „Es war eine wunderbare Zeit.“

„Es war eine schlimme Zeit“, sagt Siegfried Hahn. Seine Erinnerungen an die Bundesliga-Zugehörigkeit von Blau-Weiß 90 haben nichts mit denen von Riedle gemein. Hahn war damals Sportwart und ist heute Ehrenpräsident. Er blieb dem Verein immer verbunden und hat alles miterlebt: vom steilen Aufstieg bis hin zum tiefen Fall. Spieler wie Karl-Heinz Riedle oder Holger Gehrke hat er bei Blau-Weiß gesehen, oder den Belgier René Vandereycken, der 1980 im EM-Finale gegen Deutschland ein Tor schoss. „Sie blieben, solange das Geld da war“, sagt Hahn. Es klingt, als nehme er ihnen das immer noch übel.

Als "Rotkäppchen" bei "Aktenzeichen XY" gesuchte wurde

In den Jahren vor dem großen Boom waren die Berliner eine Mannschaft der Namenlosen. Die besten Zeiten lagen lange zurück. Ein Vorgängerverein, der Berliner TuFC Union, war 1905 Deutscher Meister. 1927 kam es zur Fusion zwischen diesem Klub und dem Berliner FC Vorwärts 1890 zur SpVgg Blau-Weiß 1890 Berlin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte Blau-Weiß bis 1983 in Berlin eine gute, aber keine dominierende Rolle. Dann tauchte Konrad Kropatschek auf und mit ihm seine Lebensgefährtin Cornelia Härtfelder, genannt „Rotkäppchen“. Kropatschek hatte einen Plan mitgebracht: Er wollte die Berliner von der Amateuroberliga in die Bundesliga führen. Dabei helfen sollten Spieler, die formell bei seiner Agentur angestellt waren. Sie wurden von ihm bezahlt, bei Transfers würde er aber auch den Gewinn einstreichen. Die Verantwortlichen willigten ein.

Auf die Idee, den dubiosen Geschäftsmann zu überprüfen, kam niemand. Ansonsten wäre aufgefallen, dass Kropatschek bereits 1976 vom Landgericht Würzburg zu vier Jahren Haft wegen Kreditbetrugs verurteilt worden war. Sein Fall lief sogar im Fernsehen bei „Aktenzeichen XY“. Bei Blau-Weiß war Kropatschek einige Zeit sogar Manager, ehe sich der Verein 1985 von ihm trennte.

Das Vertrauen auf auswärtige Geldgeber zeigt, wie schwer es in den Achtzigern im geteilten Berlin war, Sponsoren zu gewinnen. „Es gab nur eine begrenzte Anzahl von Firmen. Dazu kommt, dass die Vereine sich gegenseitig im Weg standen. Niemand hat dem anderen etwas gegönnt“, sagt Hahn. Über die Geschäftspraktiken seines Klubs kann er im Nachhinein nur den Kopf schütteln. „Da waren zu viele Leute dabei, die mit Blau-Weiß das große Geld verdienen wollten. Und wir haben die machen lassen.“ Mit fatalen Folgen. Als Blau-Weiß nach nur einem Jahr aus der Bundesliga abstieg, war der Verein praktisch pleite. Dabei hatte es zwischenzeitlich ganz gut ausgesehen. Im Schnitt strömten um die 30.000 Zuschauer zu den Spielen ins Olympiastadion. Hertha und TeBe waren in die Oberliga abgetaucht und Blau-Weiß die Nummer eins in Berlin. „Die Leute waren hungrig auf Bundesliga-Fußball“, sagt Hahn. „Allerdings hatten wir keine gewachsene Fanstruktur, sodass die Zahlen nach dem Abstieg schnell wieder sanken.“

Video: Blau-Weiß 90 und Bernhard Brink singen im Aktuellen Sportstudio

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ein paar Jahre konnte man das Unvermeidliche noch hinauszögern, ehe 1992 nach dem Lizenzentzug durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) Konkurs angemeldet werden musste. Noch im gleichen Jahr wurde der Verein unter dem Namen SV Blau Weiss neu gegründet und begann in der C-Klasse, der untersten Liga. „Uns blieb nur ein Scherbenhaufen“, sagt Hahn. Zwischenzeitlich stieg Blau-Weiss bis in die Landesliga auf und dann wieder ab in die Bezirksliga. Von der Bundesliga-Zeit sind nur noch Erinnerungen geblieben.

Bisher erschienen: Viktoria 89, Spandauer SV, Türkiyemspor, Wacker 04, BFC Dynamo, VfB Einheit zu Pankow und SC Union 06. Hier finden Sie alle Folgen der Serie!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false