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Runde um Runde. Heute hat das Sechstagerennen im Velodrom seinen Platz im Berliner Sportkalender sicher. Bei der Premiere 1997 gab es noch einige Probleme.

© dapd

Berliner Sechstagerennen: Im Velodrom geht's seit 15 Jahren rund

Bis Dienstag sausen sie wieder über die Bahn: Das Sechstagerennen ist fest im Berliner Sportkalender verankert, was vor allem das Verdienst von Heinz Seesing ist. Vor fünfzehn Jahren hat er das das Traditionsrennen wieder belebt.

Auf den Rängen tobt die Menge. Wut und Enttäuschung machen sich breit. Als Heinz Seesing davon hört, begibt sich der Veranstalter des Berliner Sechstagerennens sofort auf die Tribüne zu den Zuschauern. Oben angekommen fliegen ihm Worte wie kleine Dartpfeile entgegen. „Verbrecher“, „Gangster“ oder „Betrüger“ gehören noch zu den harmlosen Beschimpfungen. Rund 100 Besucher sind aufgebracht, weil sie ihre Plätze nicht finden können. Und auch nicht finden werden.

Eine Baufirma hatte einfach vergessen, die Sitze einzubauen. Seesing, darüber nicht in Kenntnis gesetzt, bleibt nichts anderes übrig, als sich zu stellen. Doch die Situation wird immer brenzliger, die Stimmung ist aggressiv. Da kommt ihm der rettende Einfall. Er stellt sich auf einen Stuhl und ruft: „Ihr sagt, ich bin ein Betrüger. Ihr sagt, ich wär' kein ehrenwerter Mann. Ich sage, ich kann euren Zorn verstehen. Euch wurde Unrecht getan.“ Die Rede ist an Marcus Antonius angelehnt, dem es in Shakespeares „Julius Caesar“ auf ähnliche Art gelingt, dass aufgebrachte Volk zu besänftigen. Im Gegensatz zu Marcus Antonius verspricht Seesing den Leuten allerdings Freibier, was nicht ganz unerheblich zur Deeskalation beiträgt.

Heute kann Heinz Seesing darüber lachen. Fünfzehn Jahre sind seit seinem skurrilen Auftritt vergangen. Die Auflage von 1997 hat aber nicht nur deshalb einen besonderen Platz in Seesings Memoiren. Es ist das erste Sechstagerennen seit 1990 und gleichzeitig die Premierenveranstaltung für ein Radrennen im neu gebauten Velodrom. An der Landsberger Allee hatte zu Zeiten der Teilung die Werner-Seelenbinder-Halle gestanden, eine Hochburg des DDR-Radsports. Später musste die Halle im Zuge der Berliner Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2000 dem Velodrom weichen.

Genau wie die Werner-Seelenbinder-Halle verschwand Anfang der Neunziger auch das Sechstagerennen aus Berlin. „Das Westberliner Rennen in der Deutschlandhalle war einfach nicht mehr rentabel“, sagt Seesing, der zu diesem Zeitpunkt noch Veranstalter des Bremer Pendants war. Als es dort zu Unstimmigkeiten zwischen Organisatoren und Politik kam, stieg er aus und ging nach Berlin. Mit 58 Jahren hätte sich der Hobby-Ahnenforscher längst dem Müßiggang hingeben können, doch Seesing hatte sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Er wollte das traditionsreiche Berliner Sechstagerennen nach sieben Jahren Pause wieder beleben.

Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen an, am meisten Sorgen bereitete der Austragungsort. Das Velodrom wollte einfach nicht fertig werden, doch Seesing und seine Mitstreiter hatten da schon mit dem Kartenvorverkauf begonnen. Und die Eintrittskarten gingen in Windeseile weg. Vor allem im Berliner Osten und in Brandenburg sehnten sich die Menschen nach hochklassigem Radsport. „Der Andrang, die Euphorie, damit hatten wir in diesem Maß nicht gerechnet“, sagt Seesing. Später sollte eine Analyse ergeben, dass 90 Prozent der Besucher aus Ost-Berlin oder den neuen Bundesländern kamen, heute sind es noch gut 35 Prozent. Eine Absage der Veranstaltung steht 1997 für die Organisatoren außer Frage und so hängen am Eröffnungstag teilweise noch die Kabel von den Decken. „Die Journalisten, die Besucher, alle waren verdutzt. Ich hatte hauptsächlich damit zu tun, alle zu beschwichtigen“, erzählt Seesing. Die Stimmung schlägt aber schnell um, auf der Bahn fährt Publikumsliebling Olaf Ludwig von Bestzeit zu Bestzeit. Auch das von Seesing eingeführte Zukunftsrennen mit Nachwuchsfahrern erfreut sich großer Beliebtheit.

Inzwischen ist die Veranstaltung längst wieder fest im Berliner Sportkalender verankert. Aus Shakespeare rezitiert Heinz Seesing nur noch zum Spaß. Und nicht, um seine Haut zu retten.

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